Definitionen der Begriffe "Amerikanisierung" und "Antiamerikanismus" gibt es fast so viele wie Texte, die sich damit befassen. Obwohl gerade im Hinblick auf die Bundesrepublik kein Zweifel darüber besteht, dass von den USA prägende Einflüsse auf fast alle Lebensbereiche ausgingen, ist doch umstritten, inwiefern diese Termini zur Analyse der komplexen Interaktions- und Wahrnehmungsprozesse zwischen den USA und der Bundesrepublik geeignet sind. Der von Alexander Stephan herausgegebene Sammelband versammelt nicht nur Ergebnisse zum deutsch-amerikanischen Verhältnis aus kulturgeschichtlicher Sicht, sondern spiegelt auch ein breites Spektrum unterschiedlicher "Amerikanisierungs"- und "Antiamerikanismus"-Konzepte.
Den Ausgangspunkt für Alexander Stephans einleitende Bemerkungen bilden die Spannungen zwischen der Bundesrepublik und den USA im Zusammenhang mit dem 11. September und dem Irak-Krieg. Fallstudien und überblicksartige Beiträge zu den deutschen bzw. europäischen Erfahrungen mit amerikanischer Kultur von 1945 bis heute sollen die Hintergründe der aktuellen Debatte erhellen. Die 15 Aufsätze des Bandes - verfasst von deutschen und amerikanischen Historikern, Politologen und Medienwissenschaftlern - gliedern sich in fünf Gruppen. Neben den Teilbereichen "Politics of Culture", "Popular Culture" und einer eigenen Film-Sektion werden im vierten Teil "European and Global Perspectives" als Kontext für das deutsche Beispiel behandelt. Im fünften Teil geben Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und des Department of State Ausblicke auf zukünftige Entwicklungslinien des deutsch-amerikanischen Verhältnisses.
Bereits im ersten Teil "Politics of Culture" offenbart sich ein breites Interpretationsspektrum. Russell A. Bermans These, Antiamerikanismus sei nicht immer eine direkte Antwort auf Amerikanisierungsprozesse, sondern habe "a secret life of its own" (15), ist sicherlich zuzustimmen. Während Berman teilweise polemisch und nicht immer nachvollziehbar bei deutschen Intellektuellen und Politikern antiamerikanische Strömungen ausmacht, die sich letztlich aus einer Abwehrhaltung gegenüber Kapitalismus und Demokratie speisten, argumentieren Michael Ermarth und Bernd Greiner differenzierter. Ermarth führt im Hinblick auf die Jahre des Wiederaufbaus nach 1945 den Begriff des Counter-Amerikanismus ein und weist so auf die deutschen Ideen eines dritten Weges hin, die den "Amerikanismus" durch eigene Konzepte und selektive Adaptionsprozesse zu überwinden suchten, ohne dabei alles Amerikanische pauschal abzulehnen. Damit wird der große Graubereich zwischen eindeutig pro- oder antiamerikanischen Einstellungen sichtbar. Noch positiver urteilt Greiner: Seit der Umbruchs- und Protestzeit der späten 1960er-Jahre sei in der Bundesrepublik der traditionelle Antiamerikanismus, der grundsätzlich alles Amerikanische verurteilt hatte, einer historisch einmalig engen Verbindung zum Westen gewichen.
In den Sektionen zur Populärkultur und zum Film werden anhand konkreter Fallstudien Transfer- und Interaktionsprozesse nachvollzogen. Kaspar Maase untersucht den Wandel vom Bildungs- zum Unterhaltungsparadigma im westdeutschen Rundfunk- und Fernsehprogramm nach amerikanischem Muster. Er plädiert dafür, mehr auf die Verführungs- und Anziehungskraft amerikanischer Angebote zu schauen, statt den USA ungeprüft kulturimperialistische Bestrebungen zu unterstellen. Die Einführung des dualen Systems in der Bundesrepublik sei nicht von außen übergestülpt, sondern in erster Linie auf Selbstamerikanisierungsprozesse und die Eigeninteressen deutscher Politiker und Parteien zurückzuführen. Heide Fehrenbach weist in ihrem Beitrag über die Rekonstruktion von "Rasse"-Vorstellungen im Nachkriegsdeutschland auf die Angleichung westdeutscher an amerikanische Konzeptionen hin, die sich vor allem in der Diskussion um schwarze deutsche "Besatzungskinder" manifestierte. Die Amerikanisierung der "Rassefrage" mit ihrer Hinwendung zu "blackness" als leitender Kategorie wurde dabei teilweise von deutscher Seite zur Erreichung politischer und sozialer Ziele betrieben (111), ebenso aber auch von amerikanischer Seite als Mittel zur Integration der Bundesrepublik in das westliche Bündnis eingesetzt: Die Interpretation von Rassismus als einem universellen, nicht spezifisch deutschen Problem trug - so die Deutung Fehrenbachs - zur moralischen Rehabilitierung Deutschlands bei und diente so auch bündnispolitischen Zielen der USA (116).
Ein interessantes Bild zur Analyse deutsch-amerikanischer Beziehungen im Bereich des Films führt Thomas Elsaesser ein: den in beide Richtungen funktionierenden "Two-Way-Mirror", mit dem mehrfache Adaptions- und Rückübersetzungsprozesse zwischen deutschem bzw. europäischem und amerikanischem Kino in den Blick geraten. Ebenso wie für die beiden anderen Beiträge dieser Sektion von David Bathrick ("Cinematic Americanization of the Holocaust in Germany: Whose Memory Is It?") und von Sabine Hake ("Anti-Americanism and the Cold War: On DEFA Berlin Films") gilt jedoch auch für Elsaessers Beitrag, dass er zwar höchst aussagekräftig und instruktiv ist, für Nicht-Spezialisten jedoch teilweise zu verknappt und zu sehr im Fachjargon geschrieben ist.
Der vierte Bereich widmet sich den europäischen und globalen Rahmenbedingungen der deutschen Begegnungen mit amerikanischer Kultur, die jedoch auch in den übrigen Beiträgen immer wieder thematisiert werden. Besonders Volker R. Berghahn weist darauf hin, dass die wechselseitigen Wahrnehmungen zwischen Europa und den USA weniger durch den Bereich der Kultur als den der Politik geprägt würden. Was in Europa im Gefolge des Irak-Krieges zu beobachten sei, sei "Anti-Bushism" (246), so Berghahn. Im Bereich der Kultur habe sich hingegen seit den 1960er-Jahren ein wesentlich breiter gefasster Kulturbegriff in Europa durchgesetzt, der auch vorher verpönte Elemente der "low culture" umfasse. Ebenso wie Berghahn weist auch Richard Pells die Annahme zurück, durch die amerikanische Massenkultur werde die Welt zu einer Kopie der USA. Vielmehr erzeuge und bewahre die globale Unterhaltungskultur eine große Mannigfaltigkeit - schon allein, weil ihre Angebote von verschiedenen Zielgruppen ganz unterschiedlich interpretiert werden können. Ob dabei Pells These, die amerikanische Massenkultur habe lokale Verhaltensweisen und Lebensstile nicht verdrängt (198), zustimmungsfähig ist, bedarf weiterer Diskussion.
Der Leser sieht sich nach der Lektüre des Bandes einer Vielzahl von Ansätzen gegenüber, die den übergreifenden Titel "Americanization and Anti-Americanism" mehr oder weniger stark modifizieren. Die Konzepte von Antiamerikanismus, Counter-Americanism, Anti-Bushism, Anti-Modernism (Rob Kroes), Amerikanisierung und Selbstamerikanisierung (Winfried Fluck) stehen jedoch unverbunden nebeneinander. Gerade im Falle derart strittiger Kategorien ist die mangelnde Verknüpfung der Beiträge bedauerlich, zumal auch die Einleitung keine große Hilfe bietet. So bleibt eine Sammlung aufschlussreicher Aufsätze, die neue und anregende Forschungsansätze und Erkenntnisse zum deutsch-amerikanischen bzw. europäisch-amerikanischen Verhältnis bieten. Mit welchen Begriffen und Konzepten diese Beziehungen in Zukunft weiterführend analysiert werden können, bleibt jedoch offen.
Alexander Stephan (ed.): Americanization and Anti-Americanism. The German Encounter with American Culture after 1945, New York / Oxford: Berghahn Books 2005, viii + 294 S., ISBN 978-1-57181-673-3, GBP 36,50
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