sehepunkte 6 (2006), Nr. 4

Theo Broekmann: 'Rigor iustitiae'

Vornehmlich zwei Tugenden seien es, so heißt es in den Etymologien des Isidor von Sevilla, die einen Herrscher auszeichneten: Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. "Mehr aber wird an Königen die Barmherzigkeit gelobt, denn die Gerechtigkeit ist allzu streng". Wo es um den Umgang mit besiegten Rebellen und unterwerfungsbereiten Städten ging, wurden die Worte des prominenten Kirchenlehrers auf dem Gebiet des römisch-deutschen Reiches immer wieder aufgerufen. Als Kronzeugen christlichen Herrscherhandelns bürgten sie für den Vorrang gütlicher Konfliktbeilegung durch symbolische Kompensationsleistungen gegenüber der unerbittlichen Härte königlicher Strafgewalt.

Dass diese Einschätzung indes keineswegs allen Zeitgenossen des Hochmittelalters zu Eigen war, zeigt ein Blick auf den Süden der Apenninenhalbinsel: "Es gibt kein anderes Mittel, um Rebellen und Verräter in die Schranken zu weisen", so urteilte dort der so genannte Hugo Falcandus über die brutalen Strafmaßnahmen Rogers II. von Sizilien. Mit seiner Studie über den rigor iustitiae im normannisch-staufischen Süden erschließt Theo Broekmann eine Dimension herrscherlicher Sanktionsmacht, die dem gängigen Grundmodell mediävistischer Konfliktforschung gegenüber signifikant andere Akzente und Nuancen aufweist. Wo im nordalpinen Reich Konsens und Ritual den Ausgang bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Königtum und Adel bestimmten, lässt sich auf dem Boden des sizilischen regnum ein gänzlich andersartiges Regelwerk der Konfliktführung erkennen.

Dabei waren die Anfänge der normannischen Präsenz im Mezzogiorno durchaus vom Bemühen um symbolische Gleichrangigkeit und Freundschaft zwischen den führenden Protagonisten der Eroberung geprägt. Erst im Zuge zusehends intensivierter herrschaftlicher Verdichtungsprozesse sei es zu einer schleichenden Hierarchisierung innerhalb der normannischen Erobererschicht gekommen, so diagnostiziert der Verfasser. Der Führungsanspruch der Hauteville konnte sich erst in Konkurrenz und im Konflikt mit rivalisierenden Standesgenossen allmählich etablieren. Jede erfolgreich überstandene Konfrontation habe den Vorrang des Siegers ausgebaut, zugleich aber die Notwendigkeit zur aktiven, notfalls gewaltsamen Selbstbehauptung forciert. Der Neukonfigurierung und vorübergehenden Stabilisierung der fragilen Rangordnung dienten dabei nach wie vor traditionelle Formen der symbolischen Friedensstiftung. Eine erste Wende konstatiert der Verfasser im Kontext der Eroberung Siziliens unter maßgeblicher Führung Rogers I. Seinen aufständischen Sohn etwa wusste der Graf 1083 durch sorgfältig inszenierten terror und ein Beispiel unerbittlicher Härte (tanto rigore) zu disziplinieren, indem er zwölf seiner hochrangigen Mitverschwörer entgegen vorheriger Vereinbarungen blenden ließ. Broekmann deutet diese Demonstration herrscherlicher Strafgewalt als Bestandteil einer "Transformation noch bestehender Selbständigkeiten unter den verschiedenen normannischen Eroberern in ein System von Herrschaft mittels Gewalt und weiterer Gewaltandrohung" (113 f.).

Stellte für die normannische Führungsriege - in sichtbarem Kontrast zum etablierten Adel Mitteleuropas - kriegerische Durchsetzungsfähigkeit und persönliche strenuitas die maßgebliche Grundlage ihres Besitzerwerbs dar, so diente der Verweis auf den rigor iustitiae dem sizilischen Grafen als Legitimationsformel zur Eindämmung und Ausschaltung konkurrierender Machtansprüche. Den öffentlichen Rekurs auf die herrscherliche Strafgewalt vermag der Verfasser indes auch bei anderen Herrschern des 12. Jahrhunderts nachzuweisen. Doch erst in den Quellen zur Machtausübung im Süden Italiens scheint die Balance zwischen pietas und iustitia gänzlich zu Gunsten der Letzteren umzuschlagen, während etwa Herzog Wilhelm von Apulien propter benignitatem et patientiam suam Hohn und Spott des normannischen Kriegeradels entgegenschlugen.

Ob im Fall der Krönungsszene Friedrich Barbarossas 1152 der Verweis Ottos von Freising auf den rigor iustitiae nur der nachträglichen Deutung eines "peinlichen Zwischenfalls" dient oder ob der Chronist - der immerhin den 'Unfall' von Sutri mit beredtem Schweigen übergeht - hier nicht doch "politisches Programm" (112) szenisch darzustellen versuchte, mag dahingestellt bleiben. Weitaus konsequenter in der Umsetzung des herrscherlichen terror erwies sich in jedem Fall der erste sizilische König Roger II. Blieb auch der Auftakt seines Königtums 1130 als wohl kalkulierte Inszenierung politischer Integration zunächst ungestört, so zeigte die Fassade eines umfassenden Konsenses innerhalb der normannischen Führungselite bald schon tief gehende Risse. Der gesteigerte Autoritätsanspruch des neu Gekrönten kollidierte dabei mit dem Partizipationswillen des einheimischen Adels. Auf die Widerstände reagierte Roger II. ebenso kompromisslos wie erfolgreich: "Einige nennen zwar seine Werke Tyrannei und ihn selbst unmenschlich, weil er ziemlich viele schwere und in den Gesetzen nicht vorgesehene Strafen auferlegt. Aber meiner Meinung nach muß ein so kluger und in allem umsichtiger Mann in einem neuen Königreich so handeln, damit die Übeltäter nicht ungestraft Verbrechen begehen konnten"; so urteilte Hugo Falcandus ex eventu über die durchschlagende Strategie des Hauteville. In der Tat zeitigte der fast neunjährige Konflikt weit reichende Folgen für die politische Kultur im regnum: Indem Roger II. sich trotz unverkennbarem Legitimationsdefizit gegen die libertas-Bestrebungen der festländischen Großen durchsetzen konnte, gelang ihm nicht nur der Ausbau seines eigenen Vorrangs, es kam zugleich zu einer nachhaltigen Ausschaltung adeligen Einflusses auf den König. Da auch der Episkopat strukurell nicht in der Lage schien, ein wirksames Gegengewicht gegen den königlichen Sanktionswillen zu bilden, konnte sich der rigor iustitiae als Erfolg versprechende Herrschaftspraxis etablieren. Buß- und Unterwerfungsrituale wurden im politischen Kontext damit weitgehend obsolet, während die durchgreifenden Mechanismen königlicher Strafgewalt schon bald als Teil der consuetudines terrae akzeptiert wurden.

Anschauliche Einblicke in die spezifische Logik von Terror und Gewalt als Mittel der Friedenssicherung gewährt Broekmann am Beispiel der Verschwörung gegen den französischstämmigen Kanzler Stephan de Perche im Jahr 1167: Während dessen enge Vertraute gemäß westeuropäischer Tradition zu einem Akt ritueller Wiederherstellung der gestörten Ordnung rieten, lehnten die einheimischen Großen eine solche Strategie der symbolischen Deeskalation unter Verweis auf die zurückliegenden Erfolge rigider Strafmaßnahmen ab. Der Vergleich mit Kaiser Heinrich VI. zeigt, dass der Staufer den landesspezifischen Gepflogenheiten im Umgang mit den Aufständischen von 1194/96 weitaus konsequenter zu folgen verstand als der letzten Endes gescheiterte Kanzler Stephan de Perche.

Mit dieser Beobachtung kehrt der Verfasser überraschend seinem süditalienischen Untersuchungsgebiet den Rücken, obgleich der herrscherliche terror gerade in der Spätzeit Friedrichs II. fraglos überreiches Material zur vertiefenden Untersuchung geboten hätte. Stattdessen bilden die folgenden hundert Seiten eine Art Gegenprobe auf die bisherigen Resultate: Der Streit zwischen Friedrich II. und seinem unbotmäßigen Sohn Heinrich (VII.) und damit die Konfrontation zweier Konfliktkulturen dient Broekmann als viel versprechende Sonde zur Überprüfung der eigenen Thesen und Beobachtungen. Seine nuancenreiche Analyse der Auseinandersetzung macht deutlich, dass keineswegs gravierende inhaltliche Differenzen, sondern vielmehr eine zunehmende Missbalance von Respekt und Ehre für die Eskalation verantwortlich zeichneten. Das Handeln Heinrichs sei dabei konsequent auf die "Werte- und Rituallandschaft" des Reiches - mithin auf die eigene politische Zukunft - ausgerichtet gewesen und dadurch zusehends mit dem Autoritätsanspruch des Vaters kollidiert. Insbesondere die Widerrufsbriefe Friedrichs II. hätten die Position des römisch-deutschen Königs in präkerer Weise demontiert, "sie verliehen dem Konflikt eine Dynamik, die dann zu den bekannten Aktionen und Reaktionen führten" (322). Unter dieser Prämisse gelingt es Boekmann, neues Licht auf das Handeln Heinrichs (VII.) zu werfen, während das kaiserliche Vorgehen mitunter seltsam konturlos scheint. Durch ebenso tief gehende wie profunde Quellenanalyse vermag der Verfasser indes, die zeitgenössischen Reaktionen auf das Geschehen von Wimpfen und Worms schlüssig einzuordnen und zu erklären.

Gerade der facettenreiche Zugriff auf bisher wenig berücksichtigtes Quellenmaterial macht das Werk zu einer ebenso instruktiven wie inspirierenden Lektüre, die stärker durch anregende Beispiele als durch theoretische Ausführungen zu überzeugen versteht und dennoch durch pointierte Thesenbildung zur eigenen, mitunter kontroversen Positionierung einlädt. Die 'dichte', vor wiederholter interpretatorischer Verknüpfung der Belegstellen nicht zurückschreckende Beschreibung zeitgenössischer Bewertungshorizonte vermag der aktuellen Konflikt- und Ritualforschung daher zweifellos wertvolle Impulse in inhaltlicher wie methodischer Hinsicht zu geben. Mithin gelingt es Broekmann, aus veränderter Perspektive das Paradigma weitgehend konsensualer Königsherrschaft und ihrer Strukturbedingungen im europäischen Hochmittelalter erneut für eine kritische Reflexion durch die mediävistische Forschung zu öffnen.

Rezension über:

Theo Broekmann: 'Rigor iustitiae'. Herrschaft, Recht und Terror im normanisch-staufischen Sizilien (1050-1250) (= Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Studien zur Geschichte, Literatur und Kunst), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005, 437 S., ISBN 978-3-534-18060-8, EUR 74,90

Rezension von:
Jan Keupp
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Empfohlene Zitierweise:
Jan Keupp: Rezension von: Theo Broekmann: 'Rigor iustitiae'. Herrschaft, Recht und Terror im normanisch-staufischen Sizilien (1050-1250), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 4 [15.04.2006], URL: https://www.sehepunkte.de/2006/04/9313.html


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