sehepunkte 7 (2007), Nr. 5

Joachim Wintzer (Bearb.): Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages

Außenpolitik wird häufig als Primat der Exekutive angesehen. Bei näherer Betrachtung jedoch zeigt sich, dass auch das parlamentarische Umfeld bei der Gestaltung der Außenpolitik durchaus einflussreich wirken kann. Den Beweis dafür liefern die 96 Protokolle der Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses zwischen 1965 und 1969, die in gewohnt hervorragender Qualität durch die Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien ediert wurden.

Den eigentlichen Protokollen ist eine kenntnisreiche Einleitung des Bearbeiters Joachim Wintzer vorangestellt, der die Zusammensetzung des Ausschusses und seine Arbeitsweise erläutert, einen Überblick über die thematischen Schwerpunkte gibt und die Rolle des Ausschusses analysiert. Der sich daran anschließende statistische Teil lässt keine Wünsche offen. Neben Kurzbiografien der Ausschussmitglieder, Mitgliederübersichten und Teilnehmerlisten finden sich Verzeichnisse der eingesetzten Unterausschüsse und der behandelten Gesetzentwürfe und Anträge. Zusammen mit den vorzüglichen Registern am Ende erleichtern sie die Benutzung der beiden voluminösen Halbbände erheblich. Auch die Sitzungsprotokolle selbst werden durch die vom Bearbeiter erstellten Sitzungsverlaufspunkte so gegliedert, dass gezielt nach bestimmten Themen gesucht werden kann. Die Kommentierung ist präzise und mit großer Sachkenntnis verfasst. Ergänzt wird die Edition durch eine voll zitierfähige CD-ROM, die den gesamten Text (allerdings ohne Kommentierung) enthält, der in der Buchausgabe aus Gründen der Benutzbarkeit teilweise gekürzt werden musste. Auch hier bieten sich zahlreiche Möglichkeiten der gezielten Suche.

In den Jahren 1965 bis 1969 war die Deutschland- und Berlinpolitik überwiegend auf den Erhalt des Alleinvertretungsanspruchs bei gleichzeitiger Annäherung in humanitären Fragen gerichtet, ohne sich durch die Hallstein-Doktrin die Hände zu binden, wie Bundeskanzler Kiesinger am 31. Januar 1968 anlässlich der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien ausführte (774). Gleichzeitig galt es, die Lebensfähigkeit Berlins zu erhalten. Argwöhnisch wurden auch im Auswärtigen Ausschuss die Aktivitäten der DDR im arabischen Raum sowie in Afrika und Asien beobachtet, ebenso ihre Versuche, in internationale Organisationen vorzudringen, aber auch die wachsende "Anerkennungspartei" innerhalb der Bundesrepublik.

Breiten Raum nehmen die Beziehungen zu Frankreich und die Europapolitik ein. Verbanden sich mit de Gaulle zunächst noch Hoffnungen auf eine französische Unterstützung in der Ostpolitik und bei der Wiedervereinigung, so erhielten diese durch den französischen Austritt aus der militärischen Integration der NATO einen ersten erheblichen Dämpfer. Die französische Haltung in der Frage eines britischen EWG-Beitritts und die zum Teil rücksichtslose Durchsetzung französischer Interessen führten zu heftigen Debatten. Parteiübergreifend forderten die Abgeordneten immer wieder energisch ein eindeutiges Eintreten der Bundesregierung, manch einer sogar um den Preis einer französischen Isolierung. Die Bundesregierung saß hier zwischen allen Stühlen, nicht zuletzt auch angesichts des Zustands der französisch-amerikanischen Beziehungen. Nach dem zweiten Veto de Gaulles musste Bundeskanzler Kiesinger einräumen, dass angesichts der Politik Frankreichs eine gemeinsame Ostpolitik vorerst aussichtslos sei. Eine ernste Krise in den deutsch-französischen Beziehungen müsse jedoch vermieden werden, da die Bundesrepublik zwar wirtschaftlich das stärkste, politisch jedoch das schwächste Land sei (712 f.). So blieb nach Ansicht von Außenminister Brandt nichts weiter übrig, als notfalls "millimeterweise" vorzugehen (827), um eine engere Anbindung Großbritanniens und eine Vertiefung der Integration zu erreichen. Nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in der ČSSR im August 1968, die die europäische Misere besonders betrüblich hervortreten ließ (Kiesinger, 1012), bemühte sich die Bundesregierung um neue Impulse in der Europapolitik. Nach den deutsch-französischen Konsultationen im September 1968 musste Kiesinger gegenüber dem Ausschuss jedoch zugeben, dass sich die französische Haltung sowohl in der Beitrittsfrage als auch in der Frage einer Stärkung der NATO nicht geändert hatte, trotz des bislang "klarsten, präzisesten und auch härtesten Gesprächs" (1095), das je zwischen beiden Seiten geführt worden sei. So blieb der Bundesregierung nichts weiter übrig, als auf das Ende der Regierungszeit de Gaulles zu warten, um dem Risiko eines Bruchs mit Frankreich zu entgehen.

Die Beziehungen zu den USA in den ausgehenden 60er-Jahren wurden vor allem durch die Frage des Nichtverbreitungsvertrags geprägt, der zu den Hauptthemen der Ausschusssitzungen gehörte. Hier pochten die Abgeordneten parteiübergreifend auf umfassende Information durch die Bundesregierung, die Außenminister Brandt zahlreiche Male selbst vornahm. Dabei warnte er davor, dass in Washington nicht der Eindruck aufkommen dürfe, dass die Bundesrepublik gewissermaßen der "gang leader" der Vertragsgegner sei (357). Der CSU-Abgeordnete Freiherr zu Guttenberg, einer der profiliertesten und schärfsten Gegner einer Unterzeichnung, mahnte jedoch im Gegenzug, dass sich die Bundesregierung auch nicht an die Spitze der Befürworter stellen dürfe, und wies auf den Zusammenhang zwischen dem Vertrag und den Beziehungen zur UdSSR hin (367 f.). Trotz der Bedenken im Unionslager machte Brandt im Mai 1968 deutlich, dass nach zahlreichen Konsultationsrunden mit den USA, in denen Verbesserungen des Vertragstexts erreicht wurden, der Zeitpunkt der Unterzeichnung näher rücken werde, wenn auch eine Ratifizierung noch in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu erwarten sei (864). Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei war an eine Unterzeichnung jedoch nicht mehr zu denken, nicht zuletzt auch wegen massiver Drohungen der UdSSR, die damit allerdings auch dazu beitrug, die Große Koalition vor einer Zerreißprobe zu bewahren.

Die Ostpolitik und der Weg zu einer Europäischen Friedensordnung sind der dritte große Themenkomplex der Ausschussprotokolle. Auf diesem Gebiet entfaltete der Ausschuss durchaus eigene Aktivitäten, so etwa durch Kontakte zum Auswärtigen Ausschuss des tschechoslowakischen Parlaments, die allerdings unter den Ausschussmitgliedern nicht unumstritten waren. Brandt unterrichtete den Ausschuss regelmäßig über die Kontakte und Verhandlungen mit den osteuropäischen Staaten, um die vor allem aufseiten der Unionsabgeordneten vorhandenen Bedenken auszuräumen, wenn auch Bundeskanzler Kiesinger versicherte, dass in der Ostpolitik volle Übereinstimmung unter den Koalitionspartnern bestehe (550). Dennoch wurden die von Brandt angebahnten Sondierungsgespräche mit der UdSSR über Gewaltverzicht von Teilen des Ausschusses mit Skepsis betrachtet, insbesondere wegen zum Teil harter sowjetischer Äußerungen an die Adresse der Bundesrepublik, die, wie Brandt es interpretierte, angesichts der Entwicklung in der Tschechoslowakei, als "Prügelknabe" (816) herhalten musste, um das auseinanderstrebende östliche Lager zusammenzuhalten. Brandt und sein Staatssekretär Duckwitz zeigten sich im Sommer 1968 vor dem Ausschuss jedoch zuversichtlich, dass es nicht zu einem militärischen Eingreifen der UdSSR in der Tschechoslowakei kommen werde, ein Optimismus, der allerdings nicht von allen Ausschussmitgliedern geteilt wurde. Die erste Sitzung nach dem 21. August gehört dementsprechend zu den inhaltlichen Höhepunkten des vorliegenden Bandes. Zwar wiesen Kiesinger und Brandt Äußerungen über ein Scheitern der Ostpolitik zurück und warnten vor einer Rückkehr zu Zeiten des Kalten Krieges, doch zeigten die Redebeiträge verschiedener Abgeordneter der Unionsparteien mehr als deutlich, dass diese von der Bundesregierung eine Stärkung der NATO und der Europäischen Gemeinschaften und damit eine Prioritätensetzung zugunsten der Sicherheit der Bundesrepublik erwarteten. Bei seiner letzten Sitzungsteilnahme im August 1969 deutete Brandt dann allerdings bereits Überlegungen zur Grenzfrage mit Polen und zu zukünftigen Verhandlungen der Vier Mächte über Berlin sowie einer Europäischen Sicherheitskonferenz an und gab damit die großen Konfliktfelder künftiger innenpolitischer Auseinandersetzungen vor, die Gegenstand des nächsten Bandes werden dürften, auf den man bereits jetzt sehr gespannt sein darf.

Rezension über:

Joachim Wintzer (Bearb.): Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages. Sitzungsprotokolle 1965-1969 (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945; Bd. 13/V), Düsseldorf: Droste 2006, 2 Bde., CLXVI + 1476 S., 1 CD-ROM, ISBN 978-3-7700-5272-1, EUR 160,00

Rezension von:
Daniela Taschler
Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Daniela Taschler: Rezension von: Joachim Wintzer (Bearb.): Der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages. Sitzungsprotokolle 1965-1969, Düsseldorf: Droste 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 [15.05.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/05/13173.html


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