Sexualität ist ein menschliches Phänomen, das sich auch in den Texten der antiken Autoren widerspiegelt und somit zum Untersuchungsgegenstand althistorischer Forschung wird. Marguerite Johnson und Terry Ryan, beide Dozenten an der Universität von Newcastle, haben sich mit dem zu besprechenden Werk zum Ziel gesetzt, eine Quellensammlung für Studierende zusammenzustellen. Mit deren Hilfe sollen sich diese das Thema Sexualität in der Antike, deren Darstellung in griechischer und römischer Literatur sowie die daraus abzuleitenden gesellschaftlichen Vorstellungen erarbeiten können. Darüber hinaus besteht der Anspruch, weitere Recherchen anzuregen (XIX). Das Vorwort wiederholt diverse Grundregeln zur Interpretation antiker Quellen (XX), was hinsichtlich des intendierten Publikums konsequent ist.
Das Werk ist mit verschiedenen Indizes aufbereitet; es enthält Listen der zitierten Quellen (IX-XV), der (schwarzweiß) Abbildungen (XVII) und der antiken Autoren (mit den jeweils abgedruckten Stellen, 215-221). Informationen zu diesen lassen sich mittels eines kleinen Glossars nachschlagen (200-205). Daneben gibt es ein Literaturverzeichnis (222-235), einen allgemeinen Index (236-244) und eine Liste mit griechischen und lateinischen Fachausdrücken sowie deren Übersetzung (206-214). Darüber hinaus zeigt sich die Orientierung an einer studentischen Leserschaft durch die Aufbereitung der Quellen, die jeweils mit einem kurzen, einleitenden Kommentar sowie Anmerkungen versehen sind. Dass diese unmittelbar hinter die antiken Texte gesetzt wurden, erleichtert die Handhabung des Werkes. Auch die kurzen Einführungen, die jedes Kapitel eröffnen, sollen das Verständnis der Materie vereinfachen. Die Auswahl der Quellen selbst reicht von der Frühzeit griechischer Literatur im 8. Jh. v. Chr. bis in die römische Spätantike. Sie sind in englischer Übersetzung wiedergegeben sowie unter acht Schwerpunkten jeweils chronologisch angeordnet.
Den Quellen im Hauptteil ist eine Einleitung (1-17) vorangesetzt, in der jeweils ein Abriss der Spielarten und Akzeptanz von Sexualität in Griechenland und Rom gegeben wird. Darüber hinaus bietet das Autorenteam einen Überblick über Forschungsrichtungen, die sich mit Sexualität in der Antike befasst haben (9-12). "The divine sphere", also der Bereich der göttlichen Sexualität, eröffnet sodann den Reigen der Quellenzusammenstellungen (18-38). Die Schilderung göttlicher Sexualakte diente oft genealogischen Zwecken (18), wobei hier vor allem Zeus/Jupiter im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Die meisten Darstellungen sind erwartungsgemäß Aphrodite/Venus mit ihren positiven und negativen Eigenschaften gewidmet (25-34). Nicht nur positiv wird auch Eros/Amor geschildert, der als animalische, unzügelbare Kraft (34-37) mit den modernen, verniedlichenden Vorstellungen zu dieser Figur wenig gemein hat.
Dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt, zeigt das breite Spektrum der Quellen, die unter dem Stichwort "Beauty" zusammengestellt wurden (39-60). Sowohl die äußere als auch die innere Schönheit werden gelobt; im Allgemeinen gilt die Jugend als attraktiv, seltener finden sich auch positive Äußerungen über das Alter. Die Merkmale für Schönheit unterscheiden sich allerdings je nach Geschlecht und gesellschaftlichem Status. Während ansonsten verachtete Missbildungen manchmal überdeckt werden konnten (48), steht üblicherweise die möglichst perfekte Schönheit im Vordergrund, die man schon in der Antike durch Wettbewerbe zu ermitteln suchte (56-60).
Weniger ästhetischen Gesichtspunkten gewidmet ist das folgende Kapitel "Marriage" (61-87). Es beschäftigt sich mit der Ehe allgemein, Ansichten zu Ehefrauen, Hochzeitsliedern und -ritualen sowie den Empfindungen zwischen Ehepartnern. Obwohl die Charakterisierung von Ehefrauen nicht immer positiv ist (63-67), enthalten die angeführten Inschriften lobende Worte für die idealisierte Verstorbene (83-84). In die Reihe der Beispiele hätte die so genannte Laudatio Turiae gut gepasst. Die Quellen zur außerehelichen bzw. gewerblichen Sexualität vermitteln einen Eindruck von den sehr unterschiedlichen, auch durch das Alter bestimmten Arbeitsbedingungen weiblicher und männlicher Prostituierter (88-109). Das Bordell wird aus römischer Sicht zumindest satirisch als Mittel zur Vermeidung von Ehebruch gebilligt (95). Die Andersartigkeit der Antike zeigt sich dem modernen Leser deutlich anhand der offensichtlichen Akzeptanz von Kinderprostitution (89, 92, 104-105). Dagegen fasziniert Athenaeus' Beschreibung kosmetischer Hilfsmittel (96-97). Käufliche Liebe als Wirtschaftsfaktor findet sich bei Strabo, der die Bedeutung der Tempelprostitution für Korinth erläutert (101).
Das Kapitel zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen (110-135) betrachtet die Päderastie, verschiedene Ansichten hierzu sowie Beispiele für lesbische Beziehungen und deren Beurteilung (aus männlicher Sicht). Diese war fast durchweg negativ (132-135). Der Vergleich von Knaben und Frauen als Sexualpartnern konnte durch eine deutliche Misogynie gekennzeichnet sein (116, anders 115). Ein anderer Aspekt zeigt sich bei Athenaeus' Beschreibung der institutionalisierten Päderastie bzw. Männerliebe in Sparta, Kreta und Theben als Mittel zur Erhöhung der Effizienz im militärischen Kampf (125).
Um Gewalt in anderem Sinne geht es im Kapitel "Sex and violence" (136-152): Die Vergewaltigung von Kassandra und Philomela (137-141, mit tödlichen Konsequenzen für den jeweiligen Übeltäter), aber auch sexuellen Missbrauch als menschliches oder göttliches Strafmittel gegenüber Sklaven und Freigeborenen (144-146). Eine andere Perspektive zeigt Ovid, der weibliche Verweigerung als insgeheimen Wunsch nach gewaltsamer "Überredung" deutet (149-150). In den unter "Sex as sport" zusammengestellten Quellen (150-152) tritt die Gewalt meines Erachtens nicht offensichtlich zutage.
Das folgende Kapitel befasst sich mit Erscheinungen, die sexuelle Ängste oder Ablehnung hervorrufen (153-173). Einleitend vertreten Johnson und Ryan die These, dass gerade in Umbruchzeiten mit bemerkenswerter Aggressivität auf alle Abweichungen von typischem Verhalten reagiert werde (153). Die Quellen befassen sich zunächst mit Impotenz und deren stellenweise schmerzhafter Behandlung (154-159). Als abstoßend galten bei Frauen Menstruation, Alter, unangenehme Körpergerüche (dies allerdings auch bei Männern, 163-164) und zu starke sexuelle Bedürfnisse (160). Die Beschreibung von Perversionen diente offensichtlich der Diskreditierung des Angesprochenen (166-167). Dies gilt auch für den Vorwurf männlicher Passivität beim Geschlechtsverkehr (170-172) oder das Tragen zu eleganter Kleidung (172-173).
Verschiedene Quellen zu sexuellen Hilfsmitteln und literarischen Anleitungen sind im letzten Kapitel "Aids and handbooks" zusammengestellt. Es werden unter anderem mechanische und visuelle Reizmittel beschrieben (175-177 und 177-178). Abgeschlossen wird der Hauptteil des vorliegenden Buches durch eine antike wissenschaftliche Annäherung an das Phänomen Lust (182-185). Es folgen Auszüge aus den Werken Ovids, der mit deutlich militärischem Vokabular Anregungen zur Kunst der Liebe sowie möglichen Gegenmitteln gibt (196-198). Am Ende stehen Lukrez' Gedanken über andauernde Liebe, die aus der Gewohnheit erwachsen kann (198-199).
Es ist prinzipiell ein löbliches Unterfangen, einführende Quellensammlungen für Studierende zusammenzustellen. Daher sollen die wenigen Fehler, die beim Lektorat übersehen wurden, hier nicht aufgezählt werden. Auch die Tatsache, dass sich in der Paperbackausgabe die Abbildungen nicht zwischen den Seiten 118 und 119 befinden, ist weniger gravierend. Bisweilen fragte sich die Rezensentin allerdings gerade angesichts des intendierten Zielpublikums, weshalb die zum Verständnis einer Quelle wichtigen Bemerkungen zuweilen versteckt in den Anmerkungen aufgeführt sind. Das größte Manko des vorliegenden Werkes betrifft jedoch das Thema Sprache. Die Korrektheit der gebotenen Übersetzungen lässt sich mangels griechischen oder lateinischen Originals nicht überprüfen. Nichtsdestotrotz beziehen sich diverse Kommentare auf den nicht abgedruckten Originaltext. Am merkwürdigsten erscheint allerdings das - soweit ich sehen kann - vollständige Fehlen der deutschsprachigen Forschungsliteratur. [1] Eine derart eingeschränkte Literaturliste würde man als Dozent von Studierenden kaum akzeptieren. Aus diesem Grund ist das vorliegende Werk trotz vieler interessanter Quellen und Aspekte nur unter Vorbehalt zu empfehlen.
Anmerkung:
[1] Meiner Meinung nach wären hier unter anderem zu nennen: E. Hartmann: Heirat, Hetärentum und Konkubinat im klassischen Athen, Frankfurt/Main 2002.; C. Reinsberg: Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland, München 1993.; B. Stumpp: Prostitution in der römischen Antike, Berlin 2001.; Th. Späth/B. Wagner-Hasel (Hg.): Frauenwelten in der Antike, Darmstadt 2000.
Marguerite Johnson / Terry Ryan: Sexuality in Greek and Roman Society and Literature. A Sourcebook, London / New York: Routledge 2005, xxvi + 244 S., ISBN 978-0-415-17331-5, EUR 18,99
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