sehepunkte 7 (2007), Nr. 5

Zur Geschichte des Rheins

Einführung

Von Nils Freytag

Die in diesem Forum rezensierten Studien dokumentieren, wie gewinnbringend es aller methodischen Schwierigkeiten zum Trotz sein kann, einen Fluss und seine Geschichte in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken und aus unterschiedlichen Perspektiven zu durchleuchten. Sie alle beziehen den Menschen und sein Handeln damit im weitesten Sinne auf die Umwelt und nehmen damit die vielfältigen Beziehungen zwischen Kultur und Natur in den Blick. Neben den zunächst vorherrschenden politik-, sozial- und kulturgeschichtlichen Zugängen gilt das für die in jüngerer Zeit stärker kunst- und literaturhistorisch inspirierten Blickwinkel auf die Geschichte des Rheins ebenso wie auch für ausdrücklich umweltgeschichtliche Zugriffe. Denn auch die Umweltgeschichte hat die verkehrsreichste Wasserstraße Europas mittlerweile als lohneswertes Untersuchungsobjekt und als Akteur für ihre Fragestellungen entdeckt. [1]

Es gibt kaum eine andere deutsche Landschaft, die auch nur annähernd so mythen- und symbolbeladen ist wie der Rhein, obwohl er bemerkenswerter Weise keinen eigenen Artikel in den deutschen Erinnerungsorten erhalten hat. [2] Davon zeugen zahlreiche Märchen, Lieder und Bilder, die den öffentlichen Rheinerinnerungshaushalt bestimmen. Neben seiner Romantisierung im frühen 19. Jahrhundert hat das auch damit zu tun, dass der Rhein im Gefolge der Französischen Revolution zu einer der wichtigsten europäischen Kontakt- und Konfliktzonen der durchbrechenden Nationalismen aufstieg. Ein Kind dieser Konfliktzeit ist etwa die Rheinliedbewegung der 1840er-Jahre, zu der nicht nur Nikolaus Beckers Lied "Der deutsche Rhein" zu zählen ist, sondern auch Max Schneckenburgers "Wacht am Rhein". Sie erklomm im Deutschen Kaiserreich von 1871 den Rang einer Quasi-Nationalhymne und ihre ersten Töne leiteten noch 1941 Sondermeldungen des Wehrmachtsberichtes ein. Diese national-chauvinistische Überhöhung flankierte der Ausbau des Stromes zu einem herausragenden europäischen Verkehrs- und Wirtschaftsraum. Beides trug maßgeblich dazu bei, dass der Rhein bereits ausgangs des 19. Jahrhunderts und an beiden Ufern in das Blickfeld einer ereignisorientierten und am Nationalstaat ausgerichteten Politik-, Wirtschafts- und Landesgeschichte klassischen Zuschnitts geraten ist.

Von diesen engen nationalstaatlichen Sichtweisen und tagespolitischen Befrachtungen setzen sich alle hier besprochenen Bücher wohltuend ab. Den Auftakt macht das erstmals in den 1930er-Jahren erschienene Rheinbuch Lucien Febvres, das als eines der klassischen Werke der französischen »Annales-Geschichtsschreibung« gelten kann. Im für ihn typischen und gut lesbaren Stil weitete Febvre den Untersuchungsradius auf sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte und bezog in seinem erst in jüngerer Zeit ins Deutsche übertragenen Werk zugleich auch die natur- und kulturräumlichen Dimensionen des Rheins in die Analyse mit ein. Dass Febvres Bonmot, der Rhein sei eine Erfindung des Menschen, durchaus Ernst zu nehmen ist, zeigt auch die für ein breiteres Publikum verfasste Studie von Gertrude Cepl-Kaufmann und Antje Johanning über den »Mythos Rhein«. Die beiden Literaturwissenschaftlerinnen nehmen sich in einem noch weit stärkeren Maße als Febvre der symbolischen und literarischen Aus- und Umdeutungen des Kulturraumes 'Rhein' an.

Neuere umweltgeschichtliche Studien stellen die Dimension symbolischer Umweltpolitik in Rechnung, wie auch die hier besprochenen Bücher von Horst Johannes Tümmers und vor allem von Marc Cioc und David Blackbourn vor Augen führen. Allesamt zeigen sie die methodische Vielfalt umweltgeschichtlichen Forschens, das mittlerweile eng verknüpft wird mit Fragestellungen zu den politischen, wirtschaftlichen und eben auch kulturellen Dimensionen menschlichen Handelns. Während Ciocs ertragreiche und anregende Untersuchung wohl eher als eine Verlust- und Verschmutzungsgeschichte der industriellen Neuzeit zu lesen ist, legt Blackbourn die Wechselwirkungen zwischen Nutzung, Umgestaltung und (politischer) Imagination von Landschaften in der Moderne offen, wobei der Rhein nur eines von mehreren Beispielen ist. Damit schlägt der durch seine glänzende Untersuchung zu den Marpinger Marienerscheinungen auch kulturgeschichtlich versierte Harvard-Historiker die so wichtige Brücke zwischen Umwelt- und allgemeiner Geschichte.


Anmerkungen:

[1] Vgl. dazu auch als erste Ergebnisse einer größeren Studie: Christoph Bernhardt, Zeitgenössische Kontroversen über die Umweltfolgen der Oberrheinkorrektion im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 146 (1998), 293-318.

[2] Allerdings spielt die Rheinromantik im Artikel über die Loreley eine wichtige Rolle. Vgl. Katja Czarnowski, Die Loreley, in: Etienne François / Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte III, München 2001, 488-502.

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