Der umfangreiche Sammelband fasst das unter gleichem Titel vom 12. bis 14. August 1999 in Xanten ausgerichtete erste Kolloquium der Niederrhein-Akademie zusammen. Gleich zu Beginn - und wohl auch im Sinne einer vorsichtigen Definition des im vorliegenden Band behandelten Raumes - macht es sich Helmut Tervooren zur Aufgabe, der Entstehung des Landschaftsnamens "Niederrhein" aus wort- und begriffsgeschichtlicher Sicht nachzugehen (9-27). Auf seiner Spurensuche vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert kann er nachweisen, dass der sich um das Jahr 1600 aus dem schon im 13. Jahrhundert für den Rhein-Maas-Raum belegten niderlant entwickelnde Begriff noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts "nach seiner Landschaft suchte" (12). Die geografischen Zuschreibungen dieses offenen Terminus variierten stark und waren in wechselnder Weise durch politische, geografische, sprachliche wie auch mentalitätsbezogene Begebenheiten bedingt. Erst "Preußisierung und Industrialisierung" (25) im 19. Jahrhundert wirkten sich schließlich loyalitätsbündelnd und identitätsstiftend für eine bis zum heutigen Tag immer noch offene und - was die Zugehörigkeit zu ihr angeht - flexible Landschaft innerhalb subjektiver Grenzen aus.
Die Bedeutung von Sprache und Dialekt auf die Ausbildung eines Sprachraumes wird in zwei Beiträgen verdeutlicht: Zunächst zeigt Robert Möller anhand des dichten volkssprachlichen Quellenmaterials im Briefverkehr zwischen dem Herzog von Kleve und der Stadt Wesel mit der Kölner Ratskanzlei Entwicklungen der regionalen Schreibgewohnheiten im 15. Jahrhundert auf (41-65): Die Korrespondenz weist dabei eine weitgehende Beibehaltung der jeweiligen lokalen Dialektformen auf, gleichzeitig ist aber auch eine weiter zurückreichende Linie der beiderseitigen Annäherung von niederrheinischer und ripuarischer Sprach- und Schrifttradition zu beobachten. Mit der Methode der Kartografie analysiert später Georg Cornelissen - nun allerdings mit Bezug auf die Neuzeit - Entwicklung und Überlagerungen der einzelnen Dialekte in Kleve, Köln und der Uerdinger Zone (393-405).
Mit den heimlichen Hauptstädten von Kleve-Mark befasst sich der Beitrag von Dieter Scheler (191-205). Die Frage "Köln oder Brüssel?" kann schließlich anhand der politisch-dynastischen Geschichte des "burgundischen" 15. Jahrhunderts - die einschneidende Zäsur stellt die burgundisch-klevische Verlobung Adolfs II. von Kleve mit Maria, der Tochter des Herzogs Johann Ohnefurcht von Burgund dar - zu Gunsten Brüssels beantwortet werden.
Aus kirchengeschichtlicher Perspektive untersucht Manfred Groten angesichts der sich seit 1374 von Deventer aus in Westfalen und am Niederrhein ausbreitenden Frömmigkeitsbewegung der Devotio moderna die zentralörtliche Funktion Kölns (29-40). Infolge der "ausgesprochen schwachen Kirchenherrschaft des Stadtrates" (34) seit 1396 kann über die Anzahl und Vielfalt der Devoteneinrichtungen - nicht zuletzt aber auch durch den erfolgreichen Anklang bei der Bevölkerung - eine "energische Präsenz" der Devotia moderna in Köln konstatiert werden (36) und die Metropole, bedingt durch ihre wirtschaftliche Ausnahmestellung als Absatz- zugleich aber auch Pfründenmarkt, zum Zentrum der Bewegung im Rheinland werden.
Mit der teils strittigen Kompetenzverteilung in Angelegenheiten der Kirchenverwaltung, der Pfarrseelsorge, der Jurisdiktion und nicht zuletzt auch der Pfründenverwaltung zwischen der Erzdiözese Köln und seinem Archidiakonat Xanten befasst sich der Beitrag von Wilhelm Janssen (117-135), der diverse Entscheidungsprozesse unter den Rahmenbedingungen spätmittelalterlicher Kirchenorganisation beleuchtet.
Mit dem Paradox Kölns als Stadt ohne Juden und gleichzeitigem Zentralort des rheinischen Judentums befasst sich der Beitrag Stefan Rohrbachers, der die "eigentümliche Rolle der großen Stadt Köln" gegenüber dem "ländlich-kleinstädtischen rheinischen Judentum" (101) zum Thema hat. Nach den Pestverfolgungen Mitte des 14. Jahrhunderts sind bis zur endgültigen Ausweisung durch den Kölner Rat im Jahr 1424 zwar weniger, gleichwohl aber wohlhabendere Juden in der Stadt nachgewiesen. Diese waren als weitestgehend auf die Pfandleihe beschränkte Schutzjuden ständiger Spielball zwischen Stadt- und Landesherrschaft. Diskriminierung und Abwanderung führten schließlich zu einer Atomisierung im durch Nothandel und Hausierertum geprägten Landjudentum. Köln geriet dabei in die Rolle eines feindlichen, gleichfalls aber zentralen Ortes für das Judentum (114).
Anhand des Vergleiches von Köln mit den Vereinigten Herzogtümern Jülich-Kleve-Berg erläutert Heribert Smolinsky die Kirchenpolitik zur Zeit der Reformation und Gegenreformation (307-322). Hinsichtlich der eigenen Politik wie auch der Reaktion und Parteinahme bezüglich äußerer Einflüsse (etwa der Reichspolitik, der Wirkmächtigkeit von Reformationsbefürwortern und -gegnern sowie Entwicklungen in einzelnen Kommunen) lassen sich hier mittels der komparatistischen Methode Gemeinsamkeiten und Differenzen belegen. Wilhelm Damberg vermag auf ähnliche Weise für das 19. Jahrhundert aufzuzeigen, dass sich die zunächst verwaltungsmäßige Neugliederung der Niederrheinlande in der nachnapoleonisch-preußischen Zeit letztlich auch nachhaltig auf die Diözesen Köln und Münster auswirkte. Neben Beispielen zu Episkopaten einzelner Bischöfe - exemplarisch ist hier etwa das Kölner Ereignis, die Verhaftung des "münsterischen" Bischofs von Köln 1837 - stehen die sich nachhaltig unterschiedlich entwickelnden Identitäten des Kirchenvolkes im Zentrum des Beitrages (383-391).
Dieter Strauch analysiert anhand anschaulicher Beispiele Rechtsfragen im spätmittelalterlichen Handel zwischen Köln und den Niederrheinlanden unter Bezug auf äußere Rahmenbedingungen wie Landfrieden, Handelsfreiheiten und -verträge, freies Geleit und Zoll. So hatte beispielsweise der zunehmende Vollzug eines Sach- und weniger eines Personalarrests mittels Erbenhaftung die nützliche Folge, verschuldeten Leichnamen den teils üblichen Arrest zu ersparen! Um Verbraucherschutz und Sachmängelhaftung war es seinerzeit lange schlecht bestellt, galt hier doch in der Regel der hehre Grundsatz "gekauft wie gesehen". Am Beispiel des Kaufmannes Johann Westfelinck (um 1485) illustriert Strauch abschließend das Dilemma der Stadt Köln, ein rechtes Maß zwischen Bürgerschutz und dringend notwendiger Bestrafung eines schwarzen Schafes im Sinne goeder koumanschaff zu finden.
In seinem Beitrag "Zum Wandel von Bildungsinteressen im Spätmittelalter. Niederländische Studenten und die Kölner Universität" (173-189), befasst sich Götz-Rüdiger Tewes zunächst mit der quantitativen Analyse der Herkunft von Studierenden der 1388 gegründeten Universität - ihn interessiert dabei vor allem der wechselnde Anteil niederländischer Besucher im Zeitraum von 1400 bis 1550. Nur wenig zeitversetzt zum wechselseitigen Einfluss sowohl durch als auch auf den niederländischen Humanismus lässt sich in der Folge anhand des Rückganges der Immatrikulationszahlen dieser Provenienz die Konkurrenz der dort neuen humanistisch-reformierten Gymnasien zur Kölner Universität erkennen.
Die Beiträge zur Kunstgeschichte sind leider nicht en bloc in den Band aufgenommen, obgleich sie in deutlichem Zusammenhang stehen und sich zum Teil auch ergänzen. So stehen die rahmenden Aufsätze von Wolfgang Schmid, der den kulturellen Austausch zwischen Köln und den niederrheinischen Städten während der Spätgotik behandelt (137-171) und Jutta Prieurs Resümee hinsichtlich "Religion, Kunst und Kommerz am Niederrhein" (355-365) ebenso isoliert, wie gleich zwei Abhandlungen zur Sakralkunst, die man sich auch wegen der hier zahlreichen Abbildungen enger beieinander wünschen würde: Barbara Rommeé, Der Niederrhein und seine westlichen Kulturraumbeziehungen um 1500. Künstler und Vorbilder für das Kalkarer Hochaltarretabel (207-225 und Quellenauswahl 226-237), sowie Godehard Hoffmann, Antwerpener Retabel in den Niederrheinlanden. Zur Rolle der Auftraggeber bei der Gestaltung importierter Flügelaltäre (271-306).
In ähnlich ungebundener Reihung, jedoch in chronologischer Abfolge vervollständigen sechs Beiträge zur Handels- und Wirtschaftgeschichte den Sammelband: Jörg Engelbrecht, Verkehrs- und Kommunikationsbeziehungen zwischen Köln und dem Niederrhein (239-255), Guillaume van Gemert: Köln als Umschlagplatz niederländischen Schrifttums im 16. und 17. Jahrhundert. Ein Problemaufriß (257-269), Clemens von Looz-Corswarem, Zum Stapelrecht von Köln und der Schiffahrt auf dem Niederrhein in der frühen Neuzeit (323-338), Johannes Arndt: Köln und die Medienproduktion zum spanisch-niederländischen Krieg 1566 bis 1648, (339-353), Dietrich Ebeling: Zwischen Handel und Industrie. Köln und die Rheinlande im Zeitalter der "Modernisierung" (1700-1820) (367-382), und der Debattenbeitrag von Hansjoachim Henning, Der niederrheinische Wirtschaftsraum 1830 bis 1914 (407-414).
Im abschließenden zeitgeschichtlichen Artikel geht Horst Matzerath noch kritisch dem Selbstverständnis der "Hansestadt Köln" (seit 1935) als "Tor zum Westen" sowie Kölns Rolle in der Expansionspolitik des Dritten Reiches nach (415-440). Im Anschluss an die eher kommunalpolitisch geprägte Zeit unter dem Oberbürgermeister Konrad Adenauer (1919-1933) versuchte die Stadt durch politische, wirtschaftliche und kulturelle Aktivitäten, nicht zuletzt aber auch durch eine regelrechte Anbiederung an den "Führer" Hitler selbst (Abbildung 1-3!), seine geografische Lage als "Vorposten im Westen" im Sinne der NS-Ideologie zu Gunsten größeren Einflusses und Geltung auszunutzen - Planungen und Konzepte, die schließlich mit dem "Dritten Reich" untergingen.
Wenn auch eine thematische Ordnung der immerhin 22 Einzelbeiträge sicher Sinn gemacht hätte, erleichtern ausführliche Register zu den Personen- und Ortsnamen (441-450 und 451-458) die Erschließung des inhaltlich zweifelsohne schwergewichtigen Bandes.
Dieter Geuenich (Hg.): Köln und die Niederrheinlande in ihren historischen Raumbeziehungen (15. - 20. Jahrhundert) (= Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein insbesondere das alte Erzbistum Köln; 17), Köln: Rheinland-Verlag 2000, 466 S., 40 Abb., ISBN 978-3-7927-1836-0, EUR 23,01
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