Zeitgleich mit einer im Rheinischen Landesmuseum zu Trier gezeigten Ausstellung über die spätantiken Kaiserresidenzen in Konstantinopel, Ravenna und Trier erschien 2003 ein Sammelband, in dem von verschiedenen Autoren diese drei Palastkomplexe unter wechselnden Gesichtspunkten behandelt werden. Die Überlieferung zu jedem dieser Palatia ist mit großen Problemen behaftet. Trier erhielt bereits im späten 3. Jahrhundert, also vor Konstantin d. Gr., eine Palastanlage, die dieser freilich erweitert haben dürfte, die jedoch nach 316 mit dem Wegzug Konstantins vorerst ihre Bedeutung verlor. Der Palast von Konstantinopel entstand seit 324 als Residenz des Alleinherrschers Konstantin. Er blieb als Sitz des byzantinischen Kaisers bis in das hohe Mittelalter zumindest teilweise in Betrieb, wie wir den Textquellen, vor allem dem Zeremonienbuch Konstantins VII. Porphyrogennetos (945-959), entnehmen können. Der Kaiserpalast in Ravenna, der archäologisch noch immer nicht verifiziert werden kann, diente als Residenz des Westkaisers, der 402 seinen Sitz von Mailand nach Ravenna verlagert hatte.
Diese grundlegenden Divergenzen historisch-topografischer Natur, aber auch die unterschiedlichen Überlieferungssituationen arbeitet Ellen Riemer in einem Überblick über die Geschichte der Städte Konstantinopel, Ravenna und Trier deutlich heraus (13-26). Der mit der Materie nicht vertraute Leser erfährt hier, wie spärlich der archäologische Befund gerade in Konstantinopel und Ravenna tatsächlich ist, ja dass es selbst in dem vergleichsweise gut ergrabenen Trier unmöglich ist, die genaue Lage und insbesondere die Ausdehnung des dortigen Kaiserpalastes sicher zu bestimmen. Aus einer anderen Perspektive nähert sich Antonio Carile diesem Problem, indem er in einem ebenso kurzen wie oberflächlichen Beitrag ideelle Grundlagen des spätrömischen und byzantinischen Palatium erörtert (27-32). Da ist in einer etwas überfrachteten Sprache viel von Symbolen und Symbolik die Rede, von der übermenschlichen Erhabenheit des Kaisers, dem Palast als Spiegelbild des Himmels, der Sonnenanalogie des Kaisers und dem Thron als Sinnbild seiner gottgleichen Stellung. Damit ist wenig gegenüber bereits Bekanntem gewonnen und schon gar nicht in irgendeiner Weise eine Verständnisgrundlage geschaffen für die Zeremonialabläufe in ihrem architektonisch-dekorativen Rahmen - dem Palast. Wie man durch eine Analyse funktional-repräsentativer Zusammenhänge ganz wesentlich zum Verständnis spätantiker und byzantinischer Kaiserresidenzen beitragen kann, zeigt hingegen Frank Unruh in einem höchst aufschlussreichen Beitrag mit dem Titel "Unsichtbare Mauern der Kaiserpaläste. Hofzeremonien in Rom und Byzanz" (33-48). Er beschreibt Ritual und Zeremoniell nicht als von oben vorgeschriebenes Verhaltenskorsett, sondern als Formen zeichenhafter und performativer Überhöhung des Herrschers, die auf einem gesellschaftlichen Konsens beruhten. Er analysiert dabei in anschaulicher Art und Weise wichtige distanzschaffende und distinguierende Elemente des Hofzeremoniells: Reden und Schweigen, Vorhänge als Barrieren, Sitzen und Stehen, Verhüllung von Händen, Fußfall und Verehrung, Speisen. Mit seinem Beitrag hat Unruh einen wichtigen, methodisch wohl fundierten Beitrag zum Verständnis des spätantiken und byzantinischen Hofzeremoniells geleistet.
Auf diese einleitenden Beiträge folgen drei Kapitel, die den Residenzen in Konstantinopel, Ravenna und Trier gewidmet sind. Der Abschnitt über Konstantinopel beginnt mit einem von Eugenia Bolognesi Recchi Franceschini verfassten Überblick über die Stadtentwicklung Konstantinopels von der Spätantike bis ins 20. Jahrhundert, der kaum über eine Aufzählung wichtiger Bauprojekte hinausgeht (51-59). In einem weiteren Beitrag stellt dieselbe Autorin die Ergebnisse des von ihr geleiteten verdienstvollen Projekts zur Dokumentation und Vermessung aller archäologischer Reste im Gebiet des Kaiserpalastes vor, wobei als bedeutendstes Ergebnis die Verifizierung verschiedener Baugruppen und Terrassen präsentiert wird, die freilich nur sehr schwer mit der in den Quellen überlieferten Funktionaltopografie des Gebäudes in Deckung zu bringen sind (60-69). Reha Günays hierauf folgender Beitrag über die Bebauung des Areals des Großen Kaiserpalastes in osmanischer Zeit hat in diesem Band eigentlich nicht viel verloren (71-77). Einen spektakulären Neufund der letzten Jahre im Bereich nördlich des Kaiserpalasts stellt Alpay Pasinli vor (78-82). Hierzu gehören unter anderem einige vermutlich frühbyzantinische Substruktionsbauten mit Resten originaler Ausmalung, die freilich nicht sicher mit dem Kaiserpalast in Verbindung zu bringen sind (78-82). Der Dokumentation der byzantinischen Befunde im Südareal des Großen Palastes gilt ein weiterer Beitrag von Eugenia Bolognesi Recchi Franceschini (83-89), die dann abschließend das Projekt eines archäologischen Parks im Gebiet des Kaiserpalastes beschreibt (90-96), wobei man sich schon fragen darf, wie ein solcher Park den Großen Kaiserpalast vor den Augen der Besucher wiederaufleben lassen soll, wenn schon die einzelnen Beiträge dieses Kapitels das nicht vermocht haben.
Der Abschnitt über Ravenna beginnt mit einem Überblick über die spätantike Stadtgeschichte von Paola Porta, wobei die Topografie der Stadt ein wenig im Unklaren gelassen wird - alleine schon deshalb, weil dem Beitrag kein Plan beigefügt ist (99-107). Dieses Defizit versucht der Beitrag von Maria Grazia Maioli zur Topografie Ravennas auszugleichen; auch er bietet jedoch leider keinen detaillierten Befundplan der spätantiken Stadt (108-113). Der spätrömische Palast, der nicht notwendigerweise mit dem Palast der ostgotischen Könige identisch gewesen sein muss (wobei Letzterer wiederum nicht sicher in dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts ergrabenen Peristylkomplex mit Trikonchos erkannt werden kann), bleibt die große Unbekannte. Fast schon als Fluchtversuch aus diesem Dilemma wirkt ein weiterer Beitrag von Eugenia Bolognesi Recchi Franceschini, der sich mit den Parallelen in der Nomenklatur zwischen den Palästen von Ravenna und Byzanz beschäftigt (114-120). Dieses schon seit Längerem beobachtete Phänomen, also die Übertragung von Würde durch vorbildhafte Benennungen, scheint bei der Bezeichnung einzelner Bau- und Ausstattungselemente in Ravenna eine große Rolle gespielt zu haben.
Eugenia Bolognesi Recchi Franceschini ließ es sich nicht nehmen, den Abschnitt über Trier ebenfalls mit einer vergleichenden Studie zu den Kaiserpalästen in Trier und Konstantinopel zu eröffnen (123-129). Auch in diesem Beitrag dominiert die - nicht unbedingt richtige - Idee enger Analogien zwischen den einzelnen Residenzen, diesmal architekturikonografischer Natur. Und das, ohne dass in diesem Beitrag eigentlich klar würde, in welchem Bereich der Stadt sich der Trierer Palast befunden haben soll und welche ergrabenen Befunde ihm sicher zuzurechnen sind. Die extrem verdienstvolle Aufgabe, dies darzulegen, übernimmt nun Thomas H. M. Fontaine in einem hervorragenden Beitrag, der eigentlich am Anfang des Trier-Abschnitts hätte stehen müssen (130-161). Er legt eine Untersuchung der archäologischen Reste in dem vermuteten Palastareal vor, in der die zum Teil sehr komplexe Forschungslage kritisch zusammengefasst wird. Fontaine beschränkt sich hierbei auf den Bereich um die Palastaula, wohl wissend, dass die Befunde im Bereich des Doms, die bei Bolognesi Recchi Franceschini noch als Privatgemächer des Konstantinspalastes angesprochen werden, zwar konstantinisch zu datieren, jedoch nicht sicher der kaiserlichen Residenz zuzuweisen sind. Abschließend geht Hans-Peter Kuhnen in einem lesenswerten Beitrag auf die Forschungsgeschichte zum Trierer Kaiserpalast und den denkmalpflegerischen Umgang mit dessen Überresten im Laufe der Zeit ein (162-173).
Mit der Materie vertraute Leser werden eine Problematisierung des Phänomens der spätantiken Kaiserresidenzen vermissen, werden sich fragen, was denn eigentlich formal ein Palatium ausmachte und ob es überhaupt eindeutige Distinktionskriterien gab, die die kaiserlichen Residenzen von nichtherrscherlichen Wohnsitzen mit prachtvoller Ausstattung abhoben. Vieles wäre schon erreicht gewesen, wenn man auch andere Palastkomplexe - wenigstens ansatzweise - in die Diskussion miteinbezogen hätte und sich dafür so manchen Beitrag gespart hätte, der in dem angepeilten Themenrahmen des Sammelbands nichts verloren hat. Methodische Reflexion findet sich allein in Frank Unruhs hervorragendem Beitrag über die Zeremonialabläufe in spätantiken Residenzen, dem man breite Rezeption in der Fachwelt wünscht. Der interessierte Laie wiederum, an den sich die Publikation ja gerade als ausstellungsbegleitende Veröffentlichung wendet, wird vor allem im Falle der Städte Konstantinopel und Ravenna die topografischen Zusammenhänge nicht immer begriffen haben. Für Trier ist dies immerhin in dem Beitrag von Thomas H. M. Fontaine gelungen, der selbst komplexe archäologische Befunde allgemein verständlich darlegt und zu einem überzeugenden Gesamtbild zusammenfügt.
Margarethe König (Hg.): Palatia. Kaiserpaläste in Konstantinopel, Ravenna und Trier (= Schriftenreihe des Rheinischen Landesmuseums Trier; Bd. 27), Trier: Rheinisches Landesmuseum Trier 2003, 178 S., ISBN 978-3-923319-56-5, EUR 20,00
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