Lucas Cranach d.Ä. scheint angesichts der von Andreas Tacke bereits 1992 als "unüberblickbar" bezeichneten Literaturlage [1] von der Forschung nicht vernachlässigt zu sein. Dennoch ist der Umgang mit seinem Werk bis heute von Vorurteilen geprägt. Das Wiener Frühwerk Cranachs fand dabei vor den Kunsthistorikern noch ein einigermaßen gnädiges Urteil, dagegen wird der Wittenberger Phase und dem Werk seines Sohnes noch immer allenfalls reformationsgeschichtliche Bedeutung zugestanden. Zwei jüngst erschienene Dissertationen setzen sich nun erneut mit dem Werk Cranachs, seinen Brüchen und scheinbaren Widersprüchlichkeiten auseinander.
Edgar Bierendes Dissertation beschäftigt sich in zwei großen Abschnitten mit der Wiener und der Wittenberger Phase Lucas Cranachs d.Ä., schwerpunktmäßig mit der sog. Schotten-Kreuzigung (um 1500, Wien, KHM), deren Auftraggeber er im humanistischen Kreis um Maximilian I. sieht, und den mythologischen Themen. Seine Interpretation steht vor dem Hintergrund des Humanismus, dessen Geschichtsmodellen, Herrschaftsvorstellungen und der Rhetorik.
Bierende setzt sich zunächst mit dem kunsthistorischen Topos "Donaustil" auseinander, dem Cranachs Frühphase und damit die Wiener Kreuzigung zugerechnet wird. Gegen die überholte Vorstellung einer Stilprägung innerhalb von Kunstlandschaften setzt er das Modell einer durch Auftraggeber bestimmten Stildifferenzierung. Dürer erlangte - laut Bierende - "zu seinen Lebzeiten, da er keinem fürstlichen Auftraggeber diente [...], nur eingeschränkte Bedeutung" (27). Damit negiert Bierende letztlich Dürers Einfluss auf den "Donaustil", bzw. Cranachs Individualstil.
Die Vergleiche der "Wiener Kreuzigung" mit Kreuzigungen Hans Pleydenwurffs und des Bamberger Meisters zeigen motivische Verwandtschaften, während sich stilistische Beeinflussungen - wie der Autor feststellt - nicht ableiten lassen. Eine vom Autor vermutete direkte Abhängigkeit Cranachs von Pleydenwurff ist jedoch keineswegs zwingend. Der Vergleich mit dem Kupferstich des Meisters ES (um 1470) erscheint weitaus überzeugender. In Cranachs Frühstil sieht Bierende letztlich eine bewusste Stilwahl der "Einfachheit", dessen Vorläufer innerhalb der oberrheinischen Skulptur aufzufinden sind.
Auf eine angeblich bewusste Stilwahl schließt Bierende auf Grund einer Erwähnung der Werke Dürers, Cranachs und Grünewalds durch Melanchthon (Elementorum rhetorices libri duo, 1531) im Zusammenhang mit den drei Stillagen der Rhetorik (schlicht, maßvoll und erhaben), die entsprechend des Anlasses und des Publikums einer Rede anzuwenden sind. Alleine Melanchthons Schritt, zur Veranschaulichung der rhetorischen Stillagen Exempel innerhalb der Malerei zu suchen, impliziert nicht, dass dieser Transfer bereits zuvor als bewusste Entscheidung von Künstlern oder Auftraggebern vollzogen wurde. Ein zweites Problem spricht Bierende selbst an: Melanchthon hatte sehr wahrscheinlich Cranachs Wittenberger Werke vor Augen, seine Aussage, Cranachs Bilder seien "graciles (schlicht, einfach)", kann folglich unmöglich auf die völlig differierenden Stilmerkmale des Wiener Gemäldes angewendet werden. Dieses Grundproblem belastet die nachfolgenden Ausführungen, die Cranachs Kunst nicht nur bewusste Wahl der simplicitas unterstellen, sondern sie darüber hinaus im Hinblick auf ein neu erwachtes Geschichtsbewusstsein deuten: "Die simplicitas (Einfachheit) der deutschen Barbaren wurde mit einer integritas morum (Unverdorbenheit der Sitten) gleichgesetzt" (54). Auch andere Argumentationsstränge, die auf retrospektiven und damit die eigene Vergangenheit reflektierenden Tendenzen aufbauen - u.a. Verweis auf romanische Viernagelkreuze, Ähnlichkeiten mit Pestkreuzen des 14. Jahrhunderts, die frühhumanistische Kapitalis auf dem Kreuzestitel -, vermögen die Zweifel nicht auszuräumen.
Anschließend überprüft Bierende am Beispiel der Wiener Kreuzigung, ob Konrad Celtis Forderungen an die Dichtkunst nach Lebendigkeit, Lebenskraft, wahrem Abbild der Dinge und Beredsamkeit auf die Malerei einwirken. Überlegungen, wie "die lineare Reihung der Figuren könnte als ein bildlicher Versuch verstanden werden, den linearen Aufbau eines Textes nachzuahmen" (80), wären sicherlich überzeugender, wenn die Eigenheiten der "Schottenkreuzigung" in der ikonographischen Tradition dargelegt worden wären. Erläutert sei dies an folgender Passage: "Durch den Zeigegestus wird die Figur des Hauptmannes, der zuvor in Kreuzigungsdarstellungen meist als blinder Hauptmann zusammen mit einem eine Lanze haltenden Soldaten gezeigt wird, zur sprechenden Gebärdefigur, die von Cranach vor dem Hintergrund der humanistischen Rhetorik aus zwei Gründen ausgewählt worden sein dürfte. Zum einen, weil sie in direkter Rede über Christus spricht, und zum anderen, weil sie am Ende der Evangelien steht" (81). Ein Gegenbeispiel wäre hier etwa die Kreuzigung des Warendorfer Retabels (um 1414) [2]: Außer dem reitenden, blinden Longinus, dessen Lanze ein Helfer führt, erscheinen hier der unter dem Kreuz bekehrte und bekennende Hauptmann auf dem Pferd und eine Figur am rechten Bildrand, beide mit Zeigegestus auf den Gekreuzigten. Generell ist Gestik und Kommunikation in diesem Bild ein zentrales Thema. Ähnliches ist auf dem von Bierende selbst angeführten Kupferstich des Meisters ES zu beobachten. Wo die Unterschiede zur Tradition zu finden sind, die auf die humanistische Rhetorik zurückgeführt werden müssen, bleibt unklar.
Ebenso kann man sich bei der Deutung, die ausgehend von den Schergen, die der Autor als Söldnerheer mit ungarischer Majorität identifiziert, in der "Wiener Kreuzigung" das Herrscherverständnis Maximilians I., die Ungarnkriege und die Befreiung Wiens von den Ungarn thematisiert sehen will, sich des Eindrucks nicht erwehren, dem Bild werde zu viel aufgeladen. Sind die Hüte wirklich ungarisch? Cranachs Schergen tragen zwei relativ flache Hüte mit schmaler und breiterer Krempe. Die Vergleiche (Dürer; anonymer Holzschnitt) zeigen einen relativ hohen Hut eines Ungarn mit sehr schmaler Krempe, einen Serben mit einem ähnlichen Hut und einen ungarischen Reiter mit einer völlig anderen Kopfbedeckung.
Der Schlusspunkt dieses ersten Hauptteiles, die Identifizierung der Auftraggeber mit dem humanistischen Kreis um Maximilian I., wäre, um den Vorwurf eines Zirkelschlusses zu vermeiden, womöglich besser an den Anfang gestellt worden, da Bierende dies für seine Überlegungen voraussetzt.
Nach einem Einschub zu Cranachs Auseinandersetzung mit Skulptur, die - wie Bierende an einer Reihe von Quellen erläutern kann - von der humanistischen Literatur vor allem als Zeugnis der germanisch-deutschen Vorzeit wahrgenommen wird, und der möglichen Intention eines humanistischen Geschichtsbildes durch die Verwendung skulpturaler Vorbilder, wendet sich Bierende Cranachs mythologischen Bildthemen der Wittenberger Phase zu. Der nach 1504/05 vollzogene Stilbruch lässt sich nach Bierende nicht durch die Werkstattgründung in Wittenberg erklären, sondern ist stattdessen mit dem Auftraggeber, dem sächsischen Kurfürsten, in Verbindung zu bringen. Bierende verweist auf eine generelle Präferierung einer "Feinmalerei altniederländischer Prägung" durch den sächsischen Hof, die "einem verstärkten Streben nach Autonomie gegenüber dem habsburgischen Kaiser" (162) Ausdruck gibt. Der Vorschlag fordert sicherlich zu einer Untermauerung der These mithilfe anderer Künstleroeuvres heraus und provoziert zudem die Frage, wie sich dieses kurfürstliche Stilwollen auch auf Werke auswirken konnte, die Cranach zeitgleich für andere Auftraggeber schuf.
Die Deutung der für den sächsischen Hof angefertigten mythologischen Bildthemen, wie "Parisurteil", "Venus und Amor", "liegende Quellnymphe", "Faunenfamilie" und "Goldenes" und "Silbernes Zeitalter", kann Bierende über die Auswertung von Chroniken und Fürstenspiegeln überzeugend mit wichtigen Fassetten bereichern. Über bereits aufgezeigte humanistische Aspekte vom "Streben nach antiker Bildung und moralischer Erneuerung" hinaus kann er darin das "fürstliche Verlangen [...] nach Darstellung der eigenen Landes- und Dynastiengeschichte" (181) erkennen. So gelingt es ihm, die Sicht auf Cranach zu korrigieren, dessen Interesse an der Antike im Verarbeiten antiker, skulpturaler Vorbilder deutlich wird, und die mythologischen Inhalte der Bilder an den Auftraggeber anzubinden - zum Beispiel über Nachweise, dass sich die im Kursächsischen Reich vereinten Volksstämme auf trojanische Vorfahren zurückführen, Magdeburg auf einem antiken Venus-Heiligtum gründet und sich Meißens Vorgeschichte mit einem Quellheiligtum verknüpft.
Sabine Heisers Dissertation beschäftigt sich vorrangig mit den Werken der Wiener Frühphase. Die Untersuchung beginnt mit der "Wiederentdeckung" des Werkabschnittes durch die Forschung um 1900. Ausführlich geht sie dabei auf die Dresdner Ausstellung von 1899 ein, in der sie die Initialzündung für die Rekonstruktion des Frühwerks sieht, u.a. weil dort die "Ruhe auf der Flucht" (Wien, KHM, dat. 1504, sign. LC), die bereits Christian Schuchardt 1871 zum Oeuvre Cranachs zählte, mit der "Schleißheimer Kreuzigung" (München, AP) und dem sog. "Reuss"-Porträt (Nürnberg, GNM) konfrontiert und damit eine lebhafte Diskussion um Zuschreibungsfragen ausgelöst wurde. Beispielhaft arbeitet Heiser ein Stück Wissenschaftsgeschichte auf und kann die Ursprünge des - laut Heiser - 1892 von Theodor von Frimmel geprägten Begriffs "Donaustil" deutlich machen [3], seine Problematik und nationalistisch-ideologische Aufladung aufzeigen und die bis heute gebräuchliche Verwendung ohne eindeutig geklärte Definition beleuchten. Eine generelle Ablehnung des Begriffs befürwortet sie nicht und bezeichnet Cranach als "Avantgardisten dieses Stils der Donauschule avant la lettre" (40), betont aber unter Hinweis auf Dieter Koepplins Dissertation [4] seine Abhängigkeit von Albrecht Dürer. Eine eindeutigere, griffige Definition bietet sie allerdings nicht.
Ihr anfänglich formulierter Anspruch "das kulturelle Geflecht, in das der Künstler verstrickt war, deutlich zu machen und die Wechselbeziehungen zwischen den Bereichen Kunst, Handwerk, Politik, Wissenschaft, Theologie und Frömmigkeit im Rahmen der Kontextanalyse zu untersuchen" (26), erscheint zu weit gefasst und kann in diesem Umfang nur schwer eingehalten werden. Manche neuen Ansätze bleiben in den Anfängen stecken oder gehen in dem stellenweise für den Leser beschwerlichen Textaufbau verloren, so auch ihr Hinweis auf die Rhetorik - "es ist davon auszugehen dass diese Schemata der Rhetorik, Poesie und Dramaturgie (...) den Gelehrten des Celtis-Umkreises, die Cranach beauftragten, bekannt gewesen sind. Daher erscheint es sinnvoll, mit diesem Stil- und Modusmodell Cranachs Werke der Wiener Jahre zu untersuchen" (38). Dass mit den rhetorischen Stillagen nicht nur der malerische Stil, sondern auch die Inhalte zu verknüpfen sind, spricht sie zunächst nur kurz an. Erst am Ende des Buches kommt sie darauf zurück, ohne weitere Erläuterung der angesprochenen rhetorischen Traktate.
Ausführlich widmet sich Heiser der Frage nach Cranachs Herkunft und Werdegang. Wichtigstes Ergebnis ist sicherlich der Hinweis auf eine Formulierung von Matthias Gunderam (1556), dass Lucas Cranach bei seinem Vater in der "ars graphica" unterrichtet wurde (47), die nicht - wie üblicherweise angenommen - eine Malerausbildung in der väterlichen Werkstatt bedeuten muss, sondern auch auf eine Ausbildung als Entwurfszeichner für den Holzschnitt hinweisen könnte. Ein Exkurs über das Zunftrecht für Maler, Buchdrucker und ähnliche in Wien um 1500 zeigt, dass Cranach die Voraussetzungen nicht erfüllte, um im Status des Meisters als Maler in Wien tätig zu sein, denkbar wäre aber das Arbeiten im Umkreis der Universität und des Buchdruckerwesens.
Konkret als Auftraggeber fassbar ist nach Heiser Johannes Fuchsmagen, der Mitglied der von Konrad Celtis gegründeten Gesellschaft "sodalitas literaria danubiana" war. Zu den Werken, die Cranach für Fuchsmagen ausgeführt haben soll, zählt Heiser die kontrovers diskutierte Filocalus-Handschrift, anhand derer sie Cranachs Umgang mit antiken Vorbildern demonstrieren will. Ihrer Ansicht nach, "fasste [Cranach] den Entschluss, sich von den formalen Vorgaben frei zu machen." (72), es "ging [...] ihm vielmehr um Transformation denn um Rekonstruktion" (73). Mit der Zuschreibung an Cranach schließt sie sich Friedrich Winklers stilkritischer Argumentation an [5], neue Argumente bietet sie nicht. Die Versuche, das Frühwerk Cranachs zu rekonstruieren und über die bisherigen Vorschläge hinaus zu erweitern, bleiben auf Grund der Quellenlage stets problematisch, so auch die von ihr vertretene Auftraggeberschaft Fuchsmagens für die Hieronymus-Tafel (Wien, KHM, dat. 1502) und Zuschreibungen von Holzschnitten, etwa für das Missale Pataviense (1503), an Cranach.
In einem letzten großen Abschnitt wendet sich Heiser der Ikonographie und den Bildaufgaben im Frühwerk zu. Als besonderes "Merkmal" betont sie "die Suche nach eigenen ikonographischen Formulierungen". Die Funktionsbestimmung der "Ruhe auf der Flucht" der "Schotten-Kreuzigung" und des "Hl. Hieronymus" führt zu einer Auseinandersetzung mit dem Begriff des Andachtsbildes. Den Terminus "Frömmigkeitsbild" [6] bezeichnet sie als "besonders geeignet", um "Missverständnisse zu vermeiden" (92), schlägt außerdem auch die "neutrale" Bezeichnung "Privatbild" (93) vor, dennoch beschreibt sie die Funktion der erwähnten Bilder weiterhin mit "Andachtsbild" (93). Eindeutigkeit wird und kann wohl hier nicht erzielt werden, was wiederum mit der misslichen Quellenlage zusammenhängt. Eine Funktionsbestimmung ohne Kenntnis des konkreten Verwendungskontextes muss zwangsläufig vage bleiben. Den Eindruck, die vorgeschlagenen Begriffe seien wirklich in der Lage, "den spezifischen Gebrauch" der Gemälde "schärfer zu fassen" (93), vermag man jedoch nicht zu gewinnen. Die "Memoria Passionis" ist sicherlich im Zusammenhang mit den frühen Kreuzigungsdarstellungen und der "Buße des Hl. Hieronymus" ein wichtiger funktionaler Aspekt, doch Aufschluss über private oder öffentliche, liturgische oder außerliturgische Nutzung der Bilder erlangt man dabei nicht, was durchaus keinen Vorwurf an die Autorin darstellen kann.
Heisers Ausführungen zur Ikonographie belegen Cranachs Eigenständigkeit und Innovationskraft. Die Kreuzigungsdarstellungen überwinden die übliche Frontalität der Szene und rekurrieren dabei möglicherweise auf Sehgewohnheiten im Zusammenhang plastischer Darstellungen. In einer ausführlich aufgezeigten Traditionslinie erweist sich das schräggestellte Kreuz, die Dezentralisierung und Gegenüberstellung von Trauernden und Gekreuzigten als nichts grundsätzlich Neues, doch die Kombination dieser Merkmale, die Einbeziehung der Schächer und die Stellung des Betrachters sind Cranachs Leistung. Als "Grundgedanke" erkennt Heiser "die Vergegenwärtigung des Kreuzestodes Christi und die Zeugenschaft - im unmittelbaren Miterleben, der compassio, bei der Schleißheimer Kreuzigung - im zeitversetzten Nachempfinden der Wahrheit des Kreuzestodes auf der Hieronymustafel" (104). Die Berliner "Ruhe auf der Flucht" verknüpft ikonographische Bestandteile der Flucht nach Ägypten und der Hl. Familie mit paradiesischer Landschaftsmotivik. Heiser kann in diesem Zusammenhang auch auf einige Fehlinterpretationen der Tafel aufmerksam machen, die beispielweise aus der fälschlich als Muschel missgedeuteten Pilgerflasche, die einer der Engel füllt, resultierten. Auch auf dem Gebiet des Porträts sieht die Autorin eine spezifische Leistung Cranachs "in der Platzierung der Modelle in einer Landschaft" (120), die nicht nur als Fensterausblick oder Hintergrund ohne unmittelbare Verbindung zum Porträtierten Verwendung findet.
Als störend erweisen sich neben der oft etwas verworrenen Argumentationsführung einige Widersprüchlichkeiten im Text, wie etwa zur Filocalus-Handschrift - zunächst ein Auftrag, "ein seltenes Zeugnis spätantiker christlicher Profankunst" zu kopieren (61f), dann "hatte [Cranach] die Illustrationen einer karolingischen Handschrift, die vermutlich für antik gehalten wurde, zu kopieren" (71). An anderer Stelle behauptet sie anfangs, dass "mit Sicherheit von Cranach für Johannes Fuchsmagen [...] das Wiener Gemälde mit dem büßenden Hieronymus" geschaffen wurde (61), dann relativiert sie dies mit der Aussage, das "Gemälde mit der Buße des Hl. Hieronymus wurde von Cranach wahrscheinlich für denselben Auftraggeber [meint Fuchsmagen] geschaffen" (73). Davon abgesehen hätte man sich häufiger eine eindeutigere Positionierung der Autorin und eine ausführlichere Fortführung einiger viel versprechender Ansätze gewünscht, beispielsweise zur spezifischen Leistung des Cranachschen Frühwerks im Hinblick auf die Memoria Passionis oder im Zusammenhang mit dem möglichen Einfluss der Rhetorik auf die Malerei.
Insgesamt sind beide Publikationen als wichtige und künftig miteinzubeziehende Beiträge für die Cranach-Forschung zu bewerten. Beide - insbesondere Bierendes Arbeit mit ihrer sich von bisherigen Einschätzungen und Interpretationswegen weit absetzenden Sichtweise, die verstärkt Auftraggeberinteressen und geistesgeschichtliche Hintergründe in die Deutung einbezieht - werfen ebenso eine Reihe von Fragen und Probleme für folgende Forschungen auf.
Anmerkungen:
[1] Andreas Tacke, Der katholische Cranach, Zu zwei Großaufträgen von Lucas Cranach d.Ä., Simon Franck und der Cranach-Werkstatt (1520-1540), Mainz 1992, 9.
[2] Géza Jázai, Der spätmittelalterliche Hochaltar der katholischen Pfarrkirche St. Laurentius in Warendorf, Warendorf 1998.
[3] Theodor von Frimmel, Rezension zu Max J. Friedländer, Albrecht Altdorfer, der Maler von Regensburg, Phil. Diss. Leipzig 1891, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 15, 1892, 417-421.
[4] Dieter Koepplin, Cranachs Ehebildnis des Johannes Cuspinian von 1502, Seine christlich-humanistische Bedeutung, Basel 1973 (Diss. Basel 1964).
[5] Friedrich Winkler, Die Bilder des Wiener Filocalus, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 57, 1836, 141-155.
[6] Definition bezogen auf: Berndt Hamm, Normative Zentrierung im 15. und 16. Jahrhundert, Beobachtungen zu Religiosität, Theologie und Ikonologie, in: Zeitschrift für Historische Forschung 26, 1999, 163-202.
Edgar Bierende: Lucas Cranach d.Ä. und der deutsche Humanismus. Tafelmalerei im Kontext von Rhetorik, Chroniken und Fürstenspiegeln, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2002, 518 S., 112 Abb., ISBN 978-3-422-06339-6, EUR 68,00
Sabine Heiser: Das Frühwerk Lucas Cranachs des Älteren. Wien um 1500 - Dresden um 1900 (= Neue Forschungen zur deutschen Kunst; Bd. VI), Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft 2002, 180 S., 16 Farb-, 97 s/w-Abb., ISBN 978-3-87157-202-9, EUR 76,00
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