sehepunkte 7 (2007), Nr. 2

Günter de Bruyn: Als Poesie gut

In Brandenburg-Preußen, besonders in Berlin, gab es um 1800 wenig romanische Kunstdenkmäler, dafür aber umso mehr Romantiker. Das Ideal der Romanik kam aus dem katholischen Süden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder, die Gründer der Berliner Romantik, machten 1793 von ihrem Erlanger Studienort Exkursionen ins katholische Deutschland. Hier fanden sie noch bewohnte Burgen, Landschaften voller Klöster, konnten die Kunst des Mittelalters und die Schönheit des Katholizismus bewundern. Von der Liturgie des Hochamtes im Bamberger Dom waren ihre Sinne wie berauscht. Während zur gleichen Zeit im Berlin der lutherischen Orthodoxie die Kirchen leer waren.

Was Tieck und Wackenroder im katholischen Deutschland sahen, übertrugen sie in idealisierter Form ins nüchterne, geschichtsarme Kolonialland Preußen. Ihrem Weg folgten viele andere. Selbst als nach der großen Säkularisation in Süddeutschland 1803 das Tragen des Habits vielerorts verboten und manche Klöster auf Abriss verkauft waren, wurden plötzlich in der norddeutschen Kunst und Literatur Mönche und Klöster zu gängigen Motiven. Niemals hatten Ritterromane einen solchen Erfolg als zu jener Zeit, da die letzen Reichsritter unterdrückt wurden. Natürlich gibt es frühere Ursprünge dieser Ritterstücke, wie zum Beispiel Goethes Götz von Berlichingen, aber nun erhielt dieses Genre andere Dimensionen.

In diese Zeit, in die "Berliner Kunstepoche zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters" (84), sie umfasste neben der Romantik noch den frühen preußischen Klassizismus, beide verbunden durch eine intensive Goethe-Verehrung, führt das neue Buch von Günter de Bruyn ein. Es besteht aus einer Reihe von Personenporträts, zuweilen auch Doppelbildnisse, in welche wiederum kleinere Porträts von Verwandten, Bekannten, Lehrern und Mäzenen hineinkomponiert sind. Diese Art der Komposition verursacht die Wiederholung mancher biografischer Details, welche dem Leser angesichts des Personalreichtums des Werkes jedoch nicht unwillkommen sein kann. So entwickelt sich ein Buch der Romantik, der Frühklassik, aber auch der entstehenden Salonkultur und der großen Salondamen, Rahel Levin, Henriette Herz, Sophie Sander und andere. Es beginnt mit dem Tod Friedrich "des Großen" 1786 und endet mit der Begegnung Königin Luises und Napoleons in Tilsit 1807 sowie mit der Verödung der Berliner Salons während der Besatzungszeit. Hauptschauplatz ist das Berlin in den letzten Jahren des alten Preußen. Da wir immer wieder erfahren, wer wo wohnte und wen auf welchen Wegen besuchte, und wie die Straßen und Plätze heute heißen, und was auf ihnen im Laufe der Zeiten gebaut wurde, ist es auch eine Topografie und Toponomie Berlins, dessen zeitgenössischer Stadtplan daher schmerzlich vermisst wird und der nächsten Auflage beigefügt werden sollte.

Angenehm hingegen ist das Fehlen von Anmerkungen. Es erleichtert den Lesefluss und macht die Seiten schöner. Als Ersatz dafür gibt es manche Illustration und im Anhang einen Zitatennachweis, eine Bibliografie, eine Zeittafel und ein Namensregister.

Auch das jüngste Werk von Herrn de Bruyn ist ein durch und durch borussisches. Der Untergang des Alten Reiches wird nur in einem Halbsatz gestreift (359). De Bruyn stellt uns das Beste vor, was das alte Preußen zu bieten hatte: literarisch ambitionierte Offiziere, militärisch kompetente Salondamen, Soldaten mit Zivilcourage. Aber auch unzivilisierte Krautjunker, prahlerische Hura-Patrioten und dümmlich-engstirnigen Franzosenhass.

In den Salons begegnen uns früh emanzipierte Frauen, ein Jahrhundert, bevor die Emanzipation zur Bewegung wurde. Die Frauen befolgten dabei unterschiedliche Selbstbehauptungsstrategien: intellektuelle Brillanz im Brief und in der Konversation, künstlerische und literarische Produktion und damit finanzielle Unabhängigkeit oder sie ließen sich mit Wahrung ihrer Unabhängigkeit von Männern unterhalten. Oft bedurfte es mehrerer Strategien gleichzeitig. Auffallend ist die große Zahl geschiedener Frauen. Pauline Wiesel, eine der schönsten Frauen ihrer Zeit, liebte besonders jene, die Geld hatten, unter anderem Prinz Louis Ferdinand von Preußen, den Abgott seiner Zeit, Haupt der Kriegspartei bei Hofe und Verkörperung des Helden, groß, blond, blauäugig, schön, gleichermaßen von Frauen wie Männern verehrt. Als er bei Saalfeld fiel, musste sich Madame Wiesel französischen Besatzungsoffizieren zuwenden.

In den Salons herrschten nicht die Standesrestriktionen des Hofes und der adeligen Tafeln. Hier traf sich alles was interessant war: Mitglieder der Dynastie, des Adels, Offiziere, Künstler, Touristen, wie Madame de Staėl, Schönheiten. Ein Grund für diese Offenheit war, dass die frühen Salons oft von Damen der jüdischen Gesellschaft geführt wurden, die ohnehin außerhalb der Ständegesellschaft standen. Aber gerade dieser Umstand erfuhr auch Kritik, nicht selten aus Neid. So dokumentiert das Buch auch einen Strang der Entstehung des modernen Antisemitismus.

Die Quellen des Buches sind hauptsächlich zeitgenössische Briefwechsel und Memoiren. Hier ist intime, über Jahrzehnte gepflegte Vertrautheit unübersehbar. Der Leser fühlt sich, als würde er selbst nachmittags die Salons der Stadt und später am Abend noch eine Hofgesellschaft besuchen. Herr de Bruyn stellt ihm dabei kompetent und diskret seine Verwandten und Bekannten aus der Welt des Geistes, der Kunst und der Etikette vor. Bei der neueren Literatur ist das Bild etwas anders, so fällt auf, dass verschiedene jüngere Werke zu Prinz Louis Ferdinand, wie jenes von Uwe A. Oster, nicht im Literaturverzeichnis aufgenommen sind.

Der Autor verdeutlicht auch die Gefahren der Memoiren als Quellen der Geschichtsschreibung. Während Clausewitz berichtet, nach der Gefangennahme des Prinzen August, sei ihm sein kostbares Pferd - es war das, auf dem Prinz Louis Ferdinand gefallen war - nebst Degen, Uhr und Schwarzer Adlerorden abgenommen, doch wenig später auf Befehl des französischen Generals wiedergegeben worden sein, schreibt von der Marwitz, er habe Marschall Murat während der Kapitulationsverhandlungen der Armee Hohenlohe auf diesem Pferd gesehen. Die Schilderungen der Besatzungszeit sind so widersprüchlich, dass es scheint, die Autoren hätten verschiedene Kriege und Regimewechsel erlebt. In jedem Fall zeigte sich aber, dass während der Besatzungszeit Sprachkompetenz rettend sein konnte.

Die reichen Erkenntnisgewinne und Schönheiten des Werkes sollen hier nicht aufgelistet werden. Stellvertretend soll ein Beispiel aus der feinen Charakterisierung des Baron Friedrich de la Motte Fouqué genügen. Fouqué war "einer jener seltenen Charaktere, die sich um den Preis partieller Realitätsblindheit die Träume der Jugend nicht nehmen lassen." Obwohl er "auch den liebenswerten Zug des Geltenlassens anderer Haltungen hatte, war auf seine Rückwärtsgewandtheit zeitlebens Verlass" (66). Die Intensität der Darstellung der einzelnen Personen ist unterschiedlich, wobei den heute noch bekannteren mehr Raum eingeräumt wird, aber auch manch Vergessener dem Publikum erneut vorgestellt wird, wie Dietrich Heinrich von Bülow (447-455). Andere bleiben im Hintergrund wie der leichtlebige Wilhelm von Burgsdorff, der sich immer von einer seiner zahlreichen Geliebten betrogen wähnte, und derweil die mittelosen Romantiker auf seine zahlreichen Schlösser verteilte, um ihnen Miete und Unterhalt zu ersparen.

Mit den Jugendträumen des Barons de la Motte Fouqué ist ein Grundthema des Buches angesprochen. Besonders an den Biografien der Brüder Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroders wird verdeutlicht, die Romantik war in ihren Ursprüngen eine Jugendbewegung, die sich gegen die gefühllose Rationalität der Aufklärung wendete und daher kein Verständnis bei jenen wie Friedrich Nicolai finden konnte, die noch mit dem Kampf für und den Sieg der Aufklärung bedeutend geworden waren.

Die letzten drei Seiten bieten noch mal eine Revue der wichtigsten Personen des Werkes. Dem Leser wird mitgeteilt, was diese Menschen am vorläufigen Ende der zeitlichen Darstellung machten. Zusammenfassend kann konstatiert werden: Herrliche Literatur die wahrhaft bildet. Das Buch ist jedem zu empfehlen, der sich für preußische Romantik und Klassik, für die Jahre des Umbruchs um 1806 interessiert. Germanisten, Kunsthistoriker und Historiker können durch die Schönheit der Sprachgestaltung und die Freiheit der Komposition des Werkes manches gewinnen.

Das vielleicht Schönste an diesem Werk voller Schönheiten ist die abschließende Bemerkung des Autors: "Ende des ersten Teils". Wir dürfen uns auf weitere freuen.

Rezension über:

Günter de Bruyn: Als Poesie gut. Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2006, 524 S., 92 s/w-Abb., ISBN 978-3-10-009638-8, EUR 24,90

Rezension von:
Wolfgang Burgdorf
München
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Burgdorf: Rezension von: Günter de Bruyn: Als Poesie gut. Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 2 [15.02.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/02/12154.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.