In der Erforschung der internationalen Beziehungen treten kleine Staaten selten aus dem Schatten der Großmächte heraus. So erfreuen sich zwar die auswärtigen Beziehungen Habsburgs, Frankreichs, Englands und auch der Niederlande großer Beachtung. Jedoch bleibt es weiterhin ein Desiderat, die Rolle von kleineren politischen Gebilden wie beispielsweise die der Reichsterritorien oder der italienischen Staaten im Mächtesystem Alteuropas näher zu untersuchen.
Toby Osborne, Lecturer an der University of Durham, legt mit seiner Arbeit zur Außenpolitik des Herzogtums Savoyen eine Studie vor, die das Bewusstsein um die Wirkmächtigkeit kleinerer Staatengebilde im frühneuzeitlichen internationalen System deutlich machen will. Das zwischen Frankreich und der norditalienischen Staatenwelt gelegene Herzogtum entwickelte sich im frühen 17. Jahrhundert auf Grundlage einer betont dynastischen und auf Expansion ausgerichteten Außenpolitik zu einem Faktor der internationalen Beziehungen, deren wechselvolle Diplomatie eine gefährliche Dynamik im Mächtesystem verursachte.
Wie bereits der Titel andeutet, will Osbornes Arbeit Diplomatiegeschichte mit sozial- und kulturhistorischen Fragen verbinden. Die auswärtigen Beziehungen und dynastischen Interessen des Herrscherhauses Savoyen werden in Zusammenhang mit der Haus- und Klientelpolitik der einflussreichen Fürstendiener-Familien Scaglia di Verrua gebracht. Die Karriere ihres berühmtesten Sprösslings, Abate Alessandro Cesare Scaglia (1592-1641), dient dem Autor als Grundlage seiner Studie. Wie bereits der Vater Filiberto und der ältere Bruder Augusto, trat auch Alessandro Scaglia nach politisch prägenden Jahren an der Kurie (1613-1623) in den Dienst des Hauses Savoyen und übernahm zwischen 1624 und 1631 diplomatische Missionen in Paris, London und Brüssel. Scaglia verfolgte mithilfe eines dichten Netzwerks von politischen Freundschaften in Paris, London und Brüssel eine Diplomatie, die nach der außenpolitischen Niederlage Savoyens im Vertrag von Monzón 1624 darauf gerichtet war, Frankreich und Spanien mit ihren Chefministern Richelieu und Olivares gegeneinander auszuspielen. Zusammen mit dem englischen Favoriten Buckingham versuchte Scaglia, in den Wirren des Mantuanischen Erbfolgekrieges eine unabhängige Politik zwischen den mächtigen Nachbarn Habsburg und Bourbon zu entwickeln. Jedoch verlor Savoyens Diplomat 1631 die Deckung des eigenen Herzogs. Bis zu seinem Tod 1641 wirkte er nun als eine Art "spy-master" Spaniens (209) im Brüssler Exil, ohne die Verbindungen nach Turin völlig abzubrechen.
Osborne versteht seine Studie als richtungsweisend für die Diplomatiegeschichte. Er fasst die frühneuzeitlichen internationalen Beziehungen als Amalgam einer Reihe von außen- und innenpolitischen Faktoren auf, die kulturelle und soziale Aspekte berühren. Im Falle Savoyens sieht der Autor die Außenpolitik als Resultat der Verknüpfung von drei Faktoren: Dynastizismus, aristokratische Politik und individuelle Kreativität (9). Damit berührt Osborne gleich drei Problembereiche internationaler Beziehungen der Frühen Neuzeit, nämlich die Rolle von Dynastien und höfischen Netzwerkstrukturen sowie den Zusammenhang von Moral und politischem Handeln im diplomatischen Verkehr. In unterschiedlichem Maße prägten sie die Verhandlungen von Alessandro Scaglia, der als alteuropäischer Diplomat auf der Grundlage einer zweifachen Identität, nämlich als Vertreter Savoyens und als Patronagebroker in eigener familiärer Sache, an den europäischen Höfen verhandelte.
In Fragen des Dynastizismus arbeitet Osborne für das Herzogtum Savoyen eine bei fast allen Akteuren des frühneuzeitlichen Mächtesystems vergleichbare Grundkonstante der auswärtigen Beziehungen heraus. Die Außenpolitik des savoyischen Herzogs Carlo Emanuele I. (1580-1630) wurde weitestgehend von dynastischen Motiven geleitet, die sich in zwei Aggregatzuständen äußerten: Erstens die Vorstellung, dass Erbansprüche als probates Mittel der Expansion unbedingt und notfalls gewaltsam wahrzunehmen sind. Im Falle Turins betraf dies dynastische Ansprüche gegenüber den Nachbarn Monferrat und Mantua (35). Und zweitens die Idee einer Rangerhöhung des Herrscherhauses durch dynastische Verbindungen zu den Königshäusern Europas, die zu einer gezielten Verheiratung des eigenen 'dynastischen Potentials' (Alfred Kohler) mit Habsburg und Bourbon führte (37f.).
Neben dem Faktor Dynastie setzt sich Osborne aber auch mit dem Problemfeld nichtsouveräner Adelsfamilien als Akteure in den internationalen Beziehungen auseinander. Der Autor sieht einen engen Konnex zwischen den Patronageinteressen aristokratischer Familien und deren Tätigkeit für das Herrscherhaus. Am Beispiel der Scaglia di Verrua zeigt die Studie, wie sich Fürstendiener-Familien zu einer treibenden Kraft in der europäischen Diplomatie entwickelten, wobei die Grenze zwischen loyalem Karrierebewusstsein und Korruption nur schwer zu ziehen ist (50f.). Dabei entwickelte sich Alessandro Scaglia zu einem besonders eindrucksvollen Patronagebroker, der als Patron Anthonis Van Dycks und Förderer anderer prominenter Künstler wie Peter Paul Rubens oder Daniel Seghers ein loses Klientelnetzwerk im Spannungsfeld zwischen Politik und Kunst zu etablieren wusste. Dieses Netzwerk sprengte gleichermaßen Länder- und Konfessionsgrenzen und bot als 'point of contact' (Conrad Russell) neue Aushandlungsmöglichkeiten im diplomatischen Verkehr (84f.).
Letztlich macht Osbornes Arbeit auch den schwierigen Zusammenhang zwischen politischem Handeln und öffentlicher Moral im konfessionellen Zeitalter bewusst. Zwar blieb dem Autor während seines Archivstudiums der endgültige Nachweis verwehrt, ob der junge Alessandro Scaglia bei der Begleitung der herzoglichen Kinder nach Madrid 1603 ebenfalls die Erziehung des Staatsräson-Theoretikers Giovanni Botero genießen durfte (70). Doch solch eine mögliche Verbindung passte sehr gut zu Scaglias späterem Verständnis seiner diplomatischen Tätigkeit. Denn nachdem die Geheimdiplomatie Richelieus 1624 in Monzón zum Ausgleich mit Spanien geführt hatte, der ohne Rücksicht und gegen die Interessen des savoyischen Bündnispartners geschlossen wurde, ordnete auch Scaglia die Wertigkeit moralischer Vorstellungen in seinen politischen Verhandlungen neu. Angesichts der selbst erfahrenen Täuschungen und Lügen verfolgte Scaglia eine rein zweckorientierte Diplomatie zu Gunsten der dynastischen Erhöhung des Hauses Savoyen, was schließlich zu einer für Zeitgenossen und folgende Generationen verachtenswerten wechselvollen Politik Savoyens zwischen den einzelnen politischen Lagern führte (102f.).
In der Gesamtschau leistet Osbornes Studie den erfreulichen Beweis, dass historische Forschung auf der exklusiven Grundlage von diplomatischem Geschäftsschriftgut mehr leisten kann als die begrenzte Untersuchung der offiziellen Außenpolitik souveräner Mächte. Der Autor macht deutlich, dass es sich bei der Außenpolitik um ein ganzes 'Sample' an politischen, sozialen, wirtschaftlichen und vor allem kulturellen Faktoren handelt, die an eine moderne internationale Geschichte neue Herausforderungen stellt.
Trotz dieses richtungsweisenden Ansatzes bleibt aber Osbornes Arbeit in der Analyse oftmals auf halbem Wege stehen. Entgegen der Vorüberlegungen des ersten Kapitels verlassen die folgenden sieben Kapitel des Buches zu selten den engen Rahmen einer klassischen diplomatiegeschichtlichen Studie. So verpasst es der Autor, sich vor allem mit dem Komplex dynastischer Politik in den frühneuzeitlichen Mächtebeziehungen intensiver auseinander zu setzen. Angesichts der wechselvollen Politik des Herzogtums Savoyen zwischen Habsburg und Bourbon, aber auch zwischen den konfessionellen Blöcken zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges stellt sich aber die Frage nach dem Verhältnis der Dynastie zu anderen frühneuzeitlichen Kräften, vor allem der Religion und der Staatsräson. Auch trägt die Studie wenig dazu bei, die strukturellen Voraussetzungen von Patronage- und Klientelpolitik im Falle Scaglias intensiver zu beleuchten. Weder rezipiert Osborne die für diesen Themenkomplex einschlägigen Arbeiten von Wolfgang Reinhard [1], noch werden über Alessandro Scaglia und dessen politische Verbindungen hinaus konkurrierende Patronagenetzwerke behandelt. Hier rächt sich auch die problematische Entscheidung des Autors, die Studie weitestgehend auf die offizielle diplomatische Korrespondenz zu stützen, ohne beispielsweise Bestände aus dem Familienarchiv der Scaglia di Verrua stärker für die Studie nutzbar zu machen.
Anmerkung:
[1] Wolfgang Reinhard: Freunde und Kreaturen. "Verflechtung" als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600, München 1979.
Toby Osborne: Dynasty and Diplomacy in the Court of Savoy : Political Culture and the Thirty Years' War (= Cambridge Studies in Italian History and Culture), Cambridge: Cambridge University Press 2002, XII + 304 S., ISBN 978-0-521-65268-1, GBP 47,50
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