Jonathan Strom: Orthodoxy and Reform. The Clergy in Seventeenth Century Rostock (= Beiträge zur historischen Theologie), Tübingen: Mohr Siebeck 1999, IX + 282 S., ISBN 3-16-147191-1, DM 168,00
Rezensiert von:
Antje Flüchter-Sheryari
Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Jonathan Strom untersucht in seinem Buch die lutherische Reformbewegung im Rostock des 17. Jahrhunderts, vor allem aber die damit verbundenen Vorstellungen zur Ausübung der Kirchenzucht. Zeitliche Eckpunkte bilden der erste große Konflikt zwischen Geistlichkeit und Stadtrat über die Frage der Kirchendisziplin im Jahre 1648 und der Kompromiß zwischen Geistlichkeit und Rat 1675, durch den die Geistlichkeit entscheidende Kompetenzen verlor. Auch wenn die Quellenlage für Rostock als gut beschrieben wird, fehlen doch wichtige Quellengruppen; so lagen Strom weder Visitationsakten noch Quellen zu den Niedergerichten vor, statt dessen viel Material zur Theologie der Reformer und zu ihren Konflikten mit dem Stadtrat. Diese Quellenlage hat die Anlage und die Schwerpunktsetzung des Buches deutlich bestimmt.
Im ersten der drei Teile des Buches geht Strom auf den Kontext der Reformbewegung ein. Nach dem Dreißigjährigen Krieg war das Luthertum in Rostock nie mehr wirklich in Frage gestellt worden. Rostock nahm eine besondere Stellung ein, da die Stadt zwar im Besitz vieler Privilegien war, aber nie den Status einer Reichsstadt erlangt hatte. Dementsprechend beanspruchten Herzog wie Rat episkopale Rechte. Gleichzeitig verfügte die Rostocker Geistlichkeit über eine bedeutende Autonomie. Das herzogliche Konsistorium schränkte zwar ihre Autorität hinsichtlich der Kirchenzucht ein, doch war sie ihm nicht direkt unterstellt. Diese Unabhängigkeit und das Fehlen einer institutionalisierten Einbindung der Geistlichkeit in die Strukturen der Stadt erschweren es, ihren sozialen und ökonomischen Status zu bestimmen. Für die soziale Positionierung greift Strom zum einen auf das Heiratsverhalten zurück, das eine Verflechtung mit der Rostocker Elite aufzeigt, zum anderen auf Rangkonflikte, also auf die Ebene der symbolischen Kommunikation.
Im zweiten Teil wendet sich Strom der praktischen Reform zu. Darunter versteht er hier vor allem die Auseinandersetzung zwischen Geistlichkeit und Rat um die Ausübung der Kirchenzucht. Konstitutionell für das Amtsverständnis der Rostocker Geistlichkeit war das Predigt- wie das Straf- bzw. Wächteramt. Letzteres charakterisierte auch ihre Beziehung zur weltlichen Obrigkeit. Bis 1648 konnte laut Strom das Verhältnis zwischen Stadtrat und Geistlichem Ministerium als harmonisch beschrieben werden. Doch 1648 verhängten die Geistlichen eine Exkommunikation über einen wichtigen Stadtbürger. Der Stadtrat reagierte alarmiert auf diesen Versuch, die geistliche Autorität stärker auszuweiten, als es bisher im 17. Jahrhundert üblich gewesen war. Damit begann die Phase des Konfliktes zwischen Stadtrat und Geistlichkeit. Das Anliegen der Geistlichkeit war es, die kirchliche Autorität bei der Kirchenzucht wiederherzustellen und das gesunkene Ansehen der Geistlichkeit zu heben. Doch gerade in Fragen der Kichenzucht gegenüber Mitgliedern der Stadtelite zeigte sich, wie begrenzt ihre Möglichkeiten waren. Dies zeigt Strom eindrucksvoll an verschiedenen Beispielen.
Neben der Kirchenzucht gegenüber einzelnen versuchte die Rostocker Geistlichkeit auch Einfluß auf den Rat der Stadt als Ganzes auszuüben. Dies tat sie sowohl öffentlich in Form von Predigten als auch auf dem Weg direkter Gesuche an den Rat. Hier konnte die Geistlichkeit gewisse Erfolge verbuchen. Sie gewann mehr Einfluß auf die Verwaltung der Armengelder und erreichte eine Verschärfung der Gesetze zur Sonntagsheiligung. Aber auch hier waren die Möglichkeiten der Geistlichkeit begrenzt. Besonders deutlich wird dies, als im Rahmen der Hexenprozesse in den 1660ern Jahren der Konflikt zwischen Geistlichkeit und Rat eskalierte. Teile der Geistlichkeit reagierten auf die Freilassung einer Frau mit scharfen Predigten, worauf der Rat sich jede geistliche Einmischung in seine rechtlichen Entscheidungen verbot. Dieser Konflikt endete mit der heftigsten herzoglichen Zurechtweisung der Rostocker Geistlichkeit im 17. Jahrhundert. Wie ein Rückzugsgefecht erscheint es, wenn das Geistliche Ministerium danach eine verstärkte Kriminalisierung und Verfolgung der Sünden durch den Rat einforderte. Dies steht im Gegensatz zu dem früheren Anspruch auf die alleinige Kompetenz in Sachen Sündenzucht.
1675 wandte sich der Rat erneut mit Klagepunkten an den Herzog. Es kam zu einer Kompromißformel, die den Sieg des Stadtrates bedeutete. Die Geistlichkeit durfte die Ratsentscheidungen nicht mehr kommentieren und erst recht nicht kritisieren. Suspendierung von Sakramenten war ihr nur noch gestattet, wenn der Sünder davor von einem städtischen Gericht verurteilt worden war. Auch wenn die Geistlichkeit mit ihrem Anliegen dem Rat unterlag, bleibt zu beachten, dass diese Konflikte sich nicht in das Schema weltlich - geistlich pressen lassen. Vielmehr sahen beide Institutionen sich als religiös legitimiert an. Weniger um die kirchliche Zucht als solche oder die Legitimität ihrer Instrumente wurde gestritten als um die Frage, wer sie ausüben dürfe.
Strom bietet in diesen ersten zwei Teilen einen aufschlußreichen Blick auf die Machtkonflikte im Rostock der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Leider beschränkt sich die Darstellung der Reform vor allem auf den Konflikt mit dem Rat und der städtischen Elite im Rahmen der Kirchenzucht. Es wird nicht diskutiert, wie sich die Kirchenzucht auf die Gemeinde auswirkte.
In seinem dritten Teil wendet sich Strom einzelnen Reformern wie Joachim Schröder, Johannes Quistorp dem Jüngeren, Theophil Großgebauer oder Heinrich Müller zu. Heinrich Müller war als Autor weit verbreiteter Andachtsbücher wohl der berühmteste der Rostocker Reformer; sein Anliegen war aber eher ein verinnerlichtes Christentum als eine Reform der kirchlichen Strukturen. Johannes Quistorp der Jüngere und Theophil Großgebauer dagegen entwickelten in ihren theologischen Schriften ein eigenständiges Reformprogramm.
Dieser dritte Teil ist in mancher Hinsicht der interessanteste des Buches. Bei der Lektüre des zweiten Teils fragt sich die Leserin mitunter, ob die Reform sich wirklich nur in diesen Konflikten um die Kirchenzucht erschöpfte, also eher einen Machtstreit als ein Reformprogramm widerspiegelte. Erst bei der Untersuchung der einzelnen Reformer werden andere spannende Facetten des Reformwerkes deutlich. So setzten sich Quistorp und Großgebauer für eine stärkere Beteiligung der Laien am kirchlichen Leben ein, wollten das persönliche Bibelstudium fördern, plädierten für die Einrichtung eines an reformierte Praxis erinnernden Ältestenrates und forderten eine landesweite Generalsynode. Ein wenig enttäuschend ist daher, dass Strom die Umsetzungsversuche dieser Ideen, die durchaus einschneidende Reformen in den Strukturen der lutherischen Kirche bedeutet hätten, nicht weiter verfolgt hat.
Trotzdem liest man das Buch mit Gewinn. Die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts ist ein eher vernachlässigter Bereich der Frühneuzeitforschung, werden doch Entwicklungen innerhalb des Luthertums vielfach erst wieder mit dem Pietismus beleuchtet. Hier schließt Jonathan Strom eine wichtige Lücke. Zudem ist das Buch flüssig zu lesen, Namens-, Orts- und Sachregister erlauben einen leichten Zugriff.
Empfohlene Zitierweise:
Antje Flüchter-Sheryari: Rezension von: Jonathan Strom: Orthodoxy and Reform. The Clergy in Seventeenth Century Rostock, Tübingen: Mohr Siebeck 1999, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=92>
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