sehepunkte 5 (2005), Nr. 4

Emily A. Hemelrijk: Matrona docta

Bildung ist der Mittelpunkt vieler moderner Kontroversen, war aber auch schon in der römischen Antike umstritten - insbesondere wenn es um Frauen ging. Davon zeugt bereits die Tatsache, dass der Dissertationstitel 'Matrona docta' eine Wortschöpfung der niederländischen Wissenschaftlerin Emily A. Hemelrijk ist; in der lateinischen Literatur ist dieser Begriff nämlich unbekannt (7). Die Untersuchung konzentriert sich - wie auch der Untertitel andeutet - auf die weiblichen Mitglieder der römischen Oberschicht in einem Zeitraum von rund 5 Jahrhunderten (2. Jahrhundert vor Christus bis 235 nach Christus) und auf den geografischen Bereich Rom, Italien und lateinischsprachiger Westen des Römischen Reiches (2).

In einem ersten Kapitel (7-16) beleuchtet die Autorin drei Aspekte, die die gesellschaftliche Stellung römischer Aristokratinnen betreffen. Sie beschreibt zunächst die Positionen innerhalb der Familie (Tochter, Gattin, Mutter, Witwe) und die damit jeweils verbundenen Aufgaben und Einflussmöglichkeiten (9-11). Dann nimmt Hemelrijk die ihrer Ansicht nach unsichere, weil indirekte Standesbindung der römischen Aristokratinnen in den Blick und erläutert, warum sie die Zugehörigkeit zum ordo matronarum als Kompensationsmöglichkeit hierfür sieht (12-14). Zuletzt umschreibt sie den mit dem Begriff 'matrona' verbundenen Normen- und Regelkatalog sowie die zugehörigen Symbole (14-15). Hemelrijk weist darauf hin, dass zwischen den strengen Normen und den vielfältigen Aufgaben des täglichen Lebens einer römischen Matrone gewisse Diskrepanzen bestanden, die auch hinsichtlich ihrer Bildung zum Tragen kommen (15-16).

Dem Thema 'Bildung römischer Aristokratinnen' sind somit die folgenden zwei Kapitel gewidmet. Zunächst weist Hemelrijk anhand der Untersuchung von Unterrichtsmöglichkeiten (17-58) nach, dass das Bildungsniveau römischer Frauen vermutlich sehr unterschiedlich und abhängig von individuellen Faktoren wie Vermögen, Familientradition, Wohnort oder Heiratsalter war (57-58). Denn im Gegensatz zu ihren männlichen Standesgenossen zerfiel die Ausbildung römischer Aristokratinnen nicht in Elementar-, Grammatik- und Rhetorikunterricht (abgerundet durch einen Athenaufenthalt), sondern in eine Zeit vor und (eventuell) nach der Heirat (20). Hemelrijk weist verschiedene Weiterbildungsmöglichkeiten für verheiratete Frauen auf, unter die auch die Teilnahme an gesellschaftlichen Ereignissen fällt (58). In einem zweiten Schritt untersucht sie nun Zweck und Bewertung weiblicher Bildung (59-96). Hinsichtlich des Zwecks unterscheidet sie zwischen vorgeblichen Begründungen (moralische Festigung und Vorbildfunktion einer gebildeten Mutter) zur Rechtfertigung der scheinbar zwecklosen, da nicht berufsbildenden Erziehung von Mädchen (70) und pragmatischeren Überlegungen (Befähigung zur Erfüllung von häuslichen und gesellschaftlichen Pflichten und soziale Distinktion, 72). Zur Beurteilung gebildeter Frauen stellt die Verfasserin fest, dass deren Bildung nur akzeptiert war, wenn sie den traditionellen Tugenden untergeordnet blieb (95). Die Untersuchung des Themengebiets rundet Hemelrijk mit einem kurzen chronologischen Überblick (92-96) ab, wobei sie vor allem im frühen Prinzipat eine zunehmende Akzeptanz und Wertschätzung von Bildung beobachtet.

Dem offensichtlich mehr für den frühen Prinzipat typischen Phänomen (143) der Kulturförderung durch gebildete Mäzeninnen wendet sich die Autorin im folgenden Kapitel zu (97-145). Sie unterscheidet in dieser Zeit zwei Gruppen mit unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten: die Frauen des Kaiserhauses und andere weibliche Mitglieder der Oberschicht. Ersteren war über den Zugang zum Herrscher die Vermittlung spezieller Vergünstigungen möglich (126). Ansonsten arbeitet Hemelrijk heraus, dass Förderung in finanzieller, materieller oder ideeller Unterstützung bestehen konnte und sich in dieser Hinsicht nicht von derjenigen durch Männer unterschied (144). Die - offensichtlich in dieser Form erwartete - Gegenleistung bestand nicht im Lob der Großzügigkeit, sondern in dem der besonderen moralischen Mustergültigkeit der Gönnerinnen (145). Insgesamt gesehen spielten diese jedoch, so Hemelrijks vorsichtige Beurteilung angesichts der schlechten Quellenlage, nur eine marginale Rolle in der Literaturförderung (145).

In zwei weiteren Kapiteln wird der Themenkomplex 'Literarisch tätige Frauen' betrachtet. Hemelrijk untersucht zunächst die wenigen bekannten Beispiele aus dem Bereich der Lyrik (146-184), wo sich Frauen offensichtlich auf Liebeslyrik und Epigramme beschränkten (180). Gegen die kontrovers diskutierte These "that women had a distinct literary 'voice' and tradition [...] which was suppressed by a dominant male tradition" (146) führt sie an, dass zunächst kein explizit weiblicher Sprachstil nachgewiesen werden kann (180). Darüber hinaus findet sich eine Erklärung für die schlechte Überlieferungslage eher in den vielfältigen Widrigkeiten, die Entstehung, Veröffentlichung und Bewahrung weiblicher Lyrik verhinderten (181-183). Noch desolater ist die Lage im Bereich der Prosa (185-209). Zunächst einmal haben sich römische Aristokratinnen offensichtlich auf das Schreiben von Briefen beschränkt (185) und hier zwar durchaus frauentypische Themen gewählt, aber wiederum keinen geschlechterspezifischen Stil ausgebildet (202). Dass darüber hinaus die wenigen bekannten Beispiele höchstens in Zitaten oder durch archäologischen Zufall erhalten sind, führt Hemelrijk nicht auf Frauenfeindlichkeit, sondern wiederum auf ein ganzes Spektrum von Lebensumständen zurück, die eine Veröffentlichung und den Erhalt solcher Zeugnisse verhinderten (203-206). Bezeichnenderweise ist auch die einzige bekannte Ausnahme hinsichtlich der Genrewahl, die Autobiografie der Agrippina Minor (186-188), verloren. Ein chronologischer Gesamtüberblick zum Wirken literarisch tätiger Frauen schließt dieses Kapitel ab (206-208).

Auf die kompakte Präsentation der Ergebnisse im Schlusskapitel (210 - 219) folgt ein Anhang mit Anmerkungen (220-357), Übersetzungsverzeichnis (358 f.), Bibliografie (360-372), Quellenindex (373-375) und allgemeinem Stichwortverzeichnis (376-382). Weitere Beigaben sind ein Abbildungsverzeichnis (IX), ein Abkürzungsverzeichnis (XII f.) sowie eine Übersicht zu den Lebensdaten der wichtigsten erwähnten Personen (XIV-XVI).

Kulturgeschichtliche Werke zum Thema 'Bildung im antiken Rom' behandeln Frauenbildung - wenn überhaupt - kursorisch und untersuchen wenige, immer wiederkehrende Beispiele (1). Nun hat zwar die Frauen- und Geschlechtergeschichte in den letzten Jahren viele Erkenntnisse zu den Bedingungen antiken weiblichen Lebens erbracht. Jedoch war auch hier bis zum ersten Erscheinen von Hemelrijks Werk die Erziehung und Bildung römischer Aristokratinnen nicht adäquat untersucht worden.

Dabei hat sie wie alle, die sich mit Frauen in der Antike beschäftigen, mit den typischen Quellenproblemen umzugehen: Fast alle Zeugnisse stammen von Männern, Frauen werden nur am Rande erwähnt oder in bestimmter Absicht dargestellt und so weiter. Diesem Umstand begegnet Hemelrijk mit vorsichtigen Formulierungen und kritischen Überlegungen zu den Gegebenheiten weiblichen Lebens in der römischen Antike. Ihre in leicht verständlicher Sprache abgefassten Analysen sind gut nachzuvollziehen, da im Anhang alle wichtigen Quellenstellen im Original sowie in Übersetzung aufgeführt sind. Wie so oft wären allerdings Fußnoten praktischer als Endnoten gewesen. Bedauerlicherweise hat man der Autorin offensichtlich auch keine Möglichkeit zur Aktualisierung der Literatur gegeben, denn das vorliegende Buch ist das unveränderte Paperback der Ausgabe von 1999.

Etwas störend wirkt die redundante Besprechung von Cornelia, der Mutter der Gracchen, die fast in allen Kapiteln als Beispiel untersucht wird (24, 64-69, 101-102, 193-197). Ansonsten könnte man andernorts durchaus über verschiedene Ansichten Hemelrijks diskutieren, sei es über die Interpretation der von Cornelius Nepos überlieferten 'Cornelia-Fragmente' als authentische Privatbriefe (196), sei es über die (wenig überzeugende) Bezeichnung der Sabina als von Martial intendierte Förderin (139-140). Auch hätte man sich statt der wenig aussagekräftigen Bilder des einen Memnon-Kolosses (165-166) eher ausführlichere Zitate der dort verewigten Balbilla-Gedichte gewünscht.

Diese Kritikpunkte beeinträchtigen den positiven Gesamteindruck jedoch nicht. Denn 'Matrona docta' ist ein fundiertes Werk über die Bildung römischer Aristokratinnen und regt zum Weiterforschen an. Zumindest das relativ preiswerte Paperback sollte Bestandteil einer althistorischen Fachbibliothek sein.

Rezension über:

Emily A. Hemelrijk: Matrona docta. Educated women in the Roman élite from Cornelia to Julia Domna (= Routledge Classical Monographs), London / New York: Routledge 2004, XVI + 382 S., 5 plates, ISBN 978-0-415-34127-1, GBP 19,99

Rezension von:
Michelle Froese
Institut für Alte Geschichte, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Empfohlene Zitierweise:
Michelle Froese: Rezension von: Emily A. Hemelrijk: Matrona docta. Educated women in the Roman élite from Cornelia to Julia Domna, London / New York: Routledge 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: https://www.sehepunkte.de/2005/04/7275.html


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