Gut fünfzig Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland erfreuen sich Verleger-Biografien einer neuen Beliebtheit. Der Fokus liegt dabei auf den charismatischen Einzelpersönlichkeiten der Gründerzeit, die mit ihren Zeitungen oder Zeitschriften Politik und Gesellschaft gestalten wollten und zu Gunsten ihrer Ideale oft auch zu eigenem politischen Engagement bereit waren: Gerd Bucerius, Henri Nannen, Axel Springer oder eben Rudolf Augstein. Allein über Rudolf Augstein erscheint zur Zeit jährlich eine neue Biografie.
Dieter Schröder, langjähriger Korrespondent und Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, später Herausgeber der Berliner Zeitung, arbeitete 1964/65 selbst als Reporter beim "Spiegel", wo er jedoch laut Ulrich Greiwe "mit den rauen Sitten hinter den Kulissen des Magazins nicht zurecht" kam. [1] Dennoch möchte Schröder seinen früheren Arbeitgeber "ohne Gefühle der Abneigung oder der Bewunderung, ohne moralische Urteile, aber mit einer Grundsympathie" (9) schildern. Diesem Anspruch wird Schröder letztlich nicht gerecht. Rudolf Augstein wird in seiner Biografie als hoch intelligenter und machtbewusster Zyniker gezeichnet, der bis auf wenige Ausnahmen nur seine eigenen Kenntnisse und Ansichten gelten ließ und dabei sogar bis zur Realitätsverweigerung ging. Positive Züge gibt es kaum; sie werden außerdem nur kurz benannt und bleiben blass. Schröder beschreibt das Leben Augsteins darüber hinaus als eine Reihe von Fehlschlägen. Vieles, was Augstein begann, war demnach nur von kurzer Dauer: Freunde und Ehefrauen begleiteten ihn häufig nur eine kurze Zeit in seinem Leben; er scheiterte als Zeitungsherausgeber, als Stückeschreiber für das Theater und als Politiker.
Außerordentlich erfolgreich war er dagegen mit dem "Spiegel", doch auch dieser stellte Augstein nicht zufrieden. Schon mit 27 Jahren - da existierte der "Spiegel" erst drei Jahre! - langweilte ihn das Magazin. Es sei die Aufgabe des Biografen, einen roten Faden im Leben des Porträtierten zu finden, meint Schröder. Er findet gleich mehrere, und einer davon ist Augsteins fortwährendes Leiden an seinem eigenen Produkt. In Briefen und Gesprächen klagte "Mr. Spiegel" immer wieder, dass er sich bei seinem eigenen Magazin nicht mehr wohlfühle und weder seine politischen Ansichten darin wieder finde noch den journalistischen Stil gutheiße. Trotzdem wird in dem Buch nicht deutlich, welche Publikation ihm denn stattdessen vorschwebte und warum er sich in dieser Hinsicht nicht durchsetzen konnte. Schließlich hatte Augstein laut Schröder fast immer das letzte Wort und bestimmte Themen und Ausrichtung der Storys. "Der Spiegel ist Augsteins Werk, und Augstein ist der Spiegel" (40). Schnell hatte er seine Mit-Lizenzträger ausgebootet. Wenn er im Ringen um die interne Mitbestimmung den Mitarbeitern weiter reichende Zugeständnisse machte, als er selbst ursprünglich plante, so hielt er doch eine Sperrminorität der Spiegel-Anteile. Spätestens wenn Augstein in redaktionsinternen Diskussionen seinen verlegerischen Rückzug andeutete, stellte er sicher, dass seine Wünsche Gehör fanden.
Schröders Biografie orientiert sich strikt an der Chronologie. Sie beginnt mit Augsteins Elternhaus und seiner Geburt am 5. November 1923 und endet mit seinem Tod zwei Tage nach seinem 79. Geburtstag. Dazwischen liegt der sensationelle Aufstieg des "Spiegels" zum einflussreichsten deutschen Nachrichtenmagazin der Nachkriegszeit, das mit der speziellen Technik der "Spiegel-Story" und seinem investigativen Journalismus Mediengeschichte schrieb, mit seiner vehementen Einmischung in die Politik, vor allem mit der "Spiegel-Affäre" 1962 aber auch die Geschichte der Bundesrepublik beeinflusste. Eindrücklich schildert Schröder diesen zentralen Punkt in der "Spiegel-Geschichte" und macht deutlich, dass dieser zugleich einen Wendepunkt für den "Spiegel" und seinen Besitzer bedeutete. "Die großen Meinungsschlachten der fünfziger und sechziger Jahre waren geschlagen; die großen Männer, an denen sich Augstein reiben konnte, waren abgetreten; die Politik hatte eine Eigendynamik angenommen, die er kaum verändern konnte." (238) Augstein selbst dagegen war, so zitiert Schröder einen Redakteur, "geistig in den fünfziger und sechziger Jahren stehengeblieben" (246).
Was das genau bedeutete, illustriert Schröder anhand der politischen Vorstellungen Augsteins, ein weiterer roter Faden des Buches. Er war ein scharfer Gegner der Wiederbewaffnung und ein vehementer Befürworter der Wiedervereinigung, propagierte zu diesem Zweck auch das Gespräch mit der Sowjetunion und bekämpfte Konrad Adenauer so vehement wie Franz Josef Strauß. Obwohl Augstein von den Linken der Republik oft geistig vereinnahmt wurde, waren seine politischen Vorstellungen eher national geprägt; unter anderem beschäftigte er sich intensiv mit Bismarck und Friedrich dem Großen. Die Klarstellung, dass es sich bei Augstein keineswegs um einen Linken gehandelt habe, auch wenn er sich 1968 gerne als Dialogpartner der rebellierenden Studenten sehen wollte, ist Schröder daher besonders wichtig.
Weitere Aspekte aus Augsteins Leben, die sich leitmotivisch durch die Biografie ziehen, wirken dagegen recht bemüht. Dazu gehört zum Beispiel Augsteins Körpergröße von 169 Zentimeter oder seine Prägung durch die familiäre Konstellation im Elternhaus. So bezeichnet Schröder Augstein hartnäckig als Nesthäkchen, obwohl es noch eine jüngere Schwester gab. Auch seine finanzielle Situation wird unnötig oft herangezogen - unter anderem soll sein jüdischer Schulfreund Ostermann ihn deshalb nicht zu Hause besucht haben, weil es den Augsteins finanziell schlechter gegangen sei als den Ostermanns (16/17). Ob Augstein vielleicht auch wegen des Judentums nicht zu Besuch bei den Ostermanns war, wird nicht einmal als Frage aufgeworfen, obwohl Schröder ein paar Seiten später selbst auf den latenten Antisemitismus von Augsteins Vater hinweist (19). 1957 habe Augstein auf eine Kandidatur für den Bundestag verzichtet, weil er bereits zu reich gewesen sei (195) - 1972 kandidierte er dann aber doch. Da ist die Erklärung, dass Augstein kein Oppositionspolitiker werden wollte (194), plausibler, und dieses Schicksal drohte einem FDP-Politiker 1957 eher als 1972.
Leider verfällt Schröder immer wieder in den "Spiegel-Stil", vieles an Personen festzumachen. Das liest sich recht flott, geht aber zulasten von Themen, die sich nicht an Personen illustrieren lassen. Vieles bleibt so im Ungewissen. Die zahlreichen kleinen Exkurse über einzelne Personen sind daher zwar interessant, verstärken aber zugleich eine ohnehin gelegentlich vorhandene thematische Beliebigkeit und Anekdotenhaftigkeit.
Viel Neues hat Schröder in seiner Augstein-Biografie nicht zu bieten, auch wenn er stärker als seine Vorgänger Augsteins Probleme mit dem "Spiegel" herausstreicht. Wie schon den früheren Biografen blieb aber auch ihm das persönliche Augstein-Archiv verschlossen, sodass er sich auf die Hausdokumentation des "Spiegels" sowie den Briefwechsel - meist wohl aus dem Archiv des deutschen Liberalismus in Gummersbach - stützt. Seine wichtigste Quelle sind die Kolumnen Augsteins. "Was Rudolf Augstein wollte, steht in seinen Artikeln. Es gibt keine Geheimnoten oder staatspolitisch wichtigen Briefwechsel, die neues Licht auf bekannte Vorgänge werfen oder unbekannte ans Tageslicht bringen" (7) verteidigt Schröder diese Einschränkung. Doch solange niemand Augsteins Akten kennt, ist dies zumindest eine gewagte Aussage. Und es wäre sicher interessant, einige Reflektionen des Verlegers über Personen oder Themen anhand der noch unzugänglichen Texte kritisch zu überprüfen. So jedoch filtert auch Schröder insbesondere aus den Kolumnen, die Augstein unter seinem Pseudonym Jens Daniel schrieb, erneut dessen Deutschlandbild und Abneigung gegen Adenauer heraus, schildert den Aufstieg des "Spiegels" mit den zum Teil sattsam bekannten Anekdoten und illustriert auch Augstein selbst zu oft mit bekannten Briefen oder Gedichten. Dazu kommt eine Sprache, deren Polemik oft anachronistisch wirkt. Beispielsweise bezeichnet Schröder Axel Springer konsequent als Axel "Cäsar" Springer - inklusive Anführungszeichen -; Franz Josef Strauß wird zum "Alpenkrieger" oder "machtlüsternen Bajuwaren" (106). Daraus geht vor allem die persönliche Ansicht des Autors hervor. Der stete Wechsel zwischen Präsens und Präteritum verleiht der Biografie zusätzlich unnötig reißerische Züge. So ist das Buch vor allem eine lockere Feierabendlektüre für Personen, die bislang wenig über Augstein und den "Spiegel" wissen.
Anmerkung:
[1] Ulrich Greiwe: Augstein. Ein gewisses Doppelleben, München 2003, 115.
Dieter Schröder: Augstein, München: Siedler 2004, 319 S., 30 Abb., ISBN 978-3-88680-782-6, EUR 22,90
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