In den letzten Jahren ist erfreulicherweise ein vermehrtes Forschungsinteresse an einer der wohl bedeutendsten und interessantesten Modezeitschriften der Zeit um 1800 zu verzeichnen, dem Journal des Luxus und der Moden. Nicht nur, dass die Arbeiten zu einer 3-bändigen analytischen Bibliografie zu dem Journal in 2003 abgeschlossen werden konnten. [1] Darüber hinaus wurde 1998 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena ein DFG-Sonderforschungsbereich "Ereignis Weimar - Jena. Kultur um 1800" eingerichtet, in dem die Forschung zu dem Weimarer Unternehmer und Verleger des Journals, Friedrich Justin Bertuch, einen wichtigen Schwerpunkt ausmacht. Im vorliegenden Sammelband werden jetzt die Ergebnisse der gleichnamigen Tagung dieses SFB aus dem Jahr 2000 in 12 Beiträgen reich bebildert vorgestellt.
Das Journal des Luxus und der Moden, von Friedrich Justin Bertuch und Georg Melchior Kraus zwischen 1786 und 1826 herausgegeben, erschien als monatliche Zeitschrift, der regelmäßig handkolorierte oder schwarz-weiße Kupferstiche beigefügt waren. Sie enthält ein breites Spektrum an Beiträgen, Artikeln, Rezensionen und Anzeigen zu allen wichtigen Bereichen der Kultur und der Kulturtechniken. Alltägliche Lebensformen werden ebenso verhandelt wie ästhetische Werke oder auch technisch-wissenschaftliche Anleitungen. Der Leser oder vor allem die Leserin - sie war die Hauptadressatin - erhielt Informationen und Empfehlungen zur Bekleidung und Mode aber auch zur Kunst, Literatur, Theater, Architektur, Musik, Gartenkunst, Bäderwesen, Gesundheit u.v.m. (19). Und sie wurde nicht nur über die Neuigkeiten selbst ausführlich informiert, sondern ebenso auf die Bezugsquellen neuer Produkte verwiesen und somit zum Konsum von materiellen und geistigen Produkten angeregt (vgl. 124).
Durch die Vielfalt der im Journal behandelten Themen, seinen Erfolg beim Publikum und seine lange Erscheinungszeit während der Umbruchzeit nach der Französischen Revolution gilt das Journal als hervorragende Quelle nicht nur für die Modegeschichte, sondern auch für die Kultur-, Mentalitäts-, Alltags- und Ideengeschichte der Zeit um 1800.
Anders als in diversen vorausgegangen Untersuchungen zum Journal, die es überwiegend als Quelle für einzelne kulturhistorische Aspekte genutzt haben, werden im vorliegenden Band die Möglichkeiten aufgezeigt, das Journal in seinem Gesamtkonzept zu beleuchten. Wie es zurecht im Vorwort heißt, trägt der Band der inhaltlichen Diversifikation des Journals Rechnung, indem die Aufsätze sowohl methodisch als auch thematisch auf unterschiedliche Weise auf das Material zugreifen (7). Die fachspezifischen Analysen der Autoren, Literaturwissenschaftler wie Historiker und Kunsthistoriker etc. fallen jedoch nicht in einer Buchbindersynthese auseinander, sondern - und das ist für einen Tagungsband eher ungewöhnlich - werden unter der Forschungsperspektive eines interdisziplinären kulturgeschichtlichen Zugangs vereint. Dabei zeigt sich, dass Bertuch in seinem Journal - obwohl die Wahl seiner Texte, Rezensionen und Berichte sowie Abbildungen als buntes Potpourri erscheinen - ein sehr stringentes aufklärerisches Konzept verfolgt. Die Beiträge zeigen deutlich, dass Bertuchs zentrales Anliegen die Vermittlung, Etablierung und Kommunikation des bürgerlichen Wertesystems und insbesondere eines bürgerlichen Geschmacks in einer sich formierenden bürgerlichen Gesellschaft war. Dabei schildern die Autoren für die verschiedensten Lebensbereiche, wie es dem Journal während seiner langen Erscheinungsdauer durch seine große Leserschaft und seiner Fähigkeit zur Konsumstimulation gelingt, eine nicht unwesentliche Rolle in der Formierung eines bürgerlichen Lebensgefühls und einer bürgerlichen Identität zu spielen (vgl. 124). Denn - und das arbeiten die Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven heraus - zu einem neuen kritischen Konsumenten gehöre die Erziehung zu eigenen ästhetischen Ansichten von Mode und Lebensführung, auch in kritischer Abgrenzung zu dem um 1800 längst noch nicht völlig abgelösten aristokratischem Geschmack.
Dieser aufklärerische Anspruch wird offenbar bis ins Detail von Bertuch und seinen Autoren verfolgt - so zeigen es die Analysen zu einzelnen inhaltlichen Schwerpunkten des Journals etwa zur Mode- und Kulturkritik (Angela Borchert und Astrid Ackermann), zum Unterhaltungsbegriff (Karin A. Wurst), zur Literaturkritik (Ralf Dressel), zur Antikerezeption (Susanne Holmes), zum Gartenbau (Susanne Müller-Wolff), zu den Illustrationen (Renate Müller-Krumbach) oder zur Wissenschaft und Technik (Paul Ziche). Und immer wieder wird in den Aufsätzen geschildert, wie die Leserschaft gleichzeitig zum Konsum angeregt wurde: beispielsweise zur Anlage bürgerlicher Gärten, ausgestattet mit dem neuesten, auf bürgerliches Maß verkleinertem Skulpturenschmuck (Susanne Müller-Wolff und Catriona Macleod). Oder dadurch, dass Bertuch entweder Adressen und Anzeigen von Lieferanten abdruckte oder auch selbst die Distribution einzelner Artikel über sein Industrie-Comtoir vornahm.
Bei aller Multiperspektivität der Untersuchungsansätze ist es bedauerlich, dass es in diesem Zusammenhang versäumt wurde, die vielen Kupferstiche zur Bekleidung, die dem Journal maßgeblich das Gesicht gaben, als Quelle zu erschließen und genauer zu analysieren. Wie in fast jeder Mode- und Kostümgeschichte, in denen die Modekupfer lediglich als dekoratives Abbildungsmaterial genutzt werden, wird auch im vorliegenden Band ihr Quellenwert offenbar nur sehr gering eingeschätzt und einer eigenen Analyse nicht Wert befunden. Lediglich in Ansätzen geht Angela Borchert auf einzelne Modegrafiken ein. Gerade weil sich in ihren Zeilen bereits zeigt, dass es sich bei diesen Abbildungen nicht einfach um reine Darstellungen von damals aktueller Mode handelt, wäre es meines Erachtens für das im vorliegenden Tagungsband intendierte Vorhaben lohnend gewesen, auch neuere Ansätze aus der vergleichenden Textilwissenschaft, wie etwa von Kerstin Kraft, aufzunehmen und die Grafiken zum Beispiel in Bezug auf Kleidungsverhalten und Modewandel der sich formierenden bürgerlichen Gesellschaft zu untersuchen. [2] Auch der sehr lesenswerte Beitrag von Gabriele Mentges im Tagungsband macht diese Lücke deutlich. Denn Mentges zeigt aufschlussreich am Beispiel des Augsburger Renaissance Trachtenbuchs von Matthäus Schwarz, welchen enormen Quellenwert Abbildungen von Kleidung und Mode für soziokulturelle Untersuchungen haben können und in welcher Tradition die Modekupfer des Journals zu interpretieren sind.
Eingerahmt ist die inhaltliche Auseinandersetzung von Beiträgen zur Entstehungsgeschichte des Journals und dem (sozio-)ökonomischen Umfeld der Unternehmer Bertuch und Kraus (Reiner Flik und Renate Müller-Krumbach) sowie zum Verhältnis zu anderen zeitgenössischen Modezeitschriften (Annemarie Kleinert, Astrid Ackermann). Der Band endet mit dem Aufsatz von Daniel Purdy über die Modernität von Bertuchs Klassizismus.
Trotz der Kritik ist der Band durchweg empfehlenswert, löst er doch auf eindrucksvolle Weise sein Versprechen ein, mit seinem interdisziplinären kulturgeschichtlichen Vorgehen einen wichtigen Beitrag zur Erschließung dieser bislang eher unsystematisch als Steinbruch genutzten Quelle zu leisten und aus den scheinbar eher disparaten Texten, Berichten, Abbildungen etc. des Journals ein von Bertuch und Kraus beabsichtigtes Gesamtkonzept herauszuarbeiten.
Anmerkungen:
[1] Journal des Luxus und der Moden: 1786-1827. Analytische Bibliographie mit sämtlichen 517 schwarzweißen und 976 farbigen Abbildungen der Originalzeitschrift. Herausgegeben von der Stiftung Weimarer Klassik. Herzogin Anna Amalia Bibiliothek. Bearbeitet von Doris Kuhles unter Mitarbeit von Ulrike Standke, 3 Bände, München 2003.
[2] Kerstin Kraft: Nicht nur dekorative Illustration - zum Quellenwert von Modekupfern, Vortrag in der Kunstbibliothek Berlin, Berlin 2004 (unveröffentlichtes Manuskript).
Angela Borchert / Ralf Dressel (Hgg.): Das Journal des Luxus und der Moden: Kultur um 1800 (= Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800. Ästhetische Forschungen; Bd. 8), Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2004, 343 S., 38 s/w-Abb., ISBN 978-3-8253-1657-0, EUR 48,00
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