sehepunkte 4 (2004), Nr. 1

Institut für bankhistorische Forschung (Hg.): Der Privatbankier

Was ist eigentlich ein Privatbankier? Die scheinbar banale Frage durchzieht mehr oder minder explizit einen großen Teil dieses von Historikern und Ökonomen bestrittenen Tagungsbandes. Dabei stellt die Analyse der "Nischenstrategien" dieses Berufsstandes durchaus kein "Nischenthema" dar, denn die Umbrüche im deutschen Bankwesen vom Kaiserreich bis in die Gegenwart spiegeln sich in der Entwicklung der privaten Bankinstitute unter Leitung persönlich haftender Inhaber. Schon diese äußere Abgrenzung bietet jedoch nur eine Minimaldefinition, die, wie die einzelnen Beiträge zeigen, zudem einer genauen Binnendifferenzierung bedarf.

So verweist Morten Reitmayer in seiner Analyse der Konsequenzen des Strukturwandels von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg darauf, dass es "Privatbankiers als homogene Gruppe" auch zu deren Hochzeiten nicht gab (11). Der Aufstieg der Aktienbanken drängte zwar die Privatbankiers insgesamt in den Hintergrund, dies jedoch aus sehr unterschiedlichen Gründen. Die großen Privatbanken, die zunächst als Gründer der Aktienbanken fungiert hatten, verloren seit den 1880er-Jahren zusehends die Kontrolle über ihre eigenen Gründungen. Sie unterlagen einem wachsenden Wettbewerbsdruck, weil die Aktienbanken sich von dem ihnen ursprünglich zugedachten, kapitalintensiven Gründungs- und Emissionsgeschäft zu Universalbanken erweitern mussten, um ihrerseits konkurrenzfähig zu bleiben. Der steigende Kapitalbedarf im Börsengeschäft nach dem Terminhandelsverbot von 1896 und die Ausdehnung des Filialsystems der Großbanken hingegen drängten massenhaft kleine Provinzbanken aus dem Markt.

Damit begann die Suche von Unternehmern, die als Finanziers der ersten Industrialisierungsphase noch eine zentrale gesamtwirtschaftliche Rolle gespielt hatten, nach bankgeschäftlichen Nischen. Die Spezialisierung auf die Beratung von vermögenden Privatkunden und Aktiengesellschaften nutzte den wichtigsten Wettbewerbsvorteil der Privatbankiers, nämlich die Verbindung von fachlichem Renommee und sozialem Kapital. Der "Niedergang" der Privatbankiers im Kaiserreich war dadurch kein absoluter, sondern nur ein relativer Bodenverlust im Rahmen eines insgesamt expandierenden Bankwesens. Dieter Ziegler demonstriert, dass zumindest die größeren Institute den Verdrängungsprozess auch und gerade in den 20er-Jahren noch durch die Konzentration auf ihre Kernkompetenzen auffangen konnten. Eine "kurze Blütezeit" (28) führte sogar zu einer kurzfristigen Zunahme an Privatbankhäusern, die allerdings für die kleineren Institute nur eine Scheinblüte darstellte. Die großen, überregional bedeutenden Häuser hingegen konnten ihre Bedeutung wegen des gewachsenen Bedarfs an Vermögensberatung und Auslandskrediten eher noch steigern. Die Bankenkrise 1931 und die nachfolgenden politischen Maßnahmen setzten zwar auch diese größeren Institute erstmals unter ernsthaften Existenzdruck, doch erst die nationalsozialistische "Arisierungs"-Politik zwang die meist jüdischen (oder wieder als Juden definierten) Inhaber zur Liquidation oder zum Zwangsverkauf.

Abgerundet wird der erste Teil des Bandes durch Youssef Cassis' Entwicklungsskizze der deutschen, britischen und französischen Privatbanken im 20. Jahrhundert, die sowohl auf die Nützlichkeit wie auf die Problematik vergleichender Studien verweist. Zieglers These, dass erst die politischen Eingriffe der 30er-Jahre (und nicht allein der wirtschaftliche Strukturwandel) eine dank ihrer erfolgreichen Spezialisierung durchaus konkurrenzfähige Bankengruppe massiv dezimierten, wird nämlich durch die britischen und französischen Erfahrungen bis in die 1960er-Jahre tendenziell gestützt. Andererseits zeigt Cassis' Beitrag den erhöhten Differenzierungsbedarf im internationalen Vergleich, der selbst bei einer Konzentration auf die großen Privatbanken zu verzeichnen ist, denn ein weiteres Handicap der deutschen Institute gegenüber ihrem britischen Gegenstück war ihre erheblich geringere Größe.

Der zweite Teil demonstriert bereits durch die Auswahl der Autoren den erheblich dünneren historischen Forschungsstand zur Bankengeschichte nach 1945. Christoph Kaserer und Marlise Berner analysieren den in den 70er-Jahren (wieder einmal) einsetzenden "regelrechten Niedergang" (67) der Privatbanken. Trotz der auch für diesen Zeitraum zu verzeichnenden Probleme einer befriedigenden statistischen Abgrenzung zu anderen Institutsgruppen lässt sich eine drastische Reduzierung der Anzahl der Privatbankiers in den vergangenen drei Jahrzehnten (die allerdings prozentual deutlich gemäßigter ausfiel als zwischen 1925 und 1950) kaum bestreiten. Kaserer und Berner suchen die Ursachen dieses Phänomens, das sich noch deutlicher im Verlust von Marktanteilen äußert, weniger in wirtschaftsstrukturellen als vielmehr ebenfalls in politischen Veränderungen. Ihre zumindest theoretisch überzeugende These, dass für den quantitativen Bedeutungsverlust vor allem die kostenintensiven Neuregelungen der Bankenaufsicht verantwortlich waren, erhält durch einen vergleichenden Seitenblick auf die Schweiz zusätzliche Plausibilität.

Der massive Bedeutungsverlust der Privatbanken bis zur Gegenwart spiegelt sich indirekt auch im Aufsatz von Thomas Hartmann-Wendels und Christoph J. Börner über die Positionsverschiebungen der deutschen Bankengruppen in den 90er-Jahren. In ihrer konzisen Skizze der rasanten Strukturveränderungen auf den Märkten für Bankdienstleistungen kommen Privatbanken nämlich explizit kaum noch vor; umso deutlicher wird, dass der Zwang zur Spezialisierung für kleinere Institute durch Globalisierung und gewandeltes Anlegerverhalten weiter zugenommen hat.

Dass es trotzdem noch erfolgreiche Privatbankiers gibt, belegt die abschließende, zu weiten Teilen von vier Privatbank-Repräsentanten bestrittene Podiumsdiskussion. Für den Historiker ist diese Diskussion über die Zukunftsperspektiven des Gewerbes, die inhaltlich stark an den letzten Beitrag anschließt, auf den ersten Blick wenig ergiebig. Sie demonstriert jedoch nicht zuletzt eine wesentliche Kontinuität über den langfristigen Bedeutungsverlust hinweg, nämlich das Selbstverständnis von Privatbankiers und, eng damit verbunden, die Unternehmenskultur ihrer Institute. Zwischen dieser Eigendefinition von Privatbanken und ihrer äußerlichen Abgrenzung über juristische oder funktionale Kriterien können, darauf weist auch Dieter Ziegler hin, erhebliche Unterschiede bestehen.

Dass die Aufsatzsammlung diese Akteursperspektive weitgehend vernachlässigt, ist den durchweg auf hohem Niveau argumentierenden Autoren ebenso wenig vorzuwerfen wie die unvermeidlichen thematischen Lücken des Bandes. Als Einstieg in die Forschungsdiskussion ist er ebenso geeignet wie (zumindest für die Zeit zwischen 1870 und 1945) zur schnellen Orientierung über die Grundzüge der historischen Entwicklung eines 'Nischengewerbes', das keineswegs nur eine wirtschaftshistorische Randerscheinung darstellt(e).

Rezension über:

Institut für bankhistorische Forschung (Hg.): Der Privatbankier. Nischenstrategien in Geschichte und Gegenwart. 14. Wissenschaftliches Kolloquium am 29. November 2001 im Städelschen Kunstinstitut und Städtische Galerie, Frankfurt am Main (= Bankhistorisches Archiv. Zeitschrift für Bankengeschichte; Beiheft 41), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003, 146 S., ISBN 978-3-515-08311-9, EUR 30,00

Rezension von:
Ralf Ahrens
Institut für Geschichte, Technische Universität, Dresden
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Ahrens: Rezension von: Institut für bankhistorische Forschung (Hg.): Der Privatbankier. Nischenstrategien in Geschichte und Gegenwart. 14. Wissenschaftliches Kolloquium am 29. November 2001 im Städelschen Kunstinstitut und Städtische Galerie, Frankfurt am Main, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 1 [15.01.2004], URL: https://www.sehepunkte.de/2004/01/3964.html


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