Die gezielt zerstörten und durch Kirchen ersetzten Tempel sind an Ausdruckskraft kaum zu übertreffende Symbole für den Erfolg des Christentums im Römischen Reich, das sich im Konflikt mit den paganen Kulten erfolgreich durchgesetzt hatte. Die geistigen Grundlagen dieses epochalen Wandels und dessen gesetzliche Regelungen mit ihren regionalen Auswirkungen hatte F. W. Deichmann bereits vor rund 60 Jahren grundsätzlich erfasst. [1] Seit Konstantin den Aphroditetempel in Jerusalem durch die Grabeskirche ersetzen ließ, wiederholte sich der Vorgang auf ähnliche Weise, indem auf die Schließung eines Tempels dessen Entsühnung und Reinigung folgte. Die Dämonen wurden durch das Anbringen von Kreuzeszeichen ausgetrieben, die Exorzismen konnten aber auch die vollständige Zerstörung des Bauwerks bis in den Fundamentbereich hinein bedeuten. Ansonsten, so Deichmann, seien die weiteren Möglichkeiten sehr vielfältig und deshalb eigentlichen Regeln nicht unterworfen gewesen, wie auch Ost- und Westreich durch unterschiedliche Gesetzgebung getrennte Wege gegangen seien. In den Ländern vom Taurus bis zum Sinai habe die Wandlung vorzugsweise die Zerstörung des antiken Heiligtums bedeutet, während man in Athen und Rom die Tempelbauten länger geschont und erst spät in Kirchen umgewidmet habe. Die Wandlung des antiken Heiligtums sei ein Symbol der "Ecclesia triumphans", da man Gestalt, Sinn und Wesen der Tempel bewusst zerstört habe. Der Tempel könne daher nicht Vorläufer der Kirche sein, sondern nur als Spolie verwendet werden.
Soweit F. W. Deichmann, an dem sich die von Richard Bayliss in Newcastle eingereichte Dissertation messen lassen muss. Um es vorwegzunehmen: Die Ergebnisse F. W. Deichmanns werden im Wesentlichen bestätigt, wobei es Richard Bayliss nicht darum ging, sie infrage zu stellen. Sein Ziel ist die Sichtung des archäologischen Materials, um im ersten Teil die "Temple conversion" allgemein als archäologisches und historisches Phänomen zu behandeln (3-64). Nach der Einleitung (3-7) und den historischen Passagen über die Zeit von Konstantin bis Theodosius (8-31: "The Fate of the Temples") folgen die archäologisch geprägten Kapitel, in denen Richard Bayliss die Wandlung der Tempel als mechanischen und chronologischen Ablauf beschreibt (32-49: "The Mechanics of Conversion", 50-57: "The Chronology of Conversion", 58-64: "Between Temple and Church").
Wiederholt bezieht sich Richard Bayliss auf eine von ihm erstellte Datenbank, die Einträge zu 450 Kirchenbauten aus 250 Ortschaften umfasst. Davon sind für das Thema immerhin noch rund 250 Bauten relevant (i, 121). Das Material gliedert er nach Kategorien, die an der Struktur ausgerichtet sind und die das Verhältnis zwischen dem Altbau des Tempels und dem Neubau der Kirche betreffen (7: "Terminology"). Er unterscheidet die direkte Umformung von einer indirekten. Unter die erste Kategorie fallen die als "Tempelkirchen" bezeichneten Bauwerke, für die Partien des paganen Heiligtums direkt übernommen wurden (36-43). Im Fall der Peripteraltempel unterscheidet Richard Bayliss als weitere Untergliederung zwei Umwandlungssysteme, die er im Wesentlichen von J. Vaes übernommen hat [2]: Beim Ersten - der "Internalised Cella" (38, Abb. 12) - wurden die Interkolumnien durch Füllmauern zugesetzt, um in den Peristasen die Seitenschiffe und in der ehemaligen Cella das Mittelschiff einzurichten (z. B. Syrakus und Agrigent). Das zweite System - die "Inverted Transformation" (40, Abb. 13) - wurde nur ausnahmsweise angewandt. In diesem Fall wurde der Altbau durch Abriss der Cella entkernt, um die Säulen der Langseiten für die Einteilung der Kirchenschiffe zu übernehmen. Zusätzlich wurden neue Außenmauern errichtet, durch die die alte Tempelstruktur eine erhebliche Erweiterung erfuhr (z. B. Aphrodisias und Sagalassos). Richard Bayliss zweite Kategorie - die der indirekten Umwandlung (43-46) - betrifft schließlich Kirchenbauten, die entweder innerhalb eines Temenos einen paganen Vorgängerbau ersetzten ("temenos-church") oder in denen Spolienmaterial eines Tempels Verwendung fand ("temple-spolia-church").
Richard Bayliss wertet das Material statistisch aus und präsentiert die Ergebnisse anschaulich in einer Reihe von Diagrammen. Der Anteil der "Tempelkirchen" (91 Nachweise) überwiegt bei Weitem vor den "Tempel-Spolien-Kirchen" (43 Nachweise ) und den "Temenos-Kirchen" (24 Nachweise) (35: "Chart 1"). Freilich ist der Aussagewert der statistischen Erhebung nur begrenzt. So ist es fraglich, ob die pagane Weihung eines Tempels (17: "Chart 1"), sein Standort intra oder extra muros (22: "Chart 2") oder sein Bautyp (110: "Chart 1") direkte Auswirkungen auf die Wandlung in eine Kirche hatten.
In der Zusammenfassung wiederholt Richard Bayliss für den Prozess der Wandlung das dreistufige Modell (107): Nach der Schließung eines Tempels wurde 1. der Platz gereinigt und entsühnt, 2. gefolgt von einem Hiatus bevor 3. die strukturelle Umformung in eine Kirche erfolgte. Ein Ergebnis, das am aktuellen Forschungsstand gemessen eher ein Allgemeinplatz ist. Ferner wird die Problematik der Datierungsfragen angesprochen. Dass sich die Kirchen des 4. bis 6. Jahrhunderts nur zum kleineren Teil auf ein Vierteljahrhundert genau datieren lassen, ist zwar zutreffend (52: "Chart 1", 112: "Chart 4", Abb. 3-5), als gattungsspezifisches Problem der byzantinischen Architektur aber hinlänglich bekannt. Als sehr viel ergiebiger erweisen sich die zwei zentralen Fragestellungen, die allerdings in der Einleitung statt am Ende der Arbeit zu erwarten wären (107). Zum einen geht es um die architekturgeschichtliche Bedeutung der "Tempelkirchen" und um die Frage, ob sie eher eine Ausnahme waren oder eine signifikante Rolle in der Entwicklung der frühchristlichen Architektur spielten. Zum anderen wird die Frage nach den regionalen Unterschieden aufgeworfen.
Für beide Fragen erweist sich der von Richard Bayliss gewählte Ansatz als problematisch. Die an der Struktur der Bauwerke ausgerichtete Kategorisierung und ihre quantitative Gewichtung erlauben keine repräsentativen Aussagen über den Anteil, den die transformierten Tempel an der byzantinischen Kirchenarchitektur hatten. Freilich fehlt eine halbwegs zuverlässige Statistik und ist von einem Einzelnen auch kaum zu leisten. In diesem Zusammenhang ist es bedauerlich - aus editorischen Gründen aber verständlich -, dass Richard Bayliss darauf verzichten musste, die Einträge seiner Datenbank zu veröffentlichen. Die Listen im Appendix sind kein hilfreicher Ersatz (121-129). Ansonsten ist seinem Urteil zuzustimmen, dass sich die "Tempelkirchen" - etwa im Fall der umgebauten Peripteraltempel mit ihrer Säulengliederung - weder in formaler noch in typologischer Hinsicht auf die Entwicklung der Kirchenarchitektur ausgewirkt hätten: "the nonconformity, which often resulted from the conversions, never became in any sense mainstream" (109). Was die regionalen Tendenzen betrifft, suggeriert Richard Bayliss durch sein Diagramm (111: "Chart 3"), dass sich das Phänomen der Tempelwandlungen gleichmäßig über die Reichsprovinzen West- und Ostroms verteilt, obwohl er in seiner Analyse zu einem anderen Ergebnis kommt: "direct temple conversion itself was neither universally known nor consistently practiced" (111). Wieder auf die Peripteraltempel bezogen konstatiert er einen eindeutigen Schwerpunkt für Anatolien, muss eine Begründung aber als offene Frage stehen lassen: "Is this a conversion trend or just a result of the large quantity of peripteral temples in its provinces?" (110-111: "Chart 2").
Im zweiten Teil (67-101), der als Fallstudie den kilikischen Kirchen gewidmet ist, zeigt sich Richard Bayliss souverän als Kenner der Materie, der aus seiner eigenen Anschauung schöpft und aus den Erfahrungen, die er als Juniorpartner von H. Çambel bei der Untersuchung der Ala Camii in Kadirli sammeln konnte. Zusätzlich profitiert er von der britischen Tradition der Kilikienforschung, die es ihm erlaubt, auf bislang unveröffentlichtes Archivmaterial von G. Bell und M. Gouhgh zurückzugreifen. In knapp gehaltenen Abschnitten geht Richard Bayliss eine Reihe von 17 kilikischen Kirchen durch, für die in der Literatur ein möglicher Zusammenhang mit einem paganen Heiligtum erwogen wurde, und kann ihn in vier Fällen bestätigen. Es sind die bekannten "Tempelkirchen" von Diokaisareia (71-73) und Silifke (73-76) sowie die Kapelle im Tempel von Elaiussa-Sebaste (76-79) und schließlich die Kirche an der korykischen Grotte (79-86). Mit den Rekonstruktionsvorschlägen zu den Kirchen von Diokaisareia (Abb. 84) und Silifke (Abb. 93) wird man sich bei anderer Gelegenheit gründlicher auseinandersetzen müssen. Die Annahme einer größeren "Tempelkirche" in Elaiussa-Sebaste, die der Kapelle vorausgegangen sei, wird sich wohl erübrigt haben, sobald von italienischer Seite die jüngsten Grabungsergebnisse veröffentlicht sein werden. Da Richard Bayliss ausgerechnet für Kilikien auf eine statistische Auswertung verzichtet, sei an dieser Stelle ein Wert nachgetragen: Der Anteil der "Tempelkirchen" an den derzeit registrierten rund 200 kilikischen Kirchen [3] - Tendenz steigend - beträgt gerade mal zwei Prozent.
Für die anderen Kirchen ist die Verbindung mit einem Tempel nicht nachzuweisen, auch wenn sie aus dem Spolienmaterial älterer Bauwerke errichtet wurden. Da detaillierte Einzeluntersuchungen zu den kilikischen Kirchen in der Regel fehlen, liefert Richard Bayliss mit seinen Beobachtungen einen Beitrag zur archäologischen Grundlagenforschung, den man im konkreten Fall berücksichtigen wird. Bemerkenswert sind seine Überlegungen zu der hervorragend erhaltenen Emporenbasilika in Cambazlı (90-93). Entgegen vorherrschender Meinung stellt er die Verwendung von Spolienquadern infrage und deutet die Umfassungsmauer nicht als Begrenzung eines Temenos, sondern als frühbyzantinische Befestigung des Kirchenbezirks. Für Catıören (87-88) sind nach den schweren Schäden durch das letzte Erdbeben allein schon seine Aufnahmen (Abb. 130-132) von dokumentarischem Wert. Der Abschnitt über Kadirli schließlich bezieht sich auf seine eigene Grabung, durch die ein römisches Hypogäum als Vorgänger der Kirche nachgewiesen wurde (99-101). Auf weiteres Material, das Kanytelis (86-87), Meriamlik (89-90), Dağ Pazarı (93), Olba (93-94), Kastabala (96-97) oder Anazarbus (97-99) betrifft, kann hier abschließend nur hingewiesen werden.
Insgesamt liefert Richard Bayliss mit seiner Arbeit einen beachtenswerten Beitrag zur Architekturgeschichte an der Schwelle zwischen Spätantike und Byzanz. Einmal mehr wird deutlich, dass man byzantinischer Architektur in vielen Fällen nur gerecht werden kann, wenn man ihren ausgeprägten Hang zur Spolienverwendung als kulturelle Leistung akzeptiert. Einer ihrer wesentlichen Züge betrifft den Umgang mit antiker Bausubstanz; durch geschickte Umbauten kann sie - rein pragmatisch oder bedeutungsgeladen wie im Fall der "Tempelkirchen" - für neue Aufgaben hergerichtet werden.
Anmerkungen:
[1] F. W. Deichmann: Frühchristliche Kirchen in antiken Heiligtümern, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 54 (1939), 105-136; Nachdruck in: Rom, Ravenna, Konstantinopel, Naher Osten. Gesammelte Studien zur spätantiken Architektur, Kunst und Geschichte, Wiesbaden 1982, 56-94.
[2] J. Vaes: Christliche Wiederverwendung antiker Bauten: ein Forschungsbericht, in: Ancient Society 15-17 (1984-1986), 305-443 bes. 329, Abb. 48, 53.
[3] S. Hill: The Early Byzantine Churches of Cilicia and Isauria, Aldershot 1996.
Richard Bayliss: Provincial Cilicia and the Archaeology of Temple Conversion (= BAR International Series; 1281), Oxford: Archaeopress 2004, XIV + 243 S., 183 fig., ISBN 978-1-84171-634-3, GBP 35,00
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