Als Filibuster bezeichnete man seit den 1850er-Jahren semimilitärische Abenteurer. Sie organisierten privat finanzierte, so genannte Expeditionen in Staaten, die sich im Frieden mit dem jeweiligen Herkunftsland der Abenteurer befanden. Obwohl auch französische, spanische und lateinamerikanische Staatsbürger an diesen Expeditionen teilnahmen, war der Filibusterismus ein nordamerikanisches Phänomen. Begünstigt durch die geografische Nähe der USA zu "schwachen Staaten" kam es in Mexiko besonders nach dem US-amerikanisch-mexikanischen Krieg von 1846 bis 1848 zu Filibusterüberfällen in den peripheren Bundesstaaten Yucatán, Tamaulipas, Niederkalifornien und Sonora. Die Entwicklungen, die in Sonora nach der Unabhängigkeit Mexikos von der spanischen Zentralmacht zu zahlreichen solchen Überfällen geführt hatten, sind Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Mit besonderem Interesse dokumentiert die Autorin aber die Wehrhaftigkeit der militärischen Truppen dieser äußerst dünn besiedelten peripheren Region im Norden Mexikos. Als "Friedhof der Abenteurer" ging Sonora in die Filibusterbilanz aus US-amerikanischer Sicht ein (13). Gründe dafür und die Konsequenzen daraus bilden den Inhalt dieser regionalgeschichtlichen Studie.
Methodisch geht die Autorin sehr konventionell vor. Anstatt darüber zur reflektieren, finden sich hilfreiche Anmerkungen zur Quellenlage und zur Zitierweise (20-23). Das wechselfällige Geschick des Archivo General del Estado de Sonora (AGES) steht paradigmatisch für ähnliche Forschungsberichte, die den Umgang mit lateinamerikanischen Quellen des 19. Jahrhunderts reflektieren: Mehrere unterschiedliche Systematisierungsanläufe versandeten wiederholt. Das Material ist nicht gesichtet, in den Findbüchern und Dokumentenablagen (legajos) wimmelt es vor Irrläufern. Umso dankenswerter ist es, dass die Autorin ihre Quellen mit den Beständen aus dem Archivo del Poder Judicial de Sonora ergänzt und absichert. Unverzichtbar freilich sind auch für sie die wertvollen Archive und Bibliotheken in Mexiko-Stadt. Viele Archivalien zum sonorensischen Teil der Filibustergeschichte sind seit 1996 in der 16-bändigen Serie Filibusterismo im Archiv des mexikanischen Außenamtes (= Secretaría de las Relaciones Exteriores - Genaro Estrada) gut zugänglich und bieten der Autorin unverzichtbare Referenzen.
Erstmals liegt mit dieser Arbeit eine detailreiche Chronik der Ereignisse aus mexikanischer oder vielmehr sonorensischer Sicht vor. Das Erkenntnisinteresse ist offensichtlich. Es geht um Anerkennung und Würdigung der Verdienste der Sonorenser, die für den Erhalt des mexikanischen Staatsgebiets im 19. Jahrhundert gegen die Filibuster gekämpft hatten. Das Anliegen der Autorin gilt der historischen Richtigstellung der Bewertung der sonorensischen Siege in diesem Zusammenhang. Denn sie führten auf der Seite der Akteure in Sonora maßgeblich zur "Herausbildung des eigenen Selbstbewussteins" (263) schreibt Gónzales de Reufles. Sie rühmt die Helden des 19. Jahrhunderts, die unter anderem die Pläne eines William Walkers in Sonora vereitelt haben. Dabei waren sie gezwungen, ohne die Unterstützung der Zentralregierung auszukommen und konnten auch nicht auf das Einschreiten der USA zählen, die diesen illegalen Unternehmungen auf US-amerikanischen Boden mittels des Neutrality act von 1818 hätten Einhalt gebieten müssen.
Vergeblich sucht die Leserin nach einer These in dieser Doktorarbeit, die beim jüngst verstorbenen Günther Kahle in Köln entstanden ist. Allerdings deutlich formuliert die Autorin ihren selbst gewählten Anspruch. Die national-mexikanische Historiografie habe die "anarchische Periode" von 1821 bis 1855 "bewusst vergessen" (14). Die Filibusterexpeditionen hatten also nicht nur für Sonora - das seit 1848 nicht mehr nur Siedlungsgrenze, sondern Grenzregion im politisch administrativen Sinne geworden ist -politische, wirtschaftliche und soziale Folgen. Besonders die Relevanz dieser Ereignisse für die Einheit des mexikanischen Nationalstaats im 19. Jahrhundert wird in Erinnerung gerufen. Einer Einführung in die geografischen und demografischen Charakteristika der Region folgen die Beschreibungen der Verläufe einzelner Filibuster-Expeditionen: Die Morehead-Expedition im Jahr 1851 gipfelte auf mexikanischer Seite in einer Klage bezüglich der durch die Filibuster verweigerten Hafensteuer. Damit war der Überfall den US-amerikanischen Behörden zur Kenntnis gebracht worden: "Da sich die USA in diesem Fall sehr kooperativ zeigten, konnte dieser Streit schnell beigelegt werden" (84). Morehead und seine Truppen hatten laut Neutrality act aber auch gegen die Gesetze der USA verstoßen. Von einer Ahndung durch die US-amerikanischen Behörden ist nicht die Rede. Dies lässt vermuten, dass diese Unterlassung die in Kapitel B beschriebene "Hochphase der Filibusterangriffe" begünstigte. Auslöser dafür waren, nach Gonzáles de Reufels, das sonorensische Kolonisierungsgesetz von 1850, von denen sich die Region, ähnlich wie in anderen lateinamerikanischen Staaten, eine Siedlungstätigkeit durch Ausländer versprach. Die ersten französischen Siedlungskompanien in Sonora hofften entsprechend auf Zuteilung von Landkonzessionen, allerdings weniger um zu siedeln, denn sich als so genannte "migrants viagere" den Zugang zu Bodenschätzen zu sichern. Angesichts der reichen Goldfunde in Kalifornien seit 1848 war dies ein Erfolg versprechendes Vorgehen. Bis ins Jahr 1853 mussten sich die französischen Unternehmer allerdings aufgrund eines Dekrets aus Mexiko-Stadt wieder zurückziehen und taten dies auch. Die übertriebenen Verheißungen die Bodenschätze in Sonora betreffend beflügelten in der Folge auch die US-amerikanische Filibusterunternehmung, geleitet von William Walker (1853-54). Die zweite Expedition des Franzosen Comte de Raousset-Boulbon (1854-1855), die von den Akteuren als "erster Schritt zur Besetzung dieses herrlichen Landes durch Frankreich" (196) gedeutet wurde, endete mit einem Sieg der Sonorenser über die Invasoren. Damit war, laut González de Reufels, der Grundstein gelegt für die Anerkennung der Leistungen Sonoras für den Erhalt der nationalen Freiheit Mexikos. Entsprechend wertete Santa Anna den Triumph von Guaymas vom Juli 1855 als außenpolitischen Erfolg. Unter dem Titel "Die Apotheose des Sieges über die Filibuster" (Kapitel C) beschreibt die Autorin weitere Siege (bis 1857) über die letzten US-amerikanischen Filibuster unter Henry Alexander Crabb. Was Mexiko betrifft, fand der Filibusterismus in den 1860er-Jahren sein Ende. "In dem Maße, in dem nordamerikanischen Unternehmen Zugang zum mexikanischen Markt erhielten und seit den 70er Jahren auch an der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes teilhatten, schwand indessen auch die Notwendigkeit, sich Mexiko ganz oder teilweise politisch anzueignen"(253).
Abgesehen von der Vorbildfunktion Sonoras bei ähnlichen Vorkommnissen in anderen mexikanischen Grenzstaaten betont die Autorin, dass die Bekämpfung der Filibuster letztlich die Separationsbestrebungen, die in den politisch und wirtschaftlich einflussreichen Kreisen auch bestanden hatten, unterdrückte.
Delia González de Reufels: Siedler und Filibuster in Sonora. Eine mexikanische Region im Interesse ausländischer Abenteurer und Mächte (1821-1860) (= Lateinamerikanische Forschungen. Beihefte zum Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas; Bd. 31), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, IX + 290 S., 3 Karten, 4 Abb., ISBN 978-3-412-04103-8, EUR 29,90
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