Elke Spitzers Untersuchung zu Geschlechterkonzeptionen zwischen 1789 und 1815 in Deutschland wurde 2001 an der Universität Gesamthochschule Kassel als Dissertation eingereicht und von Heide Wunder betreut.
Spitzer kritisiert an der Geschichtsschreibung über die Frauenbewegung in Deutschland, dass die Einflüsse der Französischen Revolution bisher ausgeblendet worden seien. Sie erklärt dies damit, dass sich die Protagonistinnen der alten Frauenbewegung der Differenzthese Jean-Jacques Rousseaus angeschlossen hätten, um ihre Emanzipationsansprüche auf der Basis des Geschlechterdualismus durchzusetzen. Aber auch neuere Veröffentlichungen sähen das 19. Jahrhundert als Beginn der Frauenbewegung an und setzten sich inhaltlich nicht mit egalitären Konzepten des 18. Jahrhunderts auseinander beziehungsweise distanzierten sich von diesen. In ihrer Untersuchung bilden daher die beiden zunächst bestimmenden Geschlechterdiskurse - Differenz auf der einen und Gleichheit auf der anderen Seite - das strukturierende Element. Mithilfe des Gleichheitsbegriffs und der damit verknüpften Argumentationsmuster werden die Emanzipationskonzepte in den Diskursen über die Geschlechterbeziehungen in Deutschland analysiert. Allerdings setzt sich Schnitzer in ihrem Einführungskapitel (1-26) nicht mit den bereits 1989 im Rahmen der Zweihundertjahrfeiern zur Französischen Revolution stattgefundenen Ausstellungen beziehungsweise Tagungen auseinander, die sich unter einer dezidiert geschlechtergeschichtlichen Fragestellung auch mit dieser Thematik beschäftigt haben. [1]
Als Quellenbasis verwendet Spitzer publizierte Schriften bekannter Autoren und Autorinnen, die bereits in früheren Untersuchungen unter anderen Fragestellungen analysiert worden sind. Es handelt sich dabei um Schriften von Jean-Jacques Rousseau, Amalie Fürstin von Gallitzin, Theodor Gottlieb Hippel, Caroline Auguste Fischer und Amalia Holst. Darüber hinaus werden von oder für Frauen geschriebene Romane, Reiseberichte, Briefe und Biografien, unterhaltende Literatur und Lexikaartikel in die Analyse mit einbezogen. Die Monografien von Helga Meise [2] und Eva Kammler [3] zu Frauenromanen beziehungsweise Autorinnen im 18. Jahrhundert vermisst man im Literaturverzeichnis.
Das Buch ist in sechs Kapitel unterteilt: Zunächst werden in einem Überblick die bekanntesten Texte aus weiblicher Feder zur 'Querelle des Femmes' vorgestellt. Es handelt sich dabei um jene Diskussion, die vom 15. bis ins 18. Jahrhundert geführt wurde und als deren zentraler Inhalt das Wesen und die Stellung der Frauen verhandelt wurde. Es werden Schriften vorgestellt, die von Christine de Pizan, Anna Maria von Schürmann, Dorothea Christiane Leporinin und Jean Jacques Rousseau verfasst wurden und zu denen umfangreiche Forschungsarbeiten vorliegen. Auch hier wird zwischen Texten unterschieden, die für die Gleichheit der Geschlechter eintreten, und jenen, die den Geschlechterdualismus propagieren. Rousseau wird als Wegbereiter der Differenzthese angesehen.
In die Geschlechterdiskurse um 1800 sind nach Schnitzer zwei verschiedene Stränge mit unterschiedlichen Schwerpunkten eingegangen. Zunächst werden Argumente aus der 'Querelle des Femmes' verwendet, welche die Autorin im Gegensatz zur bisherigen Forschung als weiterhin relevant für die Zeit um 1800 einschätzt. Das Konzept des Geschlechterdualismus, wie es von Rousseau entwickelt wurde, fand jedoch weit größere Akzeptanz. Während sich die ältere Forschung vor allem auf seine Figur des "Emil" und der "Sophie" bezogen habe, werde das weit bedeutendere Konzept des Geschlechterdualismus jedoch in der Person der "Julie" und der "neuen Heloise" verwirklicht. Spitzer arbeitet damit in Rousseaus Werken zwei ganz unterschiedliche Frauenbilder heraus: Während "Julie" einen Anspruch auf Autonomie verfolgt, ist "Sophie" ausschließlich für "Emil" konzipiert.
Die Rousseaurezeption und der Geschlechterdualismus in Deutschland am Ausgang des 18. Jahrhunderts sind Thema des zweiten Kapitels. Im Zentrum stehen der Roman "Elisa oder das Weib wie es sein sollte", verfasst von Caroline von Wobeser, und die Werke der Fürstin Amalie von Gallitzin. Im dritten Kapitel werden die egalitären Argumentationen nach 1789 untersucht. Anhand der bis heute weit rezipierten und häufig untersuchten Veröffentlichungen von Theodor Gottlieb von Hippel und Caroline Auguste Fischer werden die Gleichheitspostulate herausgearbeitet.
Amalia Holsts Bildungs- und Ehekonzept steht im Zentrum des vierten Kapitels. Sie wird als Anhängerin eines ständischen Gleichheitsbegriffs gesehen. Der Vorwurf, dass Amalia Holst in der Forschung nach wie vor übergangen werde, kann nicht nachvollzogen werden. Bereits in der Quellensammlung von Sigrid Lange [4], die in dem Literaturverzeichnis von Spitzer fehlt, wird ein Textauszug von ihr vorgestellt. Außerdem widmete Doris Alder in ihrer Untersuchung zu Geschlechtertheorien Holst ein eigenes Unterkapitel. [5] Im vorletzten Kapitel werden weitere Diskussionen um 1800 aufgenommen, welche die Vielfalt der Geschlechterkonzeptionen zum Ausdruck bringen. Als Quellen werden Lexikaartikel und Texte von Jakob Mauvillon sowie Johann Gottlieb Fichte herangezogen.
Im letzten Kapitel wird mit der Wiedergabe langer Textpassagen von Caroline Auguste Fischers Erzählung "Justine" nochmals einer Verfechterin des egalitären Standpunktes Raum gegeben und damit aber auch die Einengung der Gleichheitsdiskussion nach 1815 vorgestellt. Das Scheitern "Justines" wird mit dem Ende der alten, revolutionären Forderungen in Bezug gesetzt, das mit dem Ende radikaler feministischer Positionen im 19. Jahrhundert einhergeht.
Spitzer geht in der Interpretation ihrer ausgewählten Texte sehr sorgfältig vor. Durch die dichte Beschreibung und langen Zitate wird die Vielschichtigkeit der Argumentationsmuster in der Zeit nach der Französischen Revolution deutlich und kann anhand der Textpassagen selbst nachvollzogen werden. Die Anhängerinnen und Anhänger der Differenz- und Egalitätstheorien werden mit ihren Texten und Emanzipationskonzepten ausführlich vorgestellt. Man wünscht sich bei der Lektüre, dass die Texte stärker in den politischen und kulturellen Kontext ihrer Entstehungszeit und -orte eingeordnet worden wären. Auch die Rezeption durch die zeitgenössischen Leserinnen und Leser kommt zu kurz. Zusammenfassungen am Ende der Kapitel hätten der Autorin die Möglichkeit gegeben, sich deutlicher in der Forschungslandschaft zu positionieren. So bleibt der Leserin / dem Leser häufig verborgen, wo sich Spitzer von der bisher erschienenen Forschungsliteratur abgrenzt beziehungsweise darüber hinausgeht und zu ganz neuen Einsichten gelangt.
Anmerkungen:
[1] Victoria Schmidt-Linsenhoff (Hg.): Sklavin oder Bürgerin? Französische Revolution und neue Weiblichkeit 1760-1830, Ausstellungskatalog, Frankfurt am Main 1989; Inge Stephan / Sigrid Weigel (Hg.): Die Marseillaise der Weiber: Frauen, die Französische Revolution und ihre Rezeption, Hamburg / Berlin 1989.
[2] Helga Meise: Die Unschuld und die Schrift. Deutsche Frauenromane im 18. Jahrhundert, Berlin 1983.
[3] Eva Kammler: Zwischen Professionalisierung und Dilettantismus. Romane und ihre Autorinnen um 1800, Opladen 1992.
[4] Sigrid Lange (Hg.): Ob die Weiber Menschen sind. Geschlechterdebatten um 1800, Leipzig 1992.
[5] Helga Meise: Die Unschuld und die Schrift. Deutsche Frauenromane im 18. Jahrhundert, Berlin 1983.
Elke Spitzer: Emanzipationsansprüche zwischen der Querelle des Femmes und der modernen Frauenbewegung. Der Wandel des Gleichheitsbegriffs am Ausgang des 18. Jahrhunderts, Kassel: kassel university press, 231 S., ISBN 978-3-933146-72-4, EUR 49,00
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