Wollte man eine Liste der lehrreichsten Ausstellungen zur niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts aufstellen, die 1991/92 in Köln und Utrecht gezeigte Schau "I Bamboccianti. Niederländische Malerrebellen im Rom des Barock" dürfte nicht fehlen. Zu den bleibenden Erinnerungen an dieses Ausstellungsprojekt, das sich mit der ab 1630 im Umkreis der römischen "Schilders-bent" beginnenden Ausbildung eines niederländischen Genrebildtypus mit italianisanter Motivik und Atmosphäre befasste, zählt eine Gruppe von Figurenbildern von Michael Sweerts. Genau ein Jahrzehnt später wurde dem vor allem in Rom, Brüssel und den Nordniederlanden tätigen Maler nun verdientermaßen wieder eine eigene monografische Schau gewidmet.
Einzige europäische Station der sehenswerten Ausstellung mit rund 50 Werken von Sweerts war das Rijksmuseum in Amsterdam (09.03.-20.05.02), das den weltweit größten Bestand an Bildern des Künstlers sein eigen nennt. Im Anschluss ging die Schau in die Vereinigten Staaten, um dort im Fine Arts Museum of San Francisco (15.06.-25.08.02) und im Wadsworth Atheneum Museum of Art in Hartford (19.09.-01.12.02) zu gastieren.
Als Trostpflaster für das zu kurze Gastspiel in Europa verbleibt eine von Guido Jansen und Peter C. Sutton herausgegebene Ausstellungspublikation, die neben einem Katalog der ausgestellten Werke auch fünf überwiegend lesenswerte Aufsätze zu Sweerts Leben, Werk und Wirkung enthält.
Die von Sutton verfasste "Introduction" (11-24) spannt einen weiten thematischen Bogen, ausgehend von Fehlurteilen über Sweerts im 19. Jahrhundert, über sein persönlich distanziertes und doch zugleich enges künstlerisches Verhältnis zu den Bamboccianti, bis hin zu Ansätzen einer frühen Rezeptionsgeschichte seiner Gemälde. Der Leser erhält einen Überblick über die aktuelle Forschungslage, in den zudem viele kurze Darlegungen zu einzelnen Werken des Malers eingeflochten sind. Wenngleich alle wesentlichen motivischen und ästhetischen Elemente von Sweerts Œuvre anklingen und von der tiefen Einsicht des Autors in die künstlerischen Zusammenhänge zeugen, so bleibt Suttons Text dennoch in seinem Informationsgehalt ein wenig unbefriedigend. Dieses ist nicht eigentlich Folge eines Mankos in der Darlegung selbst - die von einer Einführung zu erwartende Skizzierung der wesentlichen Erkenntnisse und Problemstellungen zu Sweerts wird konzise geliefert. Nur bleibt Suttons Text bedauerlicherweise in der gesamten Publikation nahezu die einzige Informationsquelle zu den sehr speziellen inventorischen Leistungen, mit denen sich der Künstler den oft hochkomplexen thematischen und ästhetischen Konzepten seiner Zeit näherte. Die Hintergründe, die von Sutton etwa zu Sweerts Befassung mit dem Akademismus, mit dem Antikenstudium, mit der Kunsttheorie, mit Lehren und Lernen im Künstleratelier und Ähnlichem geschildert werden, können in ihrer Knappheit nicht als ausreichende Basis für das Verständnis der eigentümlichen Sweertsschen Figurenbildungen, der auffallend starken Präsenz von Atelierszenen in seinem Werk und der autonomen Auseinandersetzung mit den künstlerischen Tendenzen seiner Zeit dienen. Die beim Leser geweckte Neugier nach mehr Details wird im Rest des Buches, einschließlich des Katalogteils, nicht mehr in wünschenswertem Umfang befriedigt.
Kaum Fragen lässt hingegen die Biografie von Michael Sweerts offen, die Jonathan Bikker im zweiten Aufsatz (25-36) auf der Grundlage bereits bekannter, aber auch neu entdeckter Archivalien entwickelt. Bikker versteht es, die wenigen fassbaren Angaben zu einem naturgemäß löchrigen, aber dennoch aussagekräftigen Mosaik der wahrscheinlichen Lebens- und Schaffensstationen zu vereinen. Herausragend ist die Analyse von Gemäldeinventaren und Rechnungsbüchern der Jahre 1646-52 aus dem Umkreis des Camillo Pamphili. Dieser war als Neffe von Papst Innozenz X. offenbar ein bedeutender Förderer von Sweerts und übte, möglicherweise sogar durch Einrichtung einer eigenen Kunstakademie, gravierenden Einfluss auf die Bildproduktion des Malers aus (28-31). Hier wie auch bei der schwierigen Beurteilung der Kontakte von Sweerts zur "Schilder-bent" (26-27) oder der Rekonstruktion seiner letzten Schaffensjahre, die durch den Anschluss an die 'Société des Mission Etrangères' geprägt waren (32-33), unternimmt Bikker wiederholt den anerkennenswerten Schritt des Hinweises auf die Grenzen der Deutbarkeit des Quellenmaterials. Angesichts der verbleibenden Lücken entsinnt man sich einmal mehr des großen Wertes der Künstlerbiografien von Houbraken und seinen Nachfolgern, die leider allesamt Sweerts in ihren Vitensammlungen unberücksichtigt gelassen haben.
Untersuchungen zu Malmaterialien und künstlerischen Arbeitsweisen gehören seit geraumer Zeit zu den wichtigen Standards in monografischen Ausstellungskatalogen und fehlen auch in der vorliegenden Publikation nicht. Den entsprechenden Aufsatz zu Sweerts Palette liefern Arie Wallert und Willem de Ridder (37-47), die ihre Ergebnisse aus der Analyse gleich einer Reihe von Gemälden ermittelten. In auch für den maltechnischen Laien nachvollziehbarer Form ist etwa zu erfahren, dass sich Sweerts in der Wahl seiner Malgründe und Pigmente an den lokal verfügbaren Angeboten zum Beispiel in Italien oder Brüssel orientierte. Bei Farbkomposition und -auftrag legte er einen Akzent auf dramatische Kontraste, was an Bildbeispielen eindrücklich demonstriert wird, allerdings auch schon bei der normalen Betrachtung der Gemälde hervorsticht. Interessant ist der Nachweis, dass Sweerts selbst oft sehr frei mit den technischen Vorgaben der zeitgenössischen Akademielehre umging und zudem Motive und Kontrastwirkungen aus Grafiken in seine Bilder einfließen ließ.
Lynn Federle Orr befasst sich im vierten Aufsatz (48-55) mit dem "Roman Environment" zur Zeit von Papst Innozenz X. Es handelt sich um den berechtigten, aber wenig spektakulär ausgefallenen Versuch, das politische, religiöse und künstlerische Klima der Ewigen Stadt zur Zeit des Aufenthalts von Sweerts zu rekonstruieren. Vor allem die Darlegungen zu den Bamboccianti (53-55) sind sehr allgemeiner Natur und übergehen viele der für Sweerts Bilder unmittelbar relevanten Aspekte, etwa die für Kunstsammler so attraktive Verbindung "niederer" Sujets mit antikischen Figurenposen und kunsttheoretisch "hoch" bewerteten Kompositionsideen. Symptomatisch ist, dass der Katalog zu der anfangs erwähnten Köln/Utrechter Bamboccianti-Ausstellung, in dem viele der Erkenntnisse zu Sweerts Künstlerumkreis, aber auch ausführliche Berichte zu Rom im 17. Jahrhundert vorformuliert sind, von Orr offenbar nicht rezipiert wurde.
Lehrreich ist wiederum der fünfte und letzte Aufsatz von Eric M. Zafran (56-66), der eine umfassende Rezeptionsgeschichte der Werke von Sweerts in Amerika zeichnet. Er offenbart exemplarisch, wie abhängig die Kenntnis, wissenschaftliche Würdigung und Publikumsresonanz eines Künstlers, speziell in der Kategorie unterhalb eines Rembrandt oder Frans Hals, von Zufällen der Sammlungsgeschichte oder von Interessenlagen einflussreicher Kunsthistoriker bis heute sein kann. Zugleich bereiten Zafrans Beobachtungen den Boden für die Einordnung des vorliegenden Buches und der zugehörigen Ausstellung, die ihr Zustandekommen laut Vorwort insbesondere dem in den Vereinigten Staaten sehr gestiegenen Interesse an Sweerts Schaffen nach dem 1997 erfolgten Ankauf des Gemäldes "Die Pest in einer antiken Stadt" für einen spektakulären Preis (lt. Kunstpreis-Jb. $ 3.500.000) durch das Los Angeles County Museum verdanken (6). Das Bild zählt zu den jetzt gezeigten und im Begleitband zur Ausstellung behandelten Werken.
Der 110 Seiten umfassende Katalogteil ist zweifellos der wichtigste Beitrag zur aktuellen Sweerts-Forschung und gibt wenig Anlass zu negativer Kritik. Die erste Abteilung bietet mit Einträgen zu 31 Bildern einen repräsentativen Querschnitt durch das vielschichtige Gemäldeœuvre mit zahlreichen Genreszenen, aber auch Historien, Porträts, Tronien und sogar Familien- und Gesellschaftsstücken, darunter erfreulich viele bislang selten zu sehende Werke aus Privatbesitz. Dank privater Leihbereitschaft konnte auch die berühmte Serie der "Sieben Werke der Barmherzigkeit" erstmals wieder vereint werden (80-93), was als Großtat allein schon Aufmerksamkeit verdient. Die Katalogtexte ziehen häufig Vergleiche zu weiteren, nicht in der Ausstellung vorhandenen Bildern von Sweerts und erweitern so das Spektrum der behandelten Gemälde erheblich. Verdienstvoll ist auch die durchgängige Bereitstellung von Angaben zu Provenienzen und Präsenzen in älteren Ausstellungen. Die zu allen Katalognummern vorhandenen Farbabbildungen sind in Größe und Qualität akzeptabel.
Alle 21 bekannten Grafiken von Sweerts Hand präsentiert der von Ger Luijten bearbeitete zweite Katalogteil und offenbart den Maler auch als versierten Radierer, insbesondere von kontrastreichen Porträts und Bildnisstudien.
Resümierend ist festzuhalten, dass der Begleitband zur Michael Sweerts-Ausstellung unzweifelhaft eine Bereicherung des Handapparates jedes Kenners und Liebhabers der italianisanten niederländischen Malerei darstellt. Vor allem der kommentierte, gut bebilderte Katalog sowie Bikkers biografische Anmerkungen bilden eine wichtige Ergänzung beziehungsweise Revision der 1996 von Rolf Kultzen vorgelegten Monografie zu Sweerts. Allerdings wäre ein sechster Aufsatz wünschenswert gewesen, der einen ausführlicheren Blick auf die ikonographischen und gedanklichen Fundamente von Sweerts Bilderproduktion beigesteuert oder neues Licht auf die Bezugnahmen und Differenzen zu den Werken der Zeitgenossen in Italien, den Niederlanden und Frankreich geworfen hätte. Den Nutzen solcher Betrachtungen demonstrieren in Ansätzen ältere Bücher, Aufsätze und Kataloge, glanzlichtartig aber auch einzelne Katalognummern in dieser jüngsten Publikation zu Sweerts. In diesem Felde liegen wohl auch die Aufgaben für die weitere Forschung zum reizvollen Schaffen dieses Malers.
Guido Jansen / Peter C. Sutton (Hgg.): Michael Sweerts (1618-1664). Ausstellungskatalog Rijksmuseum, Amsterdam 2002 / Fine Arts Museums of San Francisco, San Francisco 2002 / Wadsworth Atheneum Museum of Art, Hartford, Zwolle: Waanders Uitgevers 2002, 192 S., zahlr. Farb- u. s/w-Abb., ISBN 978-90-400-8676-2, EUR 29,50
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