Den Zugang zur frühneuzeitlichen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte der Mark Brandenburg und ihrer Hauptresidenz Berlin anhand eines neuartigen biografisch-bibliographischen Handbuches zu erleichtern, ist das ehrgeizige Ziel eines Forschungsprojektes, dem sich seit der Mitte der Neunzigerjahre Lothar Noack und Jürgen Splett am Potsdamer Institut für Germanistik widmen. Im vergangenen Herbst erschien nun der dritte von mehreren Lexikonbänden, der über Leben und Werk von brandenburgischen Dichtern und Gelehrten informiert. Dieser Band, der wie seine beiden Vorgängerbände unter der Herausgeberschaft des Literaturwissenschaftlers Knut Kiesant steht, ergänzt die Biografien der zwischen 1640 und 1713 innerhalb Berlin-Cöllns lebenden Intellektuellen um die im selben Zeitraum außerhalb der Doppelstadt wirkenden Gelehrten.
Mit diesem personengeschichtlichen Nachschlagewerk, das nunmehr bereits mehr als 150 Namen umfasst, wird die in den Bestandsaufnahmen der landesgeschichtlichen Forschung nach der deutschen Wiedervereinigung wiederholt als Desiderat beklagte Kulturgeschichte - blieben doch die geistig-kulturellen Entwicklungen Brandenburgs anders als die Politik- und Verfassungsgeschichte ein vergleichsweise wenig bearbeitetes Feld historischer Forschung - um ein zentrales Hilfsmittel bereichert. Denn primär als solches versteht sich das Handbuch, für das eine erweiterte Ausgabe als CD-ROM geplant ist. Der Berichtszeitraum der bisher vorliegenden Bände umfasst die Regierungszeiten des Großen Kurfürsten und Friedrichs (III.) I. Weitere Bände für die Zeit vor 1640 seit der Gründung der Frankfurter Landesuniversität (1506) und der Einführung der Reformation (1539) sollen folgen. Auch ein Band zur Neumark ist vorgesehen. Der Frühneuzeitforschung, die sich mit dem späten 16. Jahrhundert als "Vorsattelzeit der Moderne" und mit den Umbrüchen des 17. Jahrhunderts beschäftigt und dabei den in Brandenburg virulenten Konfessionalisierungsprozessen, dem Nebeneinander von lutherischer Orthodoxie und Reformiertentum und dem Aufkommen von Pietismus und Frühaufklärung nachgeht, bietet dieses prosopographische Handbuch einen umfangreichen Schatz an Einzelinformationen.
Für die Auswahl der aufzunehmenden Personen wurde ein pragmatisches Kriterium gewählt: Personen, auf die man bei der Beschäftigung mit der frühneuzeitlichen Geschichte Brandenburg-Preußens immer wieder stößt. Und diese Auswahl überzeugt. Unter den Aufgeführten befinden sich jedoch nicht nur solche Gelehrte, die der regionalen Spezialforschung geläufig sind, sondern auch einige vergessene und weniger bekannte Personen, die das brandenburgische Geistes- und Kulturleben geprägt haben. Darunter beispielsweise Maria Margaretha Kirch (1670-1720), die als Astronomin im Schatten ihrer männlichen Familienmitglieder die Arbeit des Observatoriums der Berliner Sozietät der Wissenschaften maßgeblich mitbestimmt hat. Gleichwohl bildet sie als Wissenschaftlerin neben zwei weiteren Frauen eher die exotische Ausnahme.
Mehr als zwei Drittel der aufgeführten Personen sind Theologen, was darauf verweist, dass auch in Brandenburg diese Wissenschaftsdisziplin ihre Leitfunktion bis in das 18. Jahrhundert hinein behauptet hat. Unter den Berliner Theologen befinden sich zum einen deutsche, aber auch französische Reformierte, die als Hof- und Domprediger in landesherrlichen Diensten standen. Daneben werden sämtliche wichtige Geistliche der lutherischen Doppelstadt, angefangen bei den Pröpsten und Inspektoren über die Archidiakone und Diakone bis hin zu Kantoren, die für die Berliner Musikgeschichte von Bedeutung sind, angeführt. Für die Kirchengeschichtsforschung sind nicht zuletzt die Artikel über die erste Pietistengeneration wertvoll, deren Ausführlichkeit angesichts des weitgehend unerforschten nachspenerschen Pietismus in Berlin und Brandenburg eine äußerst erfreuliche Tatsache darstellt.
Die bildungsgeschichtliche Forschung profitiert davon, dass hier erstmals sämtliche bedeutenden Schulmänner an einer Stelle zusammengeführt werden; darunter vor allem Berliner Gymnasiallehrer, jedoch auch Lehrer der brandenburgischen Ritterakademien. Bedauerlich ist allerdings das Fehlen des berühmten pietistischen Pädagogen Joachim Lange (1670-1744) oder auch des hugenottischen Mathematikers und Sozietätsmitgliedes Philippe Naudé der Ältere (1654-1729). Unter den Wissenschaftspolitikern vermisst man den Naturrechtler Paul von Fuchs (1640-1704), der als brandenburgisch-preußischer Staatsminister und Kurator der Universitäten Halle und Frankfurt die staatliche Wissenschafts- und Universitätspolitik entscheidend mitbestimmt hat. Die Juristen bilden neben den Medizinern die dritte größere Gelehrtengruppe. Mit der Berücksichtigung von Leben und Werk der wichtigsten Frankfurter Rechtsprofessoren leistet das Handbuch einen wertvollen Beitrag zur notwendigen Erforschung der Frankfurter Wissenschafts- und Universitätsgeschichte.
Das Konzept der Bio-Bibliographie bietet zu jeder der ausgewählten Personen einen biografisch angelegten Darstellungsteil und einen bibliografischen Teil. Soweit vorhanden, sind den Artikeln Porträts vorangestellt. Die Kurzbiographien sind je nach Quellenlage und Bekanntheitsgrad unterschiedlich lang und stützen sich vor allem auf die einschlägige landesgeschichtliche Standardliteratur. Daneben greifen die Autoren jedoch auch auf Einzelveröffentlichungen, insbesondere auf das in Berliner und Brandenburgischen Sammlungen weit verstreute Personalschrifttum zurück und gelangen dabei zu neuen Erkenntnissen. Bei der Darstellung von Leben und Werk wird der Schwerpunkt auf Herkunft, Ausbildung und Laufbahn sowie Einbindung der jeweiligen Gelehrten in die "respublica litteraria" gelegt. Die Gesamtschau auf die einzelnen Biografien ermöglicht dem aufmerksamen Leser wichtige Aufschlüsse über beziehungs- und vermittlungsgeschichtliche Aspekte in der Brandenburgischen Geistes- und Kulturgeschichte. In der Zeit der konfessionalisierten Gesellschaft betrifft dies Fragen nach Einflüssen des westdeutschen und westeuropäischen Calvinismus ebenso wie nach den Verbindungen zum sächsischen Luthertum und zur mitteldeutschen Frühaufklärung. Auch werden die Vermittlungsfunktionen der brandenburgischen Landesuniversitäten, insbesondere der Viadrina, deutlich. Hierin ist ein originärer Forschungswert zu sehen, auch wenn die Forschungsdiskussion im Darstellungsteil im Hintergrund bleibt. Letzteres ist von der geplanten Gesamtdarstellung zur Kulturgeschichte Brandenburgs zu erwarten, die den Abschluss des Forschungsprojektes bilden soll.
Der auf Vollständigkeit zielende bibliografische Teil weist alle ermittelten Werke des jeweiligen Gelehrten einschließlich der Personalschriften und Casualia nach und listet diese chronologisch mit Standortnachweisen auf. Die durch Autopsie gewonnenen bibliografischen Aufnahmen bewegen sich erfreulicherweise auf höchstem bibliothekarischem Niveau. Dass sich das Handbuch damit funktional zum Teil mit anderen Erschließungsinstrumenten wie dem VD 17 überschneidet, tut dem hohen Nutzwert dieser Bibliografie keinerlei Abbruch. Daneben wird auf ungedrucktes Quellenmaterial verwiesen. So verzeichnet das Handbuch handschriftliche Briefe, Selbstzeugnisse und anderes wichtiges Archivmaterial in Auswahl. Die Bibliografie enthält darüber hinaus ältere und neuere Literatur über die Gelehrten, auch hier je nach dem Bekanntheitsgrad vollständig oder nur in Auswahl. Dabei werden neben Leichenpredigt und Abdankung auch Gelegenheitsgedichte auf die entsprechende Person aufgeführt.
Am Ende jedes Bandes befindet sich ein Verzeichnis der benutzten Standardliteratur sowie ein hilfreiches Personenregister, das sowohl den Darstellungsteil als auch die aufgenommene Literatur erschließt. Der besondere Wert des Handbuches liegt jedoch in der im bibliografischen Teil geleisteten Erschließungsarbeit von bisher ungesichteten Literaturgattungen, die erst seit jüngerer Zeit in das Blickfeld der historischen Forschung gerückt sind. Angesichts der disparaten Berlin-Brandenburgischen Bibliotheks- und Archivlandschaft wird hiermit für eine nächste Generation von Forschern eine ganz neue Ausgangsbasis geschaffen. Doch auch der von keinem spezifischen Forschungsinteresse geleitete Leser kann sich von dem Gelehrtenlexikon angesprochen fühlen. Dazu trägt nicht zuletzt die ansprechende äußere Gestaltung der Bände bei. Abschließend bleibt zu hoffen, dass dieses Forschungsprojekt in Zeiten knapper Gelder erfolgreich fortgeführt werden kann.
Lothar Noack / Jürgen Splett: Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Berlin-Cölln 1640-1688 (= Veröffentlichungen zur brandenburgischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit), Berlin: Akademie Verlag 1997, X + 542 S., 24 Abb., ISBN 978-3-05-002840-8, EUR 128,00
Lothar Noack / Jürgen Splett: Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Mark Brandenburg 1640-1713 (= Veröffentlichungen zur brandenburgischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit), Berlin: Akademie Verlag 2001, VIII + 688 S., 24 Abb., ISBN 978-3-05-003570-3, EUR 128,00
Lothar Noack / Jürgen Splett / Kurt Kiesant: Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Berlin-Cölln 1688-1713 (= Veröffentlichungen zur brandenburgischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit), Berlin: Akademie Verlag 1999, IX + 561 S., 41 Abb, ISBN 978-3-05-003318-1, EUR 126,80
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