Die 717. Infanteriedivision (ab April 1943: 117. Jägerdivision) war vom Juni 1941 bis Kriegsende in Südosteuropa eingesetzt und nahm bis zum Einbruch sowjetisch-bulgarischer Kräfte in Serbien (Anfang Oktober 1944) die Aufgaben einer Besatzungsdivision wahr. In dieser Eigenschaft hat sie vor allem durch die Ermordung von mindestens 1.700 Geiseln durch eines ihrer Regimenter im serbischen Kraljevo (15. bis 17. Oktober 1941) traurige Berühmtheit erlangt. Hermann Meyer hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, die gesamte Einsatzgeschichte der Division zu analysieren und in den Kontext deutscher Besatzungspolitik zu stellen. Dabei ist die Phase zwischen Mai 1943 und Oktober 1944, in der die Division auf dem südgriechischen Peloponnes eingesetzt war (80-438), deutlich als der Schwerpunkt seiner Recherchen zu erkennen. Der Entschluss, auch die vorangegangene Besatzungszeit in Serbien und dem kroatischen Ustascha-Staat mit einzubeziehen, dürfte vermutlich kurzfristigen verlegerischen Überlegungen entsprungen seien: Das Kapitel zu 1941 wirkt deshalb auf Grund einer fehlenden Einbettung in den operativen und politischen Gesamtkontext des serbischen Kriegsschauplatzes auch etwas torsohaft; Ähnliches gilt in noch höherem Maße für die ersten vier Monate des Jahres 1943 und die Beteiligung der Division am Operationszyklus "Weiß" gegen die Hauptgruppe der Tito-Partisanen.
Gelinde gesagt ungewöhnlich ist schließlich die Tatsache, dass der Verfasser das Kriegsjahr 1942 ohne Angabe von Gründen komplett ausspart, was manchem Leser die Lust am Weiterlesen nehmen dürfte. Dies ist insofern bedauerlich, als die folgenden Kapitel zur "griechischen" Phase der Divisionsgeschichte mit zum Besten gehören, was der Rezensent während der letzten zehn Jahre zum Themenkomplex deutsche Wehrmacht im Partisanenkrieg in die Hände bekommen hat. Wie kaum einem anderen Forscher vor ihm ist es dem Autor gelungen, durch umfangreiche Archivrecherchen und Befragungen von Überlebenden die Sichtweise aller Beteiligten (im vorliegenden Fall: deutsche Wehrmacht, griechische Zivilbevölkerung, britische Militärmissionen vor Ort sowie Repräsentanten neutraler Hilfsorganisationen) zu berücksichtigen und zugleich allen Seiten, soweit möglich, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Obwohl seine Sympathie ohne Frage den drangsalierten griechischen Zivilisten gehört, erliegt Meyer nicht der - heutzutage fast schon zwangsläufigen - Versuchung, moralische und rechtliche Wertvorstellungen der Gegenwart auf die frühen Vierzigerjahre zu übertragen. Zugleich geht er mit allen Seiten gleich hart ins Gericht. Dies gilt sowohl für die mörderische Repressalienpraxis der deutschen Wehrmacht als auch die terroristische Vorgehensweise des griechischen Widerstandes und die ihren eigenen Prioritäten folgenden Männern der britischen Special Operations Executive (SOE). Geradezu überwältigend auch die Qualität des mitgelieferten Bild- und Kartenmaterials, das in dieser Fülle als geradezu einzigartig zu bezeichnen ist. Vorbildlich schließlich ist die Art und Weise, in der der Verfasser den menschlichen und juristischen Langzeitfolgen, die das Wüten der 117. Jägerdivision (insbesondere das Massaker von Kalavryta am 13. Dezember 1943) in der Nachkriegszeit zeitigte, nachgeht. Der deutschen Geschichtswissenschaft ist zu wünschen, dass Hermann Meyer sich auch in Zukunft weiter diesem oder einem verwandten Themenkomplex widmen wird; der Erwerb seines Buches ist für jeden Wehrmachtsausstellungsgeschädigten ein absolutes "Muss".
Frank Hermann Meyer: Von Wien nach Kalavryta. Die blutige Spur der 117. Jäger-Division durch Serbien und Griechenland (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns; Bd. 12), Mannheim / Möhnesee: Bibliopolis 2002, 556 S., 193 Abb., 43 Karten und Faks., ISBN 978-3-933925-22-0, EUR 49,00
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