Erfreulich an der Dissertation von Ursula Becker ist, dass sie ein Themengebiet aufgreift, das von der wirtschaftshistorischen Forschung bislang eher vernachlässigt wurde. Während sich die Literatur zu produktiven Wirtschaftszweigen kaum überblicken lässt, ist die Anzahl der Arbeiten zur Handelsgeschichte insbesondere des 19. und 20. Jahrhunderts eher gering. Becker hat zudem einen Handelszweig ausgewählt, der nicht mit den bereits ausführlich untersuchten Führungssektoren der deutschen Industrialisierung, sondern mit dem eher vernachlässigten Lebensmittelgewerbe verbunden ist. Doch um nach dem Lob auch die Kritik vorweg zu nehmen: Becker gibt zwar einen ausführlichen Überblick über die Geschichte des hanseatischen Kaffeehandels, nutzt aber das Potenzial der eigenen Thesen nicht. Besonders verwundert, dass die Unternehmen - anders als der Titel der Reihe, in der die Studie erscheint, vermuten lässt - so gut wie keine Rolle spielen.
Die Arbeit zeichnet die Geschichte des Kaffeehandels in den beiden Zentren des deutschen Kaffeehandels, den Hansestädten Hamburg und Bremen, vom frühen 19. Jahrhundert bis in die 1960er-Jahre nach. Für die Drucklegung wurde ein Kapitel über die Situation der Branche im Jahr 2001 angefügt. Der dadurch angestrebte Gegenwartsbezug der bereits 1996 abgeschlossenen Dissertation wirkt allerdings etwas bemüht, zumal auch die Aktualisierung der Fußnoten sowie des Quellen- und Literaturverzeichnisses nicht konsequent durchgeführt wurde.
Das einführende Kapitel beschreibt die Karriere des seit dem 17. Jahrhundert nach Europa importierten Kaffees vom Luxusgetränk der Oberschichten zum Massenkonsummittel. Es gibt einen Überblick über die verschiedenen Kaffeesorten und Anbaugebiete sowie über die Preisbildung und Rahmenbedingungen des Welthandels. Im Hauptteil der Studie folgt eine chronologische Darstellung der Entwicklung in den beiden Städten, wobei die bremische Situation nur gestreift wird - als Erklärung führt die Verfasserin die schlechte Quellenlage an. Dem Leser werden zahlreiche Aspekte der Etablierung des hanseatischen Kaffeehandels, seiner Entwicklung und Organisation vorgestellt. Neben den lokalen Gegebenheiten in den Hansestädten, den Aktivitäten der Interessenvertretungen und den verschiedenen Handelstechniken nimmt die Untersuchung das Verhältnis zwischen binnenländischem und hanseatischem Handel in den Blick. Zudem behandelt sie die Kriegswirtschaft in beiden Weltkriegen sowie die wiederkehrenden Krisen auf dem Weltmarkt und die Lösungsversuche der Regierungen. Diese Vielfalt ist jedoch zugleich auch ein Problem des Buches: Becker spricht viele Themenkreise an, handelt sie aber sehr knapp ab und bleibt dabei meist deskriptiv.
Einsetzend nach der Aufhebung der Kontinentalsperre stehen im ersten Abschnitt die Debatten um den Anschluss Hamburgs und Bremens an den Zollverein im Mittelpunkt. Die Mehrheit der hanseatischen Handelskreise, darunter auch Vertreter des Kaffeegeschäfts, lehnte die Integration in den Zollverein ab. Begründet war diese Haltung nach Becker durch die wesentlich stärkere Ausrichtung des Handels auf den Übersee- als auf den deutschen Binnenlandverkehr. Der Beitritt zum Zollverein erfolgte somit erst 1881 unter dem Druck Bismarcks. Der Hamburger Senat handelte als Gegenleistung mit der Reichsregierung einen Zuschuss zum Bau neuer Hafenanlagen und die Beibehaltung eines verkleinerten Freihafengebiets aus. In diesem abgegrenzten Gebiet war weiterhin die zollfreie Ein- und Ausfuhr von Waren möglich, erst bei Überführung der Waren ins Zollinland war Zoll zu entrichten.
Den Ausbau des Hamburger Hafens, der den Beginn des folgenden Kapitels markiert, identifiziert Becker als einen wesentlichen Faktor für die ab dem Ende des 19. Jahrhunderts erfolgende Ausdehnung des Kaffeehandels. In der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg fand eine zunehmende Professionalisierung des Kaffeehandels statt: Zusätzlich zum bis dahin üblichen Effektivgeschäft wurden durch die Einrichtung einer Terminbörse, die mit einer Warenliquidationskasse als Absicherungsinstrument gegen starke Preisschwankungen verbunden war, neue Handelstechniken eingeführt. Das Termingeschäft ermöglichte Einsparungen bei Lager- und Transportkosten und setzte Kapital für weitere Geschäfte frei. Der 1886 gegründete "Verein der am Kaffeehandel Beteiligten" war bei der Gründung der Börse "durchaus pionierhaft tätig" (348) und etablierte Hamburg im internationalen Kaffeehandel neben Handelsplätzen wie New York oder den niederländischen Handelsstädten.
Die Aktivitäten des Vereins stehen auch in den folgenden Kapiteln im Zentrum: Becker weist nach, dass der Kaffeeverein während des Ersten Weltkrieges auf Grund seiner maßgeblichen Rolle innerhalb des hamburgischen Handels zunehmend öffentliche Verteilungs- und Versorgungsaufgaben übernahm, ebenso bei der Überführung der Kriegswirtschaft in den freien Handel der 1920er-Jahre. Versuchte er auch, dirigistische Eingriffe möglichst einzuschränken, so passte der Verein sich doch immer mehr an staatliche Forderungen an. Im Zweiten Weltkrieg konnte er sich, so das Urteil Beckers, der "Gleichschaltung" dennoch weitgehend widersetzen und seine Selbstständigkeit innerhalb bestimmter Grenzen beibehalten.
Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg macht Becker eine deutliche Veränderung in den Strukturen des nationalen wie internationalen Kaffeehandels aus: Offenbar bedingt durch die Regulierung der Preise in den internationalen Kaffeeabkommen Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre sank die Kaffeeterminbörse zur Bedeutungslosigkeit ab. Eine weitere Folge war die Herausbildung einer einheitlichen Interessenvertretung der deutschen Kaffeewirtschaft. Die traditionellen Gegensätze zwischen den Vereinigungen des Handels und der Verarbeitung sowie den binnenländischen und den hanseatischen Vereinen waren bereits durch die Kriegsbedingungen verwischt worden. Diese Tendenz wurde durch die Tatsache, dass Großröster und binnenländische Kaffeehändler das Recht erhielten, selbst Kaffee zu importieren, verstärkt. Endpunkt der eigentlichen Untersuchung ist die 1969 erfolgende Gründung des "Deutschen Kaffee-Verbands", der seither insbesondere auf der europäischen Ebene die Interessen der gesamten deutschen Kaffeewirtschaft vertritt.
In ihrer Argumentation wiederholt sich Becker häufig und zieht sich immer wieder auf lange Zitate aus der Sekundärliteratur zurück. Eine stärkere Fokussierung auf die erst in der Zusammenfassung aufgegriffene Frage nach einem "hanseatischen Sonderweg" hätte eine klarere Linie in der Untersuchung bewirken können. Der nach Eigenständigkeit strebende "hanseatische Geist" sei im 19. Jahrhundert noch betont worden und habe sich beispielsweise in der anfänglichen Ablehnung des Beitritts zum Zollverein manifestiert. Im Laufe des 20. Jahrhunderts habe sich diese Haltung aber immer weiter abgeschliffen und sei durch Kooperationsbereitschaft sowie "eine Art objektives Interesse des gesamten deutschen Kaffeehandels" (353) ersetzt worden. Diese durchaus verfolgenswerte These steht leider recht unvermittelt ganz am Ende der Arbeit und fügt sich nicht schlüssig in ihre Gesamtanlage ein.
Auch die in der Einleitung versprochene Verknüpfung von Konsum- und Wirtschaftsgeschichte hätte analytisch vertieft werden können; der Zusammenhang zwischen der Verbreitung des Kaffeekonsums und der Entwicklung des Kaffeehandels bleibt undeutlich. Gleiches gilt für die im Titel des Buches anklingende Konzentrationsbewegung des deutschen Kaffeehandels von einem einzelkaufmännisch geprägten Wirtschaftszweig hin zu einem von wenigen großen Einzelunternehmen dominierten Markt.
Ursula Becker: Kaffee-Konzentration. Zur Entwicklung und Organisation des hanseatischen Kaffeehandels (= Beiträge zur Unternehmensgeschichte; Bd. 12), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002, 371 S., ISBN 978-3-515-07916-7, EUR 70,00
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