sehepunkte 5 (2005), Nr. 1

Ingrid Schulze: Lucas Cranach d. J. und die protestantische Bildkunst in Sachsen und Thüringen

Der mit etwa 150 Schwarz-Weiß-Abbildungen und 18 Farbtafeln auf 328 Seiten überaus reich bebilderte Band der 1990 emeritierten Hallenser Professorin Ingrid Schulze erschien Ende Februar 2004. Er ist in zwei Teile gegliedert, deren erster sich den "Anfängen Lucas Cranachs des Jüngeren bis zu seinem Weimarer Altar" mit dem Untertitel "Zum Fortwirken Cranachscher Kunst im ernestinischen Thüringen" widmet, während der zweite die "Künstlerische Entwicklung Lucas Cranachs des Jüngeren im albertinischen Sachsen in der Zeit der Regierung des Kurfürsten August" aufzeigt.

Die in die jeweiligen politischen Machtbereiche getrennten beiden Teile werden sodann nach ikonografischen Gesichtspunkten untersucht, wobei sich die Autorin vor allem für die konfessionellen Aspekte und glaubenspolitischen Bedeutungen der von ihr behandelten Werke interessiert. Folglich finden weltliche Themen und Porträts nur am Rande Erwähnung.

Die thematischen Studien des ernestinischen Teiles setzen mit "Lucas Cranach dem Jüngeren in der väterlichen Werkstatt in Wittenberg" ein. Sie werden exemplarisch anhand der wohl berühmtesten protestantischen Bildthemen, der Glaubensallegorie von Gesetz und Gnade (11-21), dem Schmerzensmann sowie Christus, der die Kinder zu sich ruft (22- 30) vorgetragen.

Die kooperative Arbeit an der Seite seines Vaters Lucas Cranach des Älteren sowie seine fortschreitende Verselbstständigung werden im folgenden anhand des Sakramentsaltars der Wittenberger Stadtkirche (32- 50) beziehungsweise der biblischen Figuren Elia, Johannes der Täufer und Paulus als weitere Beispiele lutherischer Bildkunst geschildert (52-70).

Bevor die religiöse Ikonographie unter dem Blickpunkt ihrer politischen Agitation behandelt wird, vervollständigt ein Abschnitt über die höfische Auftragskunst (78-90) mit Werken für Schloss Torgau sowie mit dem Dresdner Bildprogramm für Moritz von Sachsen das facettenreiche Schaffen der Cranach-Werkstatt. Den Abschluss der Betrachtungen bilden Werke aus der inzwischen nach Weimar übergesiedelten Cranach-Werkstatt.

Das Kapitel schließt mit der Behandlung von Werken der Cranach-Nachfolge, wobei besonderes Augenmerk den beiden Cranach-Schülern Veit Thiem (114-118) und Peter Roddelstedt (119-128) gilt.

Auch die Kunst, die Lucas Cranach der Jüngere (1515-1586) im albertinischen Sachsen schuf, gliedert sich in thematische Bereiche. Das erste Kapitel bietet einen allgemeinen Überblick über die verwendeten religiösen Bildthemen, das zweite Kapitel beschäftigt sich genauer mit der unterschiedlichen Themenwelt der Eislebener Epitaphien und ihren wichtigsten Künstlern wie den Malern Heinrich Peters und Veit Thiem (227-264).

In ihrem abschließenden Ausblick widmet sich Ingrid Schulze einerseits "Der weiteren künstlerischen Entwicklung in Sachsen" unter besonderer Berücksichtigung von Heinrich Göding dem Älteren und Matthias Krodel dem Älteren, andererseits aber dem Einfluss der in den späten 1580er-Jahren von Böhme auf der Basis von Melanchthons Gedanken verfassten Lichtmetaphorik, die rezeptionsgeschichtlich mit Runge und Friedrich verglichen wird. Gerade in diesem letzten Aspekt [1], aber auch in den bereits vielfach behandelten Altären zu Wittenberg, Weimar und Dessau, tritt eine gewisse Redundanz zu Tage. Auch wenn das Anliegen der Autorin nachvollziehbar ist, ihre Untersuchung mit dem Anspruch auf Vollständigkeit zu versehen, reihen sich vielfach die angeschnittenen Bildthemen zu einem rein deskriptiv-kompilatorischen Überblick, der wenig Neues erwarten lassen kann. [2] Gerade ihr Fokus auf die protestantische Kunst Lucas Cranachs des Jüngeren lässt darüber hinaus die nahezu gänzlich fehlende Behandlung der Buchmalerei, deren feinmalerische Technik jedoch so charakteristisch für das Schaffen des jüngeren Cranachs ist, genauso missen wie die grafischen Produktionen dieser Werkstatt. [3] Auch die bisweilen fehlende Auseinandersetzung mit der Werkstattstruktur sowie Stil- und Zuschreibungsfragen [4] muss sich daher insgesamt die Kritik einer gewissen Oberflächlichkeit gefallen lassen. Dies jedoch entschädigt die Autorin mit ihrem ausgeprägtem Sinn für die heute noch immer häufig vernachlässigte, kontextuelle Interpretation - sowohl im historisch-politischen Kontext (etwa der Exkurs zum ernestinischen Herzogtum, der sich um die kontextuelle Verankerung der Auftragskunst in den politischen Wirren jener Jahre bemüht), als auch in biografischer Hinsicht (etwa die Lebensumstände Cranachs in Wittenberg nach der Niederlage der Ernestiner). Als großen Dienst an der Forschung ist es zu bewerten, dass von ihr das Schaffen Lukas Cranachs des Jüngeren als Forschungsdesiderat erkannt und als Problem angegangen wurde. Unter diesem Blickwinkel mag auch der bisweilen kompilatorische Charakter gerechtfertigt erscheinen. Da sie die heutzutage ebenfalls noch stiefmütterlich behandelten Cranach-Schüler mit in ihre Betrachtungen eingebunden hat, legt sie einen weiteren wichtigen Grundstein für die zukünftige Forschung zu Cranach dem Jüngeren. [5] So hat uns Ingrid Schulze einen informativen, ikonografisch aufgefächerten Einstieg in die protestantische Kunst von Lucas Cranach dem Jüngeren an die Hand gegeben, mit dem trotz des Verzichts auf eine Bibliografie sowie auf Maß- und Materialangaben gerade auf Grund seiner reichen Bebilderung ein Überblickswerk gelungen ist. Möge dieser Band den geneigten Forschern als Anreiz dienen, die mit diesem Werk offen gelegte Forschungslücke weiter zu schließen!


Anmerkungen:

[1] Siehe etwa: Von Lucas Cranach bis Caspar David Friedrich: Ausstellungskatalog des Museums der Bildenden Künste Leipzig und der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn (4. März bis 17. April 1994), herausgegeben von Herwig Guratzsch, Stuttgart 1994.

[2] Siehe etwa das viel diskutierte "Gesetz und Gnade" - Thema. Zwar wurde immerhin mit dem noch vielfach in der Literatur ignorierten anonymen Holzschnitt von 1528 ein neuerer Forschungsstand dokumentiert, doch die ins frühe Jahr 1525 datierte erstmalige Erscheinung des Themas als so genannte "Rechte Hälfte" in einem Pamphlet von Urbanus Rhegius blieb nach wie vor unberücksichtigt.

[3] Lediglich auf Seite 18 sowie in der Abbildung auf Seite 20 findet dieser Aspekt Erwähnung.

[4] Ein Beispiel dafür ist die von ihr erwähnte Vermutung Werner Schades, Cranach der Jüngere habe sich in den sechziger Jahren einige Zeit in den Niederlanden aufgehalten. Dies bleibt unkommentiert (187). Darüber hinaus offenbart sich gerade im Beispiel "Gesetz und Gnade", bei dem viele Werke mit wechselnden Zuschreibungen wie etwa das Altarblatt zu Aschersleben ungenannt bleiben, der exemplarische Charakter dieser Studie.

[5] Bislang ist keine Monografie ausschließlich zum jüngeren Cranach erschienen, vielmehr findet der Sohn meist nur am Rande Erwähnung in Werken über seinen berühmten Vater.

Rezension über:

Ingrid Schulze: Lucas Cranach d. J. und die protestantische Bildkunst in Sachsen und Thüringen. Frömmigkeit, Theologie, Fürstenreformation (= PALMBAUM Texte. Kulturgeschichte; Bd. 13), Bucha bei Jena: quartus-verlag 2004, 325 S., 14 Farbtafeln, 140 Abb., ISBN 978-3-936455-03-8, EUR 19,90

Rezension von:
Miriam Hübner
Bonn
Empfohlene Zitierweise:
Miriam Hübner: Rezension von: Ingrid Schulze: Lucas Cranach d. J. und die protestantische Bildkunst in Sachsen und Thüringen. Frömmigkeit, Theologie, Fürstenreformation, Bucha bei Jena: quartus-verlag 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 1 [15.01.2005], URL: https://www.sehepunkte.de/2005/01/5678.html


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