Rita Voltmer / Franz Irsigler (Hg.): Incubi Succubi. Hexen und ihre Henker bis heute. Ein historisches Lesebuch zur Ausstellung im historischen Museum der Stadt Luxemburg (5. Mai bis 29. Oktober 2000) (= Publications scientifiques du Musée d'Histoire de la Ville de Luxembourg; 4), Luxemburg: Musée de la ville de Luxembourg 2000, III + 193 [+ 42] S., ISBN 2-919878-18-2, LUF 1500,00
Rezensiert von:
Nils Freytag
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität, München
Über Hexenverfolgungen grassieren in der Öffentlichkeit zahlreiche, offensichtlich unausrottbare Vorurteile und Fehlinformationen. Danach gehören diese ins finstere Mittelalter, schuld an ihnen seien die katholische Kirche und die päpstliche Inquisition, sie hätten mehrere Millionen Opfer gefordert und nur weise Frauen wie Hebammen seien verbrannt worden. Vor diesem Hintergrund ist jeder wissenschaftliche Versuch, dieses krasse Informationsdefizit zu beheben und einem breiteren Publikum fundierte Ergebnisse der mittlerweile weit verzweigten Hexenforschung zu vermitteln, überaus begrüßenswert. Zugleich bietet ein Blick auf die Hexenverfolgungen aber auch die Gelegenheit, mit den grausamen und tödlichen Folgen von Angst und Fremdenfeindlichkeit ein aktuelles Problem in historischer Perspektive zu thematisieren.
Eine kürzlich beendete Luxemburger Ausstellung, deren Katalog hier vorgestellt werden soll, widmet sich nun systematisch den Verfolgungen im Herzogtum Luxemburg mit den angrenzenden deutschen wie französischen Territorien, einer "Kernzone" der frühneuzeitlichen Hexenjagden. Diese Ausstellung fand statt in enger Zusammenarbeit mit dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Trier im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 235 geförderten, sehr produktiven Projekt "Zauberei- und Hexenprozesse im Maas - Rhein - Moselraum unter besonderer Berücksichtigung räumlicher Aspekte". Inhaltlich wie personell eng verwoben ist dieses Projekt mit der seit 1987 bestehenden ausseruniversitären Arbeitsgemeinschaft "Hexenprozesse im Trierer Land", die von Franz Irsigler und Gunther Franz geleitet wird. Aus dieser fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Universität und Heimatforschern ist mittlerweile eine ganze Reihe (regionalgeschichtlicher) Darstellungen zu den Hexenverfolgungen erwachsen, die auch stets die öffentliche Breitenwirkung und Aufklärung im Auge hat. Dies setzt sich nun in der Luxemburger Ausstellung und deren Begleitkatalog fort.
Zunächst zu zwei wichtigten Wendungen gegen populäre Irrtümer, die in der seriösen Hexenforschung lange schon als widerlegt gelten müssen, aber zurecht im Katalog nochmals betont werden: Dem Leser wird von Franz Irsigler an mehreren Quellenbeispielen vorgeführt, wie wenig die abstruse, aber hartlebige These der Bremer Soziologen Gunnar Heinsohn und Otto Steiger zutrifft, wonach vor allem weise Frauen, Heilerinnen und Hebammen als Hexen verbrannt worden seien, und das aus bevölkerungspolitischen Motiven, nämlich wegen ihres (geheimen) Wissens um Abtreibungsmittel. Auch waren für die massenhaften Hinrichtungen eben nicht die katholische Kirche und ihre Geistlichkeit - selbst wenn sie das theoretische Rüstzeug bereit stellten -, sondern vor allem weltliche Gerichte verantwortlich. Um dies plausibel zu machen, skizziert Herbert Eiden die keineswegs gradlinige Entwicklung vom Ketzer- zum Hexenprozess anhand der wichtigsten Stationen von der Einführung des Inquisitionsverfahrens (ursprünglich als eine Disziplinarmassnahme gegen Kleriker gedacht) unter Papst Innozenz III. (1198-1216) über die scholastische Teufelspakttheorie und den grausamen "Hexenhammer" (1487) bis hin zur Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V., der sogenannten Carolina (1532).
Die Hexenverfolgungen im Herzogtum Luxemburg waren eng mit den Jagden in seiner unmittelbaren Umgebung verwoben. Zu den wichtigsten Nachbarterritorien zählten neben dem Herzogtum Lothringen diverse Hochstifte und Bistümer, das Kurfürstentum Trier, die Reichsabtei St. Maximin sowie zahlreiche Grundherrschaften mit eigener Hochgerichtsbarkeit. In einem gerafften Überblick über die Rahmenbedingungen dieses historischen Grenzraumes sowie über die politischen Wechsel- und Erbfälle zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert wird vor allem deutlich, dass die politische Zersplitterung und die damit unmittelbar verknüpften Aspekte wie Herrschaftssicherung und -ausbau wichtige Faktoren sind, um die Intensität der Verfolgung im Westen des Reiches sowie in Luxemburg zu erklären (Michel Pauly). Vor diesem Hintergrund sind die Hexenverfolgungen eben auch von weltlichen Obrigkeiten funktionalisiert worden. Dies bestätigt ein Blick auf die Rechtsnormen und die Gerichtspraxis in den Herzogtümern Lothringen und Luxemburg sowie im Kurfürstentum Trier und der Reichsabtei St. Maximin. Den Hexenprozessen wuchsen oftmals katalytische Funktionen zu, bewirkten sie doch einen massiven Modernisierungsschub: Neben der zunehmenden Vereinheitlichung des Gerichtswesens - eine der wichtigsten Etappen auf dem Weg zur Ausbildung vormoderner Territorialstaaten - spielten auch politische Interessen eine zentrale Rolle, die hinter den Hexenprozessen durchscheinen.
Dennoch drang der Glaube an Magie nicht erst durch Hexenprozesse in die frühneuzeitlichen Gerichtssäle, sondern waren Rechtsetzung und -sprechung bereits Teil einer religiös-magischen Weltdeutung. Die Betrachter müssen sich von der Vorstellung einer mit ausschliesslich modernen, rationalen Maßstäben richtenden Justiz lösen, vielmehr spielten bei allen Beteiligten vom Folterknecht über den Richter bis zur rechtstiftenden Obrigkeit magische Deutungen eine herausragende Rolle (Johannes Dillinger).
Neben fünf in der Forschung bekannten Faktoren, die zu den Hexenverfolgungswellen führten - allgemeine Krisensituation, Verbreitung der kumulativen Hexentheorie, Verfolgungsdruck von unten und -bereitschaft von oben, Karrierestreben einzelner Prozessbeteiligter -, war in den Territorien zwischen Maas und Rhein ein hohes Maß an Mobilität für die Hexenprozesse ausschlaggebend. Letztere läßt sich bei dörflichen Ausschuß- und Monopolmitgliedern sowie gleichfalls bei Juristen und anderen Verfahrensbeteiligten nachweisen, weshalb Territoriumsgrenzen leicht übersprungen werden konnten. Zudem verbreitete sich der Glaube an den massenhaften Teufelspakt über Wallfahrten oder Kirchweihfeste, womit Fragen nach den frühneuzeitlichen Formen öffentlicher Kommunikation stärkeres Gewicht für die Hexenforschung gewinnen (Rita Voltmer).
Seit längerem hat die historische Forschung für das Ende der Hexenverfolgungen ein ganzes Motivbündel ausgemacht; für Luxemburg und die angrenzenden Territorien ist wohl zuerst der Wandel in den obrigkeitlichen wie juristischen Sichtweisen zu nennen. Hinzu kam das Bestreben, stärker gegen das gemeindliche Ausschußwesen vorzugehen und dessen unkontrollierbare Auswüchse einzudämmen (Boris Fuge). An diesem Punkt ist freilich Kritik angebracht, denn die vielschichtigen Gründe, die zum Ende der Hexenverfolgung beitrugen, fächerte bereits ein wichtiger, hier offensichtlich unberücksichtigter Sammelband von Sönke Lorenz und Dieter R. Bauer auf. Zudem wird dort auch schon die Fortdauer des populären Hexenglaubens im 18. und teilweise 19. Jahrhundert angeschnitten, die im Lesebuch zur Luxemburger Ausstellung ausgeblendet bleibt - vom 20. und mittlerweile auch 21. Jahrhundert ganz zu schweigen, obwohl der Titel "Hexen und ihre Henker bis heute" dies doch ausdrücklich ankündigt. [1]
Wägt man alles nochmals ab, so sind die Beiträge durchweg - wie es sich für ein historisches Lesebuch gehört, welches der Ausstellungskatalog ja sein will - gut lesbar und bieten dem historisch interessierten Laien am Beispiel der Grenzterritorien zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation einen gelungenen Einblick in die Geschichte der Hexenverfolgungen. Der Ausstellungsbesucher kann das Gesehene aufgrund der Lektüre besser einordnen sowie einige Aspekte vertiefen, und der Katalog zeigt einmal mehr, dass der Historiker die Absicht nicht aufgeben darf, tiefsitzende Missverständnisse aufzuklären.
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu Sönke Lorenz/Dieter R. Bauer (Hg.): Das Ende der Hexenverfolgung, Stuttgart 1995 (= Hexenforschung; Bd. 1). Aus der Literatur zum Hexenglauben im 19. und 20. Jahrhundert sei hier nur verwiesen auf: Jürgen Scheffler, Hexenglaube in der ländlichen Gesellschaft. Lippe im 19. und 20. Jahrhundert, in: Gisela Wilbertz / Gerd Schwerhoff / Jürgen Scheffler (Hg.): Hexenverfolgung und Regionalgeschichte. Die Grafschaft Lippe im Vergleich, Bielefeld 1994 (= Studien zur Regionalgeschichte; Bd. 4), S. 263-296; Inge Schöck: Hexenglaube in der Gegenwart. Empirische Untersuchungen in Südwestdeutschland, Tübingen 1978 (= Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen; Bd. 45); Owen Davies: Witchcraft, Magic and Culture 1736-1951, Manchester 1999.
Empfohlene Zitierweise:
Nils Freytag: Rezension von: Rita Voltmer / Franz Irsigler (Hg.): Incubi Succubi. Hexen und ihre Henker bis heute. Ein historisches Lesebuch zur Ausstellung im historischen Museum der Stadt Luxemburg (5. Mai bis 29. Oktober 2000), Luxemburg: Musée de la ville de Luxembourg 2000, in: PERFORM 2 (2001), Nr. 1, URL: <http://www.sehepunkte.de/perform/reviews.php?id=95>
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