Mit ihrer Studie über zwei Gründungsgestalten der politischen Ökonomie verbindet Emma Rothschild eine zweifache Zielsetzung: Auf der einen Seite geht es ihr um den Nachweis, dass sich das ökonomische Denken im 18. Jahrhundert nur unter Bezugnahme auf die Debatten über die Aufklärung richtig deuten lässt. Damit richtet sie sich gegen jene Historiker der Ökonomie, die ihre Disziplin im Sinne einer Dogmengeschichte betreiben und in der Vergangenheit nach den Ursprüngen ihrer eigenen Theorie suchen. In dieser Perspektive gilt Adam Smith als Vater eines profitorientierten Wirtschaftsliberalismus. Dagegen legt die Autorin dar, dass nach Smiths Auffassung ein innerer Bezug zwischen Aufklärung und ökonomischer sowie politischer Reform bestand. Auf der anderen Seite untersucht Rothschild, wie sich umgekehrt aus einer Analyse der ökonomischen Debatten des 18. Jahrhunderts Aufschlüsse über das Projekt der Aufklärung gewinnen lassen. Damit wendet sie sich gegen die Philosophen und Historiker, die in Condorcet die Verkörperung der kalten, rationalistischen Aufklärung sehen, die aufgrund ihres universalistischen Anspruchs selbst zu einem Mittel der Repression werden musste. Rothschild korrigiert diese einseitige Sicht, indem sie aufzeigt, dass Condorcet Aufklärung ähnlich wie Smith als eine individuelle Disposition oder Denkart verstand, die nur schwer zu realisieren war. Deshalb habe er sich intensiv mit Fragen der Erziehung und Bildung befasst und die öffentliche Diskussion als Medium der Vermittlung zwischen dem Universalismus der Vernunft und der Diversität individueller Meinungen bestimmt.
Die beiden gegenläufigen Fragestellungen sind in Rothschilds Untersuchung auf komplexe Weise miteinander verflochten und werden im ersten und letzten Kapitel des Buches unter dem Titel "economic sentiments" zusammengeführt. Zumindest dem deutschsprachigen Leser kann sich die Erwartung aufdrängen, es sei mit einem neuen Beitrag zum "Adam-Smith-Problem" zu rechnen, bei dem es um die Vereinbarkeit zwischen Smiths "Theory of Moral Sentiments" und dem "Wealth of Nations" geht. Dieses wird von Rothschild aber nicht direkt aufgegriffen. Ihr Interesse gilt weniger der internen Kohärenz von Smiths Werk als der neuen Wissenschaft der politischen Ökonomie im Kontext der Aufklärung, für die auch Turgot und Condorcet stehen. Rothschilds Studie bleibt aber insofern auf das "Adam-Smith-Problem" bezogen, als sie aus dieser Perspektive darlegt, dass Smiths Wirtschaftstheorie nicht auf der später so genannten Theorie des 'homo oeconomicus' fußt. Die Individuen, die an der sich entwickelnden 'commercial society' partizipierten, kamen nicht ausschließlich als rational kalkulierende Nutzenmaximierer, sondern als gesellige Wesen in den Blick, die durch bewusste Gefühle (sentiments) in vielfacher Weise aufeinander bezogen waren (9, 224). Da die politische Ökonomie mit den form- und wandelbaren Dispositionen der Individuen rechnen musste und es insofern mit einer "ungeregelten Ordnung" zu tun hatte (236), ließ sie sich auch nicht als System konzipieren.
Die Analyse von Smiths ökonomischem Denken (Kapitel 2, 4, 5) wird mit einem Blick auf die Rezeptionsgeschichte in der Zeit der Französischen Revolution eröffnet. Diese beginnt mit der Unterstellung, Smith habe mit den französischen "philosophes" zusammengearbeitet und mit dem "Wealth of Nations" die Prinzipen der Revolution unterstützt (53 f.). Dugald Steward versuchte solche Vorwürfe in seinem "Account of the Life and Writings of Adam Smith" abzuwehren, indem er zwischen Ökonomie und Politik unterschied und Smith als Anwalt der ökonomischen im Gegensatz zur politischen Freiheit (dem Ideal der Revolutionäre) darstellte (57-61). Damit war die Grundlage geschaffen, dass Smith schon bald als "konservativer Philosoph" zitiert werden konnte, der allein auf die Prinzipien des Marktes abstelle und damit alle Restriktionen der freien Zirkulation von Waren, Kapital und Arbeit ablehne. Der Tatsache, dass Smith bereits um 1800 in einen Herold des Freihandels verwandelt wurde (64 f.), steht nach Rothschild allerdings entgegen, dass dieser von der Verschränkung zwischen Handel und staatlicher Politik ausging. Da Smith selbst sich zu politischen Reformen allerdings nur zurückhaltend äußerte und seine diesbezügliche Haltung schwer fassbar ist (66-71), stellt Rothschild zunächst am Beispiel von Turgot und Condorcet dar (Kapitel 3), dass ein Plädoyer für die Freiheit des Kornhandels nicht ausschloss, dass im Blick auf andere Bereiche des Marktes staatliche Interventionen gefordert wurden (zum Beispiel zugunsten von Hungernden und Armen). Dass auch Smith mit der Interdependenz zwischen Ökonomie und staatlicher Reformpolitik rechnete, wird anschließend (Kapitel 4) anhand seiner Kritik an genossenschaftlichen, kommunalen und kirchlichen Institutionen dargestellt (88), wobei hier das traditionelle System der Berufslehre im Mittelpunkt steht, das Smith nicht nur für ineffizient, sondern für ungerecht hielt. Im zentralen, fünften Kapitel legt Rothschild eine "intellectual history" der Idee der "unsichtbaren Hand" vor. Sie unterstützt die These, dass es sich dabei nicht um ein wissenschaftliches Theorem, sondern um einen "milden ironischen Scherz" (116) handelte: Smiths Gebrauch der Metapher von der "unsichtbaren Hand" war insofern ironisch, als er damit die Existenz einer alles ordnenden göttlichen Providenz andeutete. Er war aber insofern ernst, als er darauf hinwies, dass Ordnung ohne Plan (design), dass eine florierende Gesellschaft ohne einen alles überwachenden Souverän möglich ist (135). Ausgehend von dieser Diagnose untersucht Rothschild, warum die "unsichtbare Hand" in der Wirtschaftswissenschaft des 20. Jahrhunderts als das zentrale Theorem von Smith missverstanden werden konnte (138-156).
Das erste Kapitel zu Condorcet (Kapitel 6) ist schwer überschaubar, werden darin doch so komplexe Themen wie sein Verständnis der Ökonomie als Wissenschaft (175-180) sowie seine Wahl- und Entscheidungstheorie (180-188) behandelt. Diese werden im Rahmen der übergeordneten Fragestellung nach dem Zusammenhang zwischen politischen und ökonomischen Reformen beleuchtet, den Condorcet deutlicher als Smith anerkannte. Rothschild legt dar, dass Condorcet wie Turgot eine liberale Marktordnung anstrebte, um den Wettbewerb zwischen Käufern und Verkäufern zu ermöglichen, der zu einem Ausgleich der Preise führen würde. Er war sich allerdings bewusst, dass dazu bei den Individuen eine deliberative und diskursive Disposition (disposition of enlightenment, 157) vorausgesetzt war: Diese mussten vorurteilslos und zivilisiert sein sowie ein Interesse an fairem und überlegtem Handel mitbringen. Diese Bedingung war jedoch keineswegs erfüllt; das bestehende ökonomische System war vielmehr durch Vorurteile des Volkes (gegen den freien Handel) sowie durch die Mentalität von Händlern und Beamten geprägt, die daran gewöhnt waren, ihren Vorteil statt durch Fleiß und Arbeit durch politische Einflussnahme zu suchen (162). Um einen Wandel der Mentalitäten herbeizuführen, setzte Condorcet einerseits auf staatliche Intervention im Bereich der Ökonomie (um Armut zu bekämpfen, Umweltschäden zu verhindern und eine gerechte Steuerpolitik zu erreichen: 171-174), andererseits auf öffentliche Erziehung und Bildung, die in seinen späteren Schriften auf die psychologischen Anforderungen für eine freie Ökonomie zugeschnitten waren (191-194). In Kapitel 7 unternimmt Rothschild eine ausführliche Widerlegung des Vorwurfs, Condorcet habe sich einem rationalistischen Universalismus verschrieben und die Anwendung von allgemeinen und ewigen Prinzipien auf die Gesellschaft propagiert. Sie betont unter anderem, dass Condorcet individuelle Unterschiede in verschiedenen Zusammenhängen respektiert (198 f.) und die proto-utilitaristische Moraltheorie eines Helvétius oder Necker kritisiert habe. Seiner Auffassung nach sollte sich die Politik nicht am größten Nutzen der Gesellschaft, sondern an den Rechten des Individuums orientieren (199 f.). Damit stimmt überein, dass er individuelle Freiheit (im Sinne von Unabhängigkeit) und Diversität der Meinungen als spezifisch moderne Errungenschaften betrachtete (202 f.). Rothschild räumt aber ein, dass sich Condorcet in einem Dilemma befand, weil er einerseits die wahren Prinzipien zu kennen glaubte, auf denen die Politik beruhen sollte, die Aussicht auf Verbesserung und Veränderung jedoch der politischen Diskussion unterstellte (204). Sie deutet dies als Symptom eines "inkonsistenten" (206) oder "bescheidenen" (209) Universalismus und schlägt vor, Condorcet eher als frühen Vertreter der liberalen Kritik an deterministischen und utilitaristischen Ideen zu sehen als ihn der französischen Philosophie zuzuordnen, die von ihren Kritikern für die Jakobinische Terreur verantwortlich gemacht wurde (212 f.)
Rothschilds Studie vermag vor allem durch den Aspekt zu überzeugen, den sie selbst an der politischen Ökonomie des 18. Jahrhunderts hervorhebt: dass sie nämlich mit der Vielgestaltigkeit ihres Untersuchungsgegenstandes rechnet. So weist sie überzeugend nach, dass die kontextbezogene Analyse wichtiger ökonomischer Debatten des 18. Jahrhunderts zur Dekonstruktion der eindeutigen Zuordnungen führen muss, wie sie im Blick auf Smith und Condorcet vorgenommen wurden. Es bleibt allerdings fraglich, ob die "economic sentiments" als Matrix für ein derartiges Unternehmen geeignet sind. Es scheint kein Zufall zu sein, dass dieser Begriff nirgendwo definiert oder präzise erläutert wird und bis zum Schluss der Untersuchung nicht recht fassbar wird.
Emma Rothschild: Economic sentiments. Adam Smith, Condorcet, and the Enlightenment, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2002, 353 S., ISBN 978-0-674-00837-3, GBP 12,50
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