Die vorliegende Habilitationsschrift (Universität Essen, 1999) analysiert die Normierung der Diskurse von Wissenschaft und Literatur während der Scientific Revolution im England des 17. Jahrhunderts, wobei die Ausdrücke 'Wissenschaft' und 'Literatur' als "historiographische Beschreibungskategorien" dienen (15). Hauptthese ist, dass die poetische Imagination während dieser Epoche zum Gegenpol der wissenschaftlichen Ratio erklärt wurde, sich also 'zwei Kulturen' im Sinne C.P. Snows herausbildeten. Doch ist diese Entwicklung, laut Nate, auch "eine Geschichte wechselseitiger Thematisierungen" und Analogien (11): Trotz der Forderung der Royal Society nach einem plain style blieben poetische Verfahren fester Bestandteil des Wissenschaftsdiskurses; gleichzeitig veränderte sich aber auch das Motiv-Repertoire der 'Literatur' durch den Einfluss der Neuen Wissenschaft. Analogien existierten außerdem zwischen den epistemologischen Grundlagen naturwissenschaftlicher Forschung und den ästhetischen Prinzipien des Neoklassizismus, so etwa das Gebot der Plausibilität, das für wissenschaftliche Hypothesen und fiktionale Weltentwürfe gleichermaßen galt. Doch wie Nate im Anschluss an Barbara Shapiros Probability and Certainty in Seventeenth-Century England (1983) feststellt, machte gerade diese konzeptuelle Nähe es für Dichter und Naturwissenschaftler umso dringlicher, sich voneinander abzugrenzen.
Nates Einzeltextinterpretationen, die stark auf die Forschung der sechziger und siebziger Jahre zugreifen, streben jeweils "keine neue Lesart des Textes an, sondern wollen in erster Linie dessen Beziehung [zum] historischen Prozeß der Diskursnormierung [...] in den Blick nehmen." (275) Im 1. Teil seiner Studie, der Francis Bacons richtungsweisende wissenschafts- und literaturtheoretische Aussagen untersucht, interessiert Nate daher an der Utopie New Atlantis vor allem deren "interdiskursiver Status" (73). Dem Problem der Bacon-Schrift De Sapientia Veterum, deren "Hochachtung vor der antiken Kultur" zunächst einen Gegensatz zu Bacons "Erneuerungspathos" zu bilden scheint (51), begegnet Nate mit der von Lisa Jardine u.a. in den 1970ern entwickelten Theorie, Bacons Umgang mit Mythen sei im Kontext seiner Überlegungen zur sprachlichen Vermittlung philosophischen Wissens zu sehen. Eine gelungene Perspektivierung bietet die Gegenüberstellung von De Sapientia mit Henry Reynolds' pessimistischer Geschichtsauffassung in Mythomystes.
Im 2. Teil analysiert Nate die Vermittlungsfunktion von utopischen Schriften des 17. Jahrhunderts zwischen philosophischem und öffentlichem Diskurs; er berücksichtigt unter anderem Campanella, Plattes und Godwin. Sehr aufschlussreich ist der Vergleich zwischen Bacons und Godwins fortschrittlichen (das heißt säkularisierten) zeichentheoretischen Prämissen, so Godwins Überlegungen zu Telekommunikationssystemen mit Hilfe von baconianisch konventionell geregelten Zeichen. Der 3. Teil stellt die Verfestigung der Diskursnormen in zeitgenössischen Poetiken und wissenschaftlichen Traktaten dar, der 4. Teil konzentriert sich auf deren Rolle im Werk Margaret Cavendishs. So verfolgt Nate Cavendishs Überlegungen zum Verhältnis von Fakt und Fiktion durch ihre Werke, ebenso ihre schrittweise Aneignung des plain style-Ideals. Der neoplatonischen ebenso wie der neoklassizistischen Funktionsbestimmung von Dichtung zieht Cavendish das "freie Spiel der Einbildungskraft" vor (212). Dass die Publikation ihrer wissenschaftlichen Observations und der fiktionalen Blazing World im selben Band einen metareferentiellen Kommentar zum Verhältnis von philosophischem und poetischem Diskurs darstellt, ist allerdings im Laufe des 'Margaret Cavendish Revivals' der letzten fünf Jahre bereits häufig festgestellt worden. Cavendishs metakommunikative Passagen in den Observations machen laut Nate die angestrebte Transparenz des eigenen Texts gerade wieder zunichte. Somit scheint Cavendish unabsichtlich das zu tun, was Swift später zum satirischen Prinzip erhebt (siehe 283); leider geht Nate auf diese Ironie nicht ein.
Der 5. Teil schließlich zeigt die erneute "Infragestellung diskursiver Normen am Ende des Jahrhunderts" (22) in der englischen Variante der Querelle des Anciens et des Modernes, vor allem bei Temple, Wotton und Bentley, sowie schließlich in Jonathan Swifts satirischer Replik auf die Neue Wissenschaft. Wichtig ist Nates grundsätzliche Erkenntnis, dass 'Fortschritt' und 'Tradition' in den Texten der Zeit viel stärker verzahnt waren als es oberflächliche Darstellungen der Scientific Revolution vermuten lassen. So stellten die 'Moderns' die Errungenschaften der Antike selten pauschal in Frage, und so bediente sich die zeitgenössische Naturphilosophie teilweise bei antiken Erklärungsmodellen. Wie Nate abschließend feststellt, erwiesen sich sowohl Swifts satirische Wissenschaftskritik als auch Temples Kulturkritik letztlich "als Instrumente [zur] Verfestigung" der Diskursnormen (316).
Grundlegendes Problem der Studie ist ihr formaler texttheoretischer Ansatz. Der Verzicht auf sozialgeschichtliche Kontextualisierung leitet sich offenbar aus einem Versuch her, die "semantische Unschärfe des Foucaultschen Diskursbegriffs" zu vermeiden; laut Nate resultiert diese daraus, dass Foucault nicht nur "die kommunikative Praxis in einer bestimmten Phase der Geschichte, sondern zugleich auch die Bedingungen dieser Praxis" zu erfassen versucht (16). Dagegen beschränkt sich Nate ausdrücklich auf ein Verständnis von Diskurs als "System des Denkens und Argumentierens, das von einer Textmenge abstrahiert ist" (17) und betreibt die Diskursanalyse auf einer rein formalen Ebene zusammen mit Gattungstheorie und Texttypologie. Als Resultat aber ergibt sich ein recht blutleeres Bild: Text- und Gattungssysteme scheinen sich in Eigendynamik abzustoßen oder auszudifferenzieren. Akribisch werden die zeitgenössischen Klassifikationen von Diskurstypen nachvollzogen und in Diagrammen graphisch dargestellt.
Durch die formale Analyse werden oft wichtige Aspekte vernachlässigt, nicht zuletzt der, dass es sich beim Siegeszug der Neuen Wissenschaft und der Gründung der Royal Society auch um eine gesellschaftspolitische Entwicklung handelte. Nate ignoriert häufig politische Subtexte der naturwissenschaftlichen Traktate, wie zum Beispiel die Verbindung zeitgenössischer Atomtheorien mit der Diskussion von Herrschaftsmodellen. Außerdem hätte man den Ansatz Steven Shapins einbeziehen sollen, der in A Social History of Truth: Civility and Science in Seventeenth-Century England (1994) die soziologischen Bedingungen von Wissensdiskursen dargelegt hat. Besonders Shapins Nachweis, dass im 17. Jahrhundert wissenschaftliche Sprechakte erst innerhalb komplizierter Hierarchien anerkannt werden mussten, hätte für die Analyse der Außenseiterposition Margaret Cavendishs genutzt werden können. Der pragmatische Aspekt einiger von Cavendishs Äußerungen erschließt sich zudem erst, wenn man auch ihre Stellung als Adlige berücksichtigt: So ist es schwer zu entscheiden, ob ihre Erklärung in einem ihrer Vorworte, "My intention was, not to teach Arts, nor Sciences, [...] but to passe away idle Time", tatsächlich den "Funktionsverlust" der Dichtung beschreibt (234) oder nicht vielmehr als höfischer Topos des adligen 'Zeitvertreibs' zu erklären ist.
Trotz der vielen gelungenen Einzelinterpretationen bleibt die Studie also insgesamt recht unbefriedigend: Zwar geht Nate mit seiner gründlichen textstrukturellen Analyse über herkömmliche Ideengeschichten hinaus, doch sind andererseits die engen Grenzen seiner formalistischen Betrachtungsweise offensichtlich. Die vielen vorsichtigen Absicherungsmanöver bezüglich der eigenen Methode, die Wiederholungen und der wortreiche Fachjargon lassen das Buch zudem länger werden als nötig.
Richard Nate: Wissenschaft und Literatur im England der Frühen Neuzeit (= Figuren; Bd. 9), München: Wilhelm Fink 2001, 362 S., ISBN 978-3-7705-3525-5, DM 88,00
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