Albert Kümmel / Petra Löffler (Hgg.): Medientheorie 1888-1933. Texte und Kommentare, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag 2002, 568 S., ISBN 978-3-518-29204-4, EUR 17,00
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Günter Helmes / Werner Köster (Hgg.): Texte zur Medientheorie, Stuttgart: Reclam 2002, 352 S., 10 Abb., ISBN 978-3-15-018239-0, EUR 8,10
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Karl Christian Führer / Corey Ross (eds.): Mass Media, Culture and Society in Twentieth-Century Germany, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2006
Adrian Bingham: Family Newspapers? Sex, Private Life, and the British Popular Press 1918-1978, Oxford: Oxford University Press 2009
Helge Heidemeyer (Bearb.): Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1953-1957, Düsseldorf: Droste 2003
In den letzten Jahren erschienen zahlreiche Anthologien, die medientheoretische Texte der letzten Jahrhunderte vereinten. Vermutlich war es weniger das neue mediengeschichtliche Interesse der Historiker als das selbstlegitimatorische Bedürfnis der recht jungen Medienwissenschaft, das zu diesen Veröffentlichungen führte. Die Bände sorgten für eine erstaunlich rasante Kanonisierung, sodass man die Autoren mittlerweile in drei Gruppen einteilen kann. Grundlegend für die Ausgaben sind jeweils die eher feuilletonistischen deutschen Schriften zum Film aus der Weimarer Zeit (besonders Siegfried Kracauer, Bélá Bálazs, Rudolf Arnheim, Walter Benjamin). Darauf folgen amerikanische und westeuropäische Kommunikationswissenschaftler, die in den Nachkriegsjahrzehnten die Perspektiven der Medienwissenschaften prägten (besonders Marshall McLuhan, Harold Innis, Neil Postman, Paul Virilio). Abgerundet und gekrönt wird dieser Kanon schließlich drittens mit einigen deutschen Medienwissenschaftlern der Gegenwart (besonders Friedrich Kittler und Norbert Bolz).
Umso erfreulicher ist es, dass nun zwei Bände erschienen sind, die diesen Kanon zwar aufgreifen, aber doch auf jeweils unterschiedliche Weise erweitern. Dem von Kümmel und Löffler herausgegeben Band "Medientheorien 1888-1933" kommt das Verdienst zu, zahlreiche abseitige, aber hochinteressante Texte aufgespürt zu haben, die vornehmlich in Film- und Rundfunkzeitschriften erschienen. Der Zeitraum wird dabei als "Entstehungsherd von Medientheorie" gefasst. Gleichwohl stammt erwartungsgemäß auch hier das Gros der Texte aus der zweiten Hälfte der Weimarer Republik, in der die Einführung des Rundfunks eine erste Historisierung des Films und damit eine verstärkte Reflexion über diesen auslöste. Den Schlusspunkt der Sammlung bildet die Antrittsvorlesung des Zeitungswissenschaftlers Hans Traub von 1933, der in seiner Rede Zeitung, Radio und Film als eine Einheit zu betrachten versuchte. Diese Abkehr von der Einzelmedienanalyse wird dabei als eine Art neues Manifest der Medienwissenschaft entdeckt und mag das ansonsten eher ungewöhnliche Zusammenfallen der politischen und medientheoretischen Zäsur 1933 bei der Anlage des Bandes erklären. Die versammelten Texte sind recht unterschiedlicher Natur. Sie nehmen häufig eine recht technische Perspektive ein, psychologisieren oder stellen programmatische Prognosen. Auf jeden Fall zeigen sie alle Wahrnehmungen von und Erwartung an die neuen Medien. Der Band zeichnet sich zudem nicht nur durch ein Sachregister und ausführliche biografische Angaben aus, sondern vor allem durch ein ausführliches Vor- und Nachwort sowie Kurzkommentare zu den Texten. Die Herausgeber machen bei allen Texten diskursanalytisch Schlüsselbegriffe aus, um zu zeigen, dass in den Diskussionen bereits ähnliche Topoi und diskursive Figuren auftreten, die auf die Medialität der Kommunikationsapparate verweisen, ohne dass bereits über einen derartigen Begriff verfügt wird. Auch dies mag man als wissenschaftsgeschichtliche Selbstlegitimation belächeln. Aber es erscheint vom Ansatz her sehr schlüssig, obgleich man über einzelne ausgewählte Begriffsfelder sicher streiten kann.
Einen wesentlich breiteren Bogen spannt der von Helmes und Köster herausgegebene Band "Texte zur Medientheorie". Er führt die Anfänge der Medientheorie bereits auf das Alte Testament (das Bilderverbot) und antike Autoren (Hesiod, Platon, Cicero) zurück. Leider fehlt eine etwas ausführlichere Einleitung in die Anthologie, die deutlich macht, warum wir gerade diese Texte als Beginn der Medientheorie auffassen sollen und spätere Klassiker der Geistesgeschichte (Kant, Lessing, Hegel und andere) nun als Medientheoriker entdecken müssten, bloß weil sie über Sprache und Erkenntnis reflektieren. Auch dieser Band bietet kurze biografische Angaben zu den Autoren, aber leider keine Erklärungen. Seine Stärke hat das Buch daher letztlich doch bei den Beiträgen zum 20. Jahrhundert. Hier bietet er über die Ausschnitte von kanonisierten Klassikern (Barthes, Luhmann, Baudrillard und anderen) zahlreiche weitere Autoren, die in öffentlichen Debatten hervorgetreten sind (Jünger, Schelsky und andere).
Auffällig ist, dass die medientheoretische Kanonbildung weiterhin relativ deutschlandzentriert bleibt, was gerade für die Neuzeit und insbesondere für die unmittelbare Gegenwart nur bedingt zu rechtfertigen ist. Weiterhin ist bemerkenswert, dass so gut wie keine Medientheorien ausgewählt werden, die sich auf Zeitungen und Zeitschriften beziehen, was gerade Historiker vermutlich interessieren dürfte. Neben Texten zum (Buch-)Druck und zur Fotografie dominieren jeweils Schriften zu den elektronischen Medien. Die oft noch vorhandene institutionelle Spaltung zwischen der Medienwissenschaft und der aus der Zeitungswissenschaft stammenden Kommunikationswissenschaft dürfte hier immer noch ihren Niederschlag zeigen. Insgesamt bieten beide Taschenbücher jedoch äußerst anregende Einführungen, die jedem mediengeschichtlich und -theoretisch Interessierten zu empfehlen sind.
Frank Bösch