Die Dissertation von Cornelia Matz zur Organisationsgeschichte der Künstlerinnen Ende des 19. Jahrhunderts bis 1933 erschließt eine wichtiges Feld in der Künstlerinnenforschung. Umfassend zeichnet sie Gründung und Wirken derjenigen Institutionen nach, die sich die Belange der Künstlerinnen in Deutschland auf ihre Fahnen schrieben. Das unerwartet vielfältige Bild dieser Berufsgeschichte, das Matz dank ausgiebiger Forschungen in über 30 Archiven, wiedergeben kann, spannt sich zwischen den beiden Polen, dem Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin (1867) und der Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen aller Kunstgattungen, gen. GEDOK (1927), auf.
Schon diese beiden Verbände lassen die Dichte der beruflichen Bestrebungen kunstausübender Frauen jener Zeit erahnen. Der Berliner Verein, der sich als erster deutscher Berufsverband bildender Künstlerinnen etablierte, setzte auf die soziale Absicherung, die Ausbildung, die gesellschaftliche Anerkennung und den Erwerb. Das geschah durch die Einrichtung einer Sozialkasse, einer eigenen Malschule, Jahresausstellungen mit internationalem Charakter und nicht zuletzt durch die starke Einbindung von Kunstfreundinnen und männlichen Ehrenmitgliedern sowie das Kaiserliche Protektorat. Ein Verband, der auf allen Ebenen dem marginalen Status der Künstlerinnen jener Zeit entgegen wirkte. Die GEDOK setzte im Unterschied auf die Zusammenführung von Vertreterinnen aller Kunstsparten, auf eine starke Präsenz in der Kunstöffentlichkeit, die Förderung der geistigen Verbundenheit unter den Frauen und auf das "mütterliche Genie". Mit über ganz Deutschland verteilten Fach- und Ortsgruppen war die GEDOK bis 1933 ein hervorragend funktionierendes Künstlerinnennetzwerk.
Dazwischen lag die Gründung von 8 Vereinigungen, deren Entwicklung und Politik Matz für wichtig erachtet, als da wären der Künstlerinnenverein München (1882), der Malerinnenverein Karlsruhe (1893), der Bremer Malerinnenverein (1899), der Bund deutscher (und österreichischer) Künstlerinnenvereine (1908), der Bund badischer Künstlerinnen (1912), der Frauenkunstverband (1913), der Bund niederdeutscher Künstlerinnen (1920) und der Bund Hamburgischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen (1920). Dieses Konvolut an berufspolitischen Einrichtungen und ihrer Aktivitäten ist auf drei Schwerpunkte aufgeteilt, in denen als erstes die Selbsthilfe, dann die Chancengleichheit und schließlich die Gemeinschaft Hauptmotiv sind. Diese Struktur eröffnet den Blick auf einen bislang kaum bekannten und umso interessanteren Verlauf der künstlerischen Frauen-Emanzipation.
Die Leserinnen und Leser, die davon erfahren wollen, dass die Münchnerinnen städtisch und bundesstaatlich gefördert wurden und vor allem Erfolge mit der eigenen Akademie zu verzeichnen hatten, dass die Bremerinnen auf Professionalität und die Aus- und Weiterbildung setzten oder dass sich der Bund deutscher und österreichischer Künstlerinnenvereine als erstes überregionales Netzwerk für die Etablierung der Frauen im herkömmlichen Kunstbetrieb stark machte, kommen auf ihre Kosten. Ebenso verhält es sich mit der Informationsfülle zum Frauenkunstverband, der das weibliche Künstlertum propagierte oder zu den Aktivitäten der Hamburgerinnen, die mit ihrem sozial und kulturell ausgerichteten Frauenclub und dem alle Künste berücksichtigenden Bund niederdeutscher Künstlerinnen den Boden für die GEDOK bereiteten. Es werden drei Vereinsgenerationen voneinander unterschieden. Ihre Handlungsspielräume kommen vor dem Hintergrund der Emanzipationskämpfe Ende des 19. Jahrhunderts, der wirtschaftlichen Probleme der Jahrhundertwende und der scheinbaren Gleichberechtigung in den Zwanzigerjahren zum tragen. Thema sind natürlich auch die Konflikte im Umgang mit Kunstfreundinnen, der Dilettantismusfrage, den Gattungshierarchien, der Zulassung von Frauen zum Akademiestudium, internen Machtpositionen und der Gleichschaltung 1933.
Diejenigen, denen die historischen, kunstpolitischen und institutionellen Einzelbetrachtungen nicht genügen, sind auf eigene Schlussfolgerungen angewiesen. Denn die Dissertation verzichtet größtenteils auf eine analytische Tiefenschürfung. Die jeweils einem Verband gewidmeten Unterkapitel bauen wenig aufeinander auf, sodass sich hier und da etwas ermüdende Wiederholungen ergeben. Auch werden die Inhalte kaum auf das Professionalisierungsphänomen hin ausgelegt, das die Künstlerinnen im 19. und frühen 20. Jahrhundert auszeichnete. Gerade in diesem Zeitraum erschlossen sie sich das Berufsfeld der Künste, indem sie sich erstmals nicht einzeln, sondern vermehrt in übergreifende berufliche, kulturelle und kunstpolitische Kontexte begaben. In der Folge wurde DIE KÜNSTLERIN ein einschlägiges Thema der Kunst- und Kulturwissenschaften, der Kunstkritik und Kunstliteratur. [1]
Die Untersuchung überlässt es den Leserinnen und Lesern selbst, in der bewegten Verbandskultur der Künstlerinnen den Beweis für grundsätzliche institutionelle Bestrebungen zu erkennen. Zwar hat Matz die beiden unterschiedlichen Strategien: die Bemühungen um Präsenz in allen wichtigen Kunsteinrichtungen auf der einen Seite, die Etablierung separater Frauenausstellungen und -veranstaltungen auf der anderen am Beispiel des Bundes deutscher und österreichischer Künstlerinnenvereine und des Frauenkunstverbands herausgearbeitet. Doch fehlt es an einem dezidierten Hinweis darauf, dass die Künstlerinnen damit ganz allgemein den Zugang zur Institution Kunst wollten.
Eine kontextbezogene, kunsttheoretische Wertung der erstaunlich aktuellen Vereinstätigkeiten der Künstlerinnen hätte der Arbeit nicht nur gut getan. Sie hätte auch dem vorgreifen können, was ich ganz aktuell zur Theoretisierung des Künstlerinnenthemas erarbeitet habe. [2] So führt die Dissertation zwar eine lobenswerte Fülle an Informationen und Daten zur Berufsgeschichte kunstausübender Frauen vor. Doch sind die hier ermittelten und so brisanten Professionalisierungsgegebenheiten nicht zum Teil des Diskurses über die moderne Künstlerin geworden. Sie bleiben eine Sammlung an institutionengeschichtlichen Details, die man sich gut aus dem Netz herunterladen kann, um sie bei Bedarf und wie bei einem Web-Lexikon abzurufen. Ihre Netz-Präsenz und -Verfügbarkeit ist angemessen, bei einer Buchausgabe wäre ihre theoretische Verankerung und Verknüpfung wünschenswert.
Anmerkungen:
[1] Siehe hierzu meine Quellentextsammlung: Carola Muysers: Die bildende Künstlerin. Wertung und Wandel in deutschsprachigen Quellentexten 1855-1945, Dresden / Amsterdam 1999.
[2] Vgl. Carola Muysers: Institution und Geschlecht. Die Kunstgeschichte der Künstlerin als Theoriebildung, in: Anja Zimmermann (Hg.): Kunstgeschichte und Gender. Eine Einführung, Berlin 2006, 181-215.
Cornelia Matz: Die Organisationsgeschichte der Künstlerinnen in Deutschland von 1867 bis 1933. http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=963257633, Tübingen: Eberhard Karls Universität 2001
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