sehepunkte 4 (2004), Nr. 12

Hélène Gill: The Language of French Orientalist Painting

Hélène Gill geht den Hintergründen für die "Sprache" der orientalistischen Malerei nach. Sie konzentriert ihre Studie räumlich auf das seit 1830 von Frankreich als Kolonie eroberte Algerien und personell auf drei Maler Horace Vernet (1789-1863), Eugène Fromentin (1820-76) und Etienne "Nasr ed Dine" Dinet (1841-1929). Nach einer allgemeinen Einführung behandelt sie das Werk der drei Maler in separaten Kapiteln und schließt mit einem kurzen zusammenfassenden Abschnitt.

In der Einführung geht Gill von der aktuellen postkolonialen Orientalismusrezeption aus, in der sich kritische Sicht und Faszination berühren. Sie kennzeichnet in der Forschung der letzten zwanzig Jahre zwei Sichtweisen, die sich parallel entwickelten und gegenseitig beeinflussten: Edward Said folgend, versucht die eine Richtung den hegemonial auf Europa ausgerichteten Diskurs zur kulturellen Produktion des 19. Jahrhunderts in Frage zu stellen. [1] Dagegen begleitet die andere Richtung das wachsende Interesse an den orientalistischen Bildwelten, wie es die Ausstellungen und zahlreichen Bildbände seit dem Ende der 1970er-Jahre hierzu zeigen. [2]

Stilistisch ist der Orientalismus ein transepochales Phänomen, das sich primär über sein Motiv definiert. Wobei die Ergebnisse, so Gill, einige Meisterwerke (zum Beispiel von Ingres, Delacroix, Matisse), aber auch - besonders durch die Reproduktion befördert - eine Unmenge an Kitsch umfassen. Mit dem Aufstieg der Moderne verschob sich das Interesse auf formale Aspekte. Das Ende der Zwischenkriegszeit sah dann den Niedergang des Phänomens, dem nun in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine Wiederentdeckung in der Kunstgeschichte und Öffentlichkeit folgte.

Gerade in den Werken von relativ zweitrangigen Künstlern sieht die Verfasserin Kontext und Mentalität der Zeit manifestiert. Drei von ihnen zeigen für sie in paradigmatischer Weise die zeitgenössische Repräsentation des französischen Kolonialvorhabens: Horace Vernet, exemplarisch bezogen auf sein Werk "La Prise de la Smala d'Abd el Kader par le Duc d'Aumale à Taguin, le 16 mai 1843"; Eugène Fromentin für seinen Blick auf das algerische Hinterland und zuletzt Etienne Nasr ed Dine Dinet mit seinen Bildern des algerischen Südens.

Vernets großformatiges Gemälde entstand im Auftrag des Bürgerkönigs für die Schlachtengalerie in Versailles und gibt eine Episode aus der Eroberung Algeriens wieder. Womit ausnahmsweise ein koloniales und historisches Ereignis in einem orientalistischen Gemälde wiedergegeben ist. Dennoch zeigt es in Verortung, Darstellung der Menschen, Fülle von "exotischem" Beiwerk et cetera charakteristische Elemente der imaginierenden Orientmalerei. Im Weiteren geht Gill den Hintergründen für den Erfolg des Bildes bei allen gesellschaftlichen Schichten nach: Die unterlegenen Araber werden als tapfere Krieger, aber auch als ungeordneter Haufen ethnischer Typen und die Kolonialherren in der Folge als notwendige Ordnungsmacht im algerischen Chaos dargestellt. So sind Verents Bilder ein Vehikel für eine populäre Form des Patriotismus. Wobei Gill herausstellt, dass die Eroberung von Kolonien im französischen Rahmen - auch während der Juli-Monarchie - als Befreiung und Aufklärungstat gesehen wurde. Gleichzeitig spiegelt das Bild, das einen als feige diffamierten jüdischen Händler zeigt, auch die antisemitische Seite des französischen Mutterlandes wider. Dies entsprach den populistischen Tendenzen der Orléans-Herrschaft.

Der algerische Süden erscheint bei Fromentin, dessen Bilder den Mythos vom kolonialen Algerien formen, als ein Ort des ewigen Sommers. Die Wüste wird dabei zum jungfräulichen, extrem "anderen" Ort. Hier wendet sich die Suche nach dem Süden ins Innere oder Metaphysische. Gill unterstreicht, dass verbunden mit diesem "Ort außerhalb von Raum und Zeit" auch die Freiheit von bürgerlicher Moral verbunden zu sein scheint. In seinen Darstellungen jagender Araber transloziert Fromentin, so Gill, sein Idealbild eines europäischen Landedelmanns nach Algerien. Dies entspricht seiner nostalgisch-rückwärtsgewandten Haltung, die auch den Kolonialismus zurückweist, was zur Ablehnung des Malers durch die französischen Siedler beitrug. Seine konservative Haltung entspräche der der meisten Orientalisten. Wiederum erscheine an diesem Punkt der innerfranzösische Konflikt zwischen Konservativen und Progressiven: Fromentins Bilder dienten dem kolonialen Interesse an Verneinung der Historizität und territorialer Integrität der Araber.

Der in Paris ausgebildete Dinet unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den beiden anderen Malern: Er konvertierte zum Islam und nahm den Namen Nasr ed Dine (sic) an. Ihm war an einer Erfassung und Internalisierung des Charakters der Südsaharabewohner gelegen, unter denen er lebte. Wie Gill betont, wollte er einer von ihnen werden. Dabei verstand er seine künstlerische "Mission" als einen Akt der Dokumentation. Seine Gemälde sind frei von exotistischer Fantasie und romantischer Angst. Dinets Akte feiern - so Gill - Spontanität und Unschuld der sehr jungen Modelle, die - nach westlicher Tradition - in ihrer von Gott geschaffenen Schönheit gezeigt werden dürfen. Gill unterstreicht, dass sein Blick zwar durchaus voyeuristisch, aber von Sympathie geprägt ist. Nacktheit sollte nicht als respektlos, aber auch nicht idealisiert erscheinen.

Im Zusammenhang mit dem religiösen Aspekt im Werk Dinets beschreibt Gill das negativ gefärbte Islambild im französischen Orientalismusdiskurs um 1900. Dabei kam es zu einer Übertragung des ausgeprägten Antiklerikalismus nach Algerien, der sich dort gegen den Islam richtete. Gerade den links-säkularen Regierungen der Dritten Republik erschien dessen Bekämpfung als zivilisatorische Mission ihrer ausgeprägt expansionistischen und interventionistischen Politik.

Dinets "Araber" sind jedoch nicht frei von Typisierung und Entpersonalisierung. Hinzu kommt ein Ignorieren der anderen Ethnien und Religionen unter den Oasenbewohnern, was die Existenz einer einheitlichen Gesellschaft suggeriert. Seine am Motiv orientierten Bilder geben eine scheinbar geordnete, zeitlose Welt wieder, die von Verwestlichung bedroht ist. Dieser auch von den übrigen orientalistischen Malern vertretene Standpunkt unterscheidet sich nicht gänzlich von dem der zeitgenössischen Moslemreformbewegung. Dieses Paradox verweist auf die "posthume Karriere" Dinets als anerkannter Maler des postkolonialen algerischen Staates: Im Gegensatz zu den abgelehnten Werken anderer Orientalisten schienen die Gemälde Dinets die Suche nach einem optimistischen Bild der nationalen Vergangenheit zu befriedigen, umso mehr als deren Produzent zwar Franzose, aber konvertiert war.

Abschließend konstatiert Gill wenig überraschend, dass die Visualisierung des Anderen und dessen Gebiets ein Instrument und ebenso ein Anstifter des Hegemoniediskurses ist. Hierbei stellt sie besonders den Bezug aller drei Künstler zu der Debatte im Mutterland heraus, bei der der Imperialismus kaum oder nur eine zweitrangige Rolle spielte. Zuletzt erläutert die Autorin die Rolle der orientalistischen Bilder in der arabischen Welt im 20. Jahrhundert, die zwischen medialer Bilderflut und positiver Rezeption orientalistischer Malerei sowie religiös motiviertem Ikonoklasmus stehe. Eine auffallende Gemeinsamkeit ist, dass der Orientalismus als offizielle der Kunst der Imperialisten wie der Befreiten verwertet wurde und wird.

Gills Arbeit bietet eine Fülle von Hintergrundinformationen zum Thema Orientalismus und der Kolonialisierung Algeriens. Dabei gelingt es ihr in anschaulicher Weise die komplexen Zusammenhänge zwischen der politischen und sozialen Situation Frankreichs und deren Spiegelung beziehungsweise Transformation in der Bildwelt der drei orientalistischen Maler zu beschreiben. Sehr erhellend ist auch die spätere Funktionalisierung der Bilder im Zusammenhang des postkolonialen Diskurses dargestellt.

Allerdings erscheinen an einigen Stellen moralisierende Tendenzen und teilweise zeigen ihre Ausführungen redundante Aspekte. Überhaupt ist oftmals ein Abschweifen zu bemerken. Die Erwartung einer intensiven kunsthistorischen Auseinandersetzung mit dem Material - wie sie der Titel der Arbeit suggeriert - wird größtenteils enttäuscht. Zunächst fehlen meist konkrete Beschreibungen der Bilder als Ganzes. Dies ist um so bedauerlicher, weil die Abbildungen zu klein und dadurch sowie auf Grund der mangelnden Qualität bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind, das heißt besonders für Vernets großformatiges Bild, dass Details besprochen werden, ohne dass der Leser diese am Bild nachvollziehen kann (mit Ausnahme des jüdischen Händlers). Die Bilder erscheinen allgemein als Quellen einer historischen Arbeit und werden weniger kunsthistorisch aufgearbeitet.

Das Buch von Hélène Gill stellt also einen sinnvollen Beitrag zur Auseinandersetzung mit orientalistischer Malerei dar, wenn auch die künstlerische "Sprache der französischen orientalistischen Malerei" als solche eindeutig zu wenig besprochen wird.


Anmerkungen:

[1] Edward Said: Western Conceptions of the Orient. London 1978.

[2] Zum Beispiel: Philippe Jullian: The Orientalists. The Vision of the Orient by Nineteenth Century European Painters. Fribourg 1977.

Rezension über:

Hélène Gill: The Language of French Orientalist Painting (= Studies in Art History; Vol. 6), Lewiston, N.Y.: Edwin Mellen Press 2003, III + 191 S., 12 fig., ISBN 978-0-7734-6764-4, USD 109,95

Rezension von:
Andreas Baumerich
Köln
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Baumerich: Rezension von: Hélène Gill: The Language of French Orientalist Painting, Lewiston, N.Y.: Edwin Mellen Press 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 12 [15.12.2004], URL: https://www.sehepunkte.de/2004/12/4747.html


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