Richard Georg Plaschka war drei Jahrzehnte lang, bis in die späten Achtzigerjahre, am Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut und an der Universität Wien tätig. Er ist mit zahlreichen Veröffentlichungen zur Geschichte Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas hervorgetreten. Seine Forschungen konzentrieren sich vornehmlich auf Probleme von Nationalbewusstsein und Nationalismus, sie thematisieren schwerpunktmäßig das Ende der Donaumonarchie und kreisen um Fragen im Zusammenhang mit Revolte, Revolution und Militär. Die Bedeutung der "inneren Front" und die besondere Rolle von Eid und Widerstand haben ihn hierbei besonders interessiert. Man darf die mehr als tausend Seiten umfassende Studie von Plaschka über die "Avantgarde des Widerstands" daher als eine Art Forschungssynthese, erwachsen aus seinem wissenschaftlichen Hauptinteresse, begreifen.
Liest man den Titel zusammen mit dem Untertitel "Modellfälle militärischer Auflehnung im 19. und 20. Jahrhundert", so ergibt sich die Ausgangsüberlegung Plaschkas: Ihm gilt das Militär als Einrichtung, in der sich für den Einzelnen die Rolle des Bürgers mit der des Vertreters der staatlichen Exekutive vereint. Weil das Militär bei traditionsbewusster Grundhaltung gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegelt, kann für Plaschka das Heer - und mit diesem beschäftigt er sich vornehmlich - "in Extremsituationen auch Spitzen des Wandels bildende und vortreibende Kraft - Speerspitze, Avantgarde des Widerstands" (I, 19) werden. Letztlich geht es ihm also um "Soldaten im Widerstand" (I, 20) und um die Frage, wie ihre Haltungsmuster, die sie in Krisensituationen entwickelten, fortgewirkt haben und gesellschaftliche Veränderungen bewirken konnten.
In 27 geografisch weit gespannten Fallstudien zum 19. und 20. Jahrhundert, die ihren Schwerpunkt in Ostmittel- und Osteuropa haben, beschreibt Plaschka Ereignisgeschichten von Auflehnungen des Militärs und Untergrundkämpfern gegen die vornehmlich politische Führung. Die Einzelstudien, denen er gleichsam als Archetypus der Verratsproblematik den Fall Wallensteins voranstellt, hat er nach unterschiedlichen und typenbildenden Ausgangssituationen für Auflehnung ausgewählt: Er unterscheidet Widerstandshandlungen von Truppen, die in repressiven Aktionen eingesetzt waren (wie zur Überwindung von Insurrektion und "Konterrevolution" oder im Rahmen des kolonialen Imperialismus), von denen, die in Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen Strömungen standen (wie sozialer Aufruhr, nationale Frontstellung, Hauptstädte in Umsturzkrisen, Widerstand von Offizieren und Aktivitäten aus dem Untergrund).
Die Fallstudien lassen sich auf zwei Arten wahrnehmen, entweder als überblickartige Einführungen in das jeweilige Ereignis oder in ihrer Gesamtheit gewissermaßen als große Fußnote für den zweiten Band, der die kausalen Abhängigkeiten der Fälle - wiederum gestützt durch viele konkrete Beispiele - darlegen soll. Ausgehend von einer Systematisierung der Widerstandshandlungen des 19. Jahrhunderts untersucht Plaschka in diesem zweiten Band ausführlich das Verhalten der deutschen Wehrmacht im Nationalsozialismus, beschreibt anschließend die Tradierung von Widerstandsdenken und fragt abschließend nach subjektiven Entscheidungsimpulsen für Widerstand.
Die Rezensentin hat Plaschkas Studie gegen den Strich, mit Schwerpunkt auf dem Begriff des Widerstandes und nicht mit dem Blick auf das Militär, wie von Plaschka intendiert, gelesen und sich gefragt, inwieweit sich Plaschkas Überlegungen auch auf andere gesellschaftliche Gruppen als Träger von Widerstand übertragen lassen. Vor diesem Hintergrund schiene der Rezensentin der Titel "Widerstand als Avantgarde" angemessener.
Auch nach Plaschkas Studie ist das Definieren von Widerstand nicht leichter geworden, da die Lektüre seiner Arbeit bewusst macht, wie nuancenreich das Spektrum von Loyalitätsirritationen bis hin zu Auflehnung und Widerstand ist und dass im Grunde die Betrachtung jedes neuen Falles - ungeachtet der von Plaschka vorgeschlagenen Systematisierung - neue Aspekte einbringt. Vor diesem Hintergrund hätte sich die Rezensentin ein Resümee gewünscht, das den Versuch unternimmt, die Kategorien, die Plaschka entwickelt hat, um militärischen Widerstand zu differenzieren, im Hinblick auf seine Ausgangsfrage auch wieder zusammenzufassen. Gleichwohl ist Plaschkas Arbeit ein gewichtiger Impuls für die Widerstandsforschung: Er gibt dem Problem von Widerstand eine bislang eher vernachlässigte Tiefendimension, weil er regional und zeitlich vergleichend vorgeht und überdies eine Ost-West-Perspektive mit globalen Elementen verknüpft.
Richard Georg Plaschka: Avantgarde des Widerstandes. Modellfälle militärischer Auflehnung im 19. und 20. Jahrhundert (= Studien zu Politik und Verwaltung; Bd. 60), Wien: Böhlau 2000, 2 Bde., zus. 1112 S., ISBN 978-3-205-98390-3, EUR 95,90
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