"Es ist um den gemeinen Haufen zu thun, und dieser braucht mittelmäßige [...] Werke, [...] andre versteht er nicht", zitiert Wangermann in seiner thematischen Einführung aus den Ephemeriden der Menschheit (15). Dieses breite Publikum, "also auch Menschen von bescheidener Bildung" (14), war im Jahrzehnt der Alleinherrschaft Josephs II. (1780-1790) Adressat einer großen Zahl innenpolitischer Broschüren geringen Umfangs, deren Inhalt den Kern von Wangermanns Untersuchung bildet. Dadurch bekommt der Begriff Volksaufklärung bereits für das 18. Jahrhundert eine neue, konsequent moderne Bedeutung: Der Verfasser wendet ihn auf eine instrumentalisierte Publizistik an, mit deren Hilfe die österreichische Bevölkerung von der Notwendigkeit innenpolitischer Reformen überzeugt werden sollte. "Publizität" wurde demnach als "politische Waffe" gegen das Volk eingesetzt, um die jeweils aktuellen Reformen zu propagieren und dadurch potenziellen Widerstand argumentativ bereits im Keim zu ersticken. Eine intensive politische Aufklärung und Überzeugungsarbeit sollte die Akzeptanz der Reformen erhöhen und deren praktische Umsetzung erleichtern. Verantwortlich hierfür zeichneten Regierungsbeamte, "die wir heute Pressereferenten nennen würden" (12), da sie direkt oder indirekt die Initiatoren großer Teile besonders des kirchenpolitischen Schrifttums der josephinischen Zeit waren. Im Gegenzug unterhielten auch die erzbischöfliche Kurie und die päpstliche Nuntiatur "so etwas wie ein Pressereferat" (17). Was für die Erklärung und Legitimation außenpolitischer Ansprüche und territorialer Expansion frühneuzeitlicher Herrschaft selbstverständliche publizistische Praxis war, gewichtet Wangermann als neu und als Hauptmerkmal der österreichischen Aufklärung: die Instrumentalisierung einer großen Zahl billiger, nicht allzu umfangreicher und für ein breites Publikum verständlicher Schriften zum Zweck der "Regierungspropaganda" (16).
Wangermann ist ein ausgewiesener Kenner des Josephinismus und der österreichischen Aufklärung und kann sich zu diesen zentralen Themen vor allem auf seine eigenen Studien stützen. Die verwendete Literatur konzentriert sich daher auf Werke zu den Druckschriften der josephinischen Zeit, während auf die Einbeziehung von Sekundärliteratur zur Aufklärung und Volksaufklärung sowie zur zeitgenössischen Publizistik, besonders auch über die Grenzen Österreichs hinaus, weitgehend verzichtet wird. Hauptgrundlage der Studie sind rund 200 zeitgenössische Schriften zu Religion, Kirche und Politik sowie Artikel aus etwa 50 in- und ausländischen Zeitschriften und Zeitungen. Sie sind ihm "grundlegende Quellen für die Geschichte der Reformen Josephs II. und des politischen Bewusstseins der Österreicher unter seiner Regierung [...], um mit ihrer Aussagekraft ein neues und stärkeres Licht auf die gesellschaftliche Entwicklung der josephinischen Epoche zu werfen" (27).
In acht chronologischen, thematisch zugespitzten Kapiteln wendet sich der Verfasser den Inhalten der zeitgenössischen Druckschriften zu, wobei er jeweils Befürworter und Kritiker der kaiserlichen Politik einander gegenüberstellt, publizistische Abhängigkeiten und Reaktionen aufzeigt und so die (fiktiven) Diskussionen nachvollzieht. Die Themen reichen vom Regierungsantritt Josephs II. über zentrale Fragen der Innen- und Außenpolitik bis zu Nachrufen; einen Schwerpunkt bilden die Kirchenreformen. Während sich die Aufklärer vom Alleinherrscher Joseph II. nach 1780 eine Fortsetzung des theresianischen Reformwerks erhofften, formierten sich die Gegner besonders in den Reihen des Klerus umgehend neu. Ein erster publizistischer Schlagabtausch im Jahr 1781 ließ die "angehenden Propagandisten für Josephs Kirchenreformen" (46) erkennen, dass sie nur mit einer moderaten Argumentation überzeugen konnten. Am Beispiel der Streitschriften über Kirchenreformen und Klostersturm, Toleranzedikt und reformfeindliche Predigten zeigt Wangermann, dass sich die Befürworter der josephinischen Politik argumentativ wie publizistisch im Verlauf weniger Jahre gegen die geistliche Opposition durchsetzten und zur dauerhaften Umsetzung der bereits eingeführten Reformen ebenso beitrugen, wie sie den Weg für neue Initiativen ebneten (90). Die Regierungspropaganda war also "zumindest bei gewissen Teilen der Bevölkerung" durchaus erfolgreich, mehr noch, "das lesende Publikum in Österreich [wurde] politisch reifer" (103). Diese Schlussfolgerung leitet Wangermann von der Ausweitung der öffentlichen Kritik ab, die nicht mehr nur die Reformgegner, sondern zunehmend den Kaiser selbst, seine Berater und die von ihnen propagierte und vollzogene Politik, die arcana imperii, einer öffentlichen Prüfung unterzog. Denn trotz einzelner Zensurfälle konnten die österreichischen Aufklärer relativ unbehelligt von staatlichen Eingriffen in der zweiten Hälfte der 1780er-Jahre "das aus dem Naturrecht abgeleitete Recht, über die Handlungen und Gesetze des Fürsten freimütig zu 'raisonnieren', voll und ganz in Anspruch" nehmen (149). Im eigenen Verständnis übten sie die Kontrollfunktion eines Parlaments aus, das die Gesetzgebung ebenso wie deren Umsetzung kritisch überwachte und kommentierte, überzeugende Begründungen der Regierungsmaßnahmen verlangte und dem Kaiser Verbesserungsvorschläge unterbreitete. Dieses Recht kritischer publizistischer Meinungsäußerung beanspruchten in den letzten Regierungsjahren Josephs II. zunehmend auch die ständischen Körperschaften für sich. Am Ende der josephinischen Ära erreichte die öffentliche Kritik jedoch ein solches Ausmaß, dass der Kaiser die Zensurmaßnahmen erneut verschärfte.
Im Verlauf des beschriebenen Prozesses verlor das josephinische Lager seine Einheit und der Kaiser selbst die bedingungslose Unterstützung sowohl durch die Aufklärer als auch bei seinen Beamten. Joseph II. tolerierte ein erstaunliches Maß an Kritik, ohne jedoch seine Entscheidungen zu revidieren. Ob dies auf eine mangelnde Überzeugungskraft der Broschüren oder auf sein "absolutistische[s] Herrschertemperament" zurückzuführen war, stellt der Verfasser als rhetorische Abschlussfrage in den Raum (215). Die Darstellung legt nahe, dass Joseph zwar die zeitgenössische Publizistik sehr aufmerksam zur Kenntnis nahm, sich vielleicht auch im Ruf eines aufgeklärten Herrschers sonnte, unter dessen Regierung fast alles geschrieben werden durfte - wie anders wären auch die zahlreichen Gegenschriften im Sinne der Regierung und teilweise mit deren logistischer Unterstützung zu erklären? -, der jedoch von seinen Grundüberzeugungen durch Widerspruch und Kritik nur selten abzubringen war.
Wangermann argumentiert konsequent inhaltlich und vollzieht die virtuelle Diskussion in den jeweils aufeinander bezogenen bzw. im gleichen Zusammenhang entstandenen Schriften nach. Argumentative Parallelen und Übereinstimmungen dienen als Beleg für die Interessenverflechtung von Aufklärern und Regierungspolitik. Die Tätigkeit der "Pressereferenten" lässt sich hingegen nur in Ausnahmefällen konkret belegen (Informationsweitergabe, Veröffentlichung von Aktenmaterial), da die Quellen meist nicht mehr als begründete Vermutungen zulassen. Aussagen zur Rezeption der Broschüren beschränken sich auf die Auswertung zeitgenössischer Kommentare. Angaben beispielsweise zu Auflagen und Verbreitung fehlen weitgehend, sodass die Frage, ob sie das "Volk" als Adressaten tatsächlich erreichten, unbeantwortet bleibt. Weiterführend wäre in diesem Zusammenhang eine vergleichende Perspektive gewesen, beispielsweise durch einen Blick auf die publizistische Situation in der norddeutschen Pressemetropole Hamburg, in der ebenfalls eine kaum übersehbare Zahl von Broschüren und Zeitschriften einen hohen Grad an Publizität politischer Ereignisse und Entscheidungen gewährleistete. Zwar sind die Broschüren und Flugschriften nicht in dem Maße erschlossen, wie es Wangermann für die josephinische Zeit getan hat. Aber Überlegungen beispielsweise zu den politischen Wirkungsmöglichkeiten, nach der Bedeutung der aufklärenden Publizistik für die Politisierung der potenziellen Adressaten könnten anhand dieses Beispiels oder anderer Beispiele vergleichend überprüft und bewertet werden.
Zu einer intensiveren, vergleichenden Analyse lädt auch der beschriebene Prozess ein, wonach sich der von den österreichischen Aufklärern zunächst theoretisch formulierte Anspruch auf freie Meinungsäußerung als politisches Faktum mit obrigkeitlicher Duldung zu etablieren schien. Wangermann bezeichnet den angesprochenen "Wettkampf zwischen Joseph II. und Friedrich II. um die Anerkennung als aufgeklärtester Herrscher in Europa" (96) als den zentralen Wendepunkt, der "das kritische Sensorium der österreichischen Leser geschärft und einen politischen Reifeprozess in Gang gebracht hat" (101). Und wie verhielt es sich damit in Preußen? Welche Motive könnten Joseph II. noch bewogen haben, über viele Jahre eine solche Freiheit der Äußerung zuzulassen? War es tatsächlich "nur" der Gedanke der "Volksaufklärung", den Wangermann selbst in den Vordergrund stellt?
Gerade in diesem Zusammenhang wäre auch eine Auseinandersetzung mit den theoretischen und kommunikationshistorischen Implikationen mancher verwendeter Begrifflichkeiten hilfreich gewesen. Denn die eingangs aufgeworfene, grundlegende Frage nach dem Verständnis und dem Bedeutungswandel des Begriffs der "Volksaufklärung" problematisiert Wangermann nicht. Damit erschließt sich für den Leser ein weites Feld möglicher Interpretationen, je nachdem, welches Verständnis z.B. an "Öffentlichkeit", "öffentliche Meinung" oder auch "politische Reife" herangetragen wird.
Insgesamt erweist sich Wangermann erneut als intimer Kenner der josephinischen Epoche und der zeitgenössischen Broschürenflut. Darüber hinaus bietet der Band Anknüpfungspunkte sowohl für empirische als auch für theoriegeleitete Studien, in denen die Ergebnisse beispielsweise mit den medien- oder kommunikationshistorischen Strukturen und Entwicklungen anderer Regionen oder auch anderer Epochen nicht nur der österreichischen Geschichte zu vergleichen wären.
Ernst Wangermann: Die Waffen der Publizität. Zum Funktionswandel der politischen Literatur unter Joseph II., München: Oldenbourg 2004, 252 S., ISBN 978-3-486-56839-4, EUR 24,80
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