Das Buch von Johannes Tripps, das sich solide gebunden und handlich im Taschenformat präsentiert, verspricht dem Leser mit seinem anschaulichen, erzählerischen Titel und Giottos frisch restauriertem Kamelkopf auf dem Einband ein kurzweiliges kunsthistorisches Leseabenteuer. Das Inhaltsverzeichnis ist ebenfalls vielversprechend: es geht um Franz von Assisi, Gotteserkenntnis, antike Kunst und Künstleranekdoten. Doch was als kleine Aufsatzsammlung verstanden wird, entpuppt sich bald als Kapiteleinteilung ohne Bezifferung. Und im Vorwort steht es ja: das Thema entstammt einer Vorlesung des Autors über Giotto. Der Ernst des Kunsthistorikeralltags hat den Leser schon auf Seite 9 eingeholt.
Im ersten Kapitel geht es daher auch gar nicht um Bilder, wie es der Untertitel verspricht, sondern um den theologischen Hintergrund, vor dem sich im 13. Jahrhundert die franziskanische Bettelordensbewegung herausgebildet hat. Tripps legt am Beispiel der Vogelpredigt des Hl. Franz dar, wie problematisch der Naturbegriff noch um 1230 war, und wie eng er mit dem Gottesgnadenbegriff verbunden gewesen sein muss. Denn Franz, den sein erster Biograf Thomas von Celano als "simplex gratia non natura" charakterisierte, handelte aus Gottes Gnade und nicht aus seiner Natur heraus. Interessant ist deshalb Tripps' - leider nicht weiter vertiefter - Ansatz der "Pauloformitas" des Hl. Franz. Der Fußnotenteil enthält ausführliche, wichtige Quellenzitate.
In einer Fußnote wird das erste Beispiel toskanischer Malerei vorgestellt: eine Tafel Sassettas von 1444, auf der Franziskus dem bekehrten Wolf von Gubbio die Hand reicht. Mithilfe dieser Geschichte aus den "Fioretti di San Francesco" von 1330 untermauert Tripps seine These von der Gotteserkenntnis der Tiere, wie sie durch die Franziskaner propagiert wurde (13). So richtig die Verbindung mit den Bettelorden auch ist, so muss doch einschränkend gesagt werden, dass die Franziskaner die Idee der beseelten Natur nicht erfunden haben. Die Naturphilosophen des frühen 13. Jahrhunderts wie zum Beispiel Robert Grosseteste hatten dafür schon längst das philosophische Fundament gelegt und damit die Streitfrage unter den Theologen entfacht.
Tripps greift für seine Argumentation auf einen kunsthistorischen Disput dieser Frage zurück, indem er die bereits 1885 formulierte These H. Thodes vom beginnenden Naturstudium mit der 1927 formulierten Gegenthese H. Schrades vom rein spirituellen Antrieb des Hl. Franz konfrontiert. Schrade hatte die Tieranekdoten in der Franziskusvita als Topos "katholischer Hagiographik" und "aus der Antike überkommenes Erbgut" bezeichnet (18). Entsprechend führt Tripps im zweiten Kapitel "Die antike Kunst als Lehrmeisterin der perfekten Form" ein, wie sie unter anderen M. Seidel in den Werken der Pisani festgemacht hatte, und stellt sie der "eigenständigen Naturbeobachtung des Künstlers" gegenüber (22). Beispiele für Antikenrezeption seien im Œuvre Cavallinis, Duccios und Giottos zu finden. Der Leser hätte gerne an dieser Stelle - endlich - ein konkretes Beispiel gesehen. Doch geht es Tripps, wie er selbst betont, gar nicht um die Aufzählung "schlichter Formenzitate" antiker Vorlagen, sondern um die Problematisierung einer Antikenrezeption, die vorgibt, auf Naturstudium zu beruhen (23) - eine Imitation von Exempla also, die "prima vista gar nicht ins Auge springt" (25). Noch Künstler wie Meister Bertram verwendeten um 1400 "uralte Topoi, die durch Musterbücher über Malergenerationen hin tradiert wurden" (27). Gerade Tierdarstellungen bukolischer Szenen, wie die Verkündigung an die Hirten, enthielten diese "Versatzstücke", welche die Künstler auf antiken Endymion- oder Hirtensarkophagen wieder fanden.
Der Leser fragt sich anhand der weit verstreuten Vorlagen antiker bukolischer Szenen, ob es für die Künstler nicht schlichtweg einfacher gewesen wäre, liegende Schafe, kämpfende Widder und bellende Hunde auf einer Wiese vor den Toren Roms, Sienas oder Florenz' zu beobachten und zu skizzieren. Und wenn sich die Künstler schon an antiken Vorlagen übten, wo sind all die Musterbücher geblieben, die Tripps für das Due- und Trecento postuliert? Warum sind diese "Versatzstücke" nicht in den Sinopien der Trecentisten wieder zu finden? Es ist gar nicht notwendig, entgegen der Meinung des Autors die Anekdote Ghibertis und Vasaris von Giottos Anfängen als Schafhirte zur biografischen Wahrheit zu erheben. Gewiss spielen in den Viten literarische und rhetorische Topoi mit, wie wir sie schon in den Schriften Vergils wieder finden. Tripps zitiert an dieser Stelle mit Recht Lorenzo Valla (um 1440), der den Malern "ars", "ingenium" und "memoria" zugestand (34). Das sind Begriffe aus der antiken und mittelalterlichen Rhetorik. Tripps nennt Giovanni und Filippo Villani, Bocaccio und Ghiberti, ohne aber die selbst ausgelegte Fährte einer spätmittelalterlichen Bildrhetorik aufzunehmen. Stattdessen verbaut er sich und dem Leser die Erkenntnis durch die Feststellung, dass die parataktische Darstellung der Vögel in der Pariser Vogelpredigt Giottos dem gleichen "spätantik-byzantinischen" Kompositionsschema folge wie die Rasterdarstellung mit den einzelnen Vogelarten im Wiener Dioscurides (36).
Im dritten Kapitel, das nur eine Seite lang ist, legt Tripps am Beispiel der beiden Anbetungsszenen in der Arenakapelle und in der Unterkirche in Assisi dar, wie sich nach 1300 in der Malerei Giottos die Ikonographie der Tiere im Sinne einer differenzierten autonomen Naturdarstellung verändert. "Das Kamel hat sein Maul schreiend aufgerissen, wackelt mit den Ohren und richtet seinen Blick auf das Christkind" (45). Das klingt amüsant und plausibel. Doch bleibt unklar, warum ein lachendes oder schreiendes Kamel, immerhin ein exotisches Tier, im Gegensatz zu einem Widder oder Hund nicht einem Musterbuch entstammen konnte, nur weil dafür bisher keine Vorlagen gefunden wurden. Der Autor beschließt das Kapitel mit einer Frage an den Leser: "Ist dies nun ein burlesker Einfall des Künstlers" oder ein Manifest "franziskanischen Gedankengutes von der Fähigkeit des Tieres zur Gotteserkenntnis?"
Die innovativen Ausführungen von A. Ladis zu Giottos Humor als kreativem Impetus und politischer Waffe des Künstlers werden von Tripps im letzten Kapitel mit einem Hinweis auf die "eucharistische Frömmigkeit der Hoch- und Spätgotik" (52) abgeschmettert. Verdienstvoll ist der kurze Verweis des Autors auf liturgische Spiele, deren emotionale Affekte in die Malerei des 14. Jahrhunderts Eingang fanden (56 - 57). Doch verwahrt sich der Autor angesichts jubilierender Esel und schnuppernder Kamele gegen den Verdacht immanenten Humors. Immerhin, so postuliert er, seien hier "keine antiken Vorlagen mehr erkennbar" (64). Das neue Bemühen um veristische Abbildlichkeit zeige sich schon um 1336 in Buffalmaccos 'Memento Mori' im Camposanto zu Pisa, in dem der Künstler zu Gunsten des "Verhaltensstudiums" eines Jagdhundes die ganze Komposition änderte. Warum aber griff der Künstler bei der Verarbeitung gerade dieses Themas nicht auf franziskanische Stereotypen der Gotteserkenntnis zurück? Welche Rolle spielten die Franziskanerobservanten zu Beginn der Schwarzen Pest?
Tripps spricht in seinem Buch eine Reihe interessanter, wenn auch zusammengewürfelter Details an, die noch kein geschlossenes Bild ergeben. Das mag am überkommenen Antagonismus von Naturstudium und Spiritualität liegen, den sich der Autor als Prämisse auferlegt - und an der Humorlosigkeit, die er dem Leser auferlegt.
Johannes Tripps: Giotto malt ein lachendes Kamel. Zur Rolle des Tieres in der toskanischen Malerei des Trecento (= Quellen zur Kunst; Bd. 20), Freiburg/Brsg.: Rombach 2003, 80 S., 5 Farb-, 21 s/w-Abb., ISBN 978-3-7930-9351-0, EUR 16,00
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