Die Reformation bedeutete eine wichtige Zäsur in der Geschichte des Eherechts, da Luther und seine Mitreformatoren den Sakramentscharakter der Ehe bestritten und eine neue dualistische Doktrin von der Ehe als "weltlich ding" und zugleich "seligen", "geistlichsten Stand" entwickelten. Überdies wurde durch Luthers Verbrennung der Bannandrohungsbulle und kirchlicher Rechtsbücher das kanonische Recht diskreditiert, und der Übergang zur Reformation bedeutete die Ausschaltung der bisherigen geistlichen Gerichtsbarkeit. Die Zäsur betraf also Eheverständnis, Eherecht und Ehegerichtsbarkeit. Luther war aber bekanntlich nicht mit einem fertigen Programm zur Lösung der mit der Glaubensspaltung verbundenen Probleme angetreten, und so herrschte gerade im Bereich des Eherechts in den ersten Jahrzehnten nach der Reformation zwar kein normatives Vakuum, aber doch eine ziemlich offene Situation, in der reformatorische Auffassungen und aus der Heiligen Schrift geschöpfte Rechtsgedanken mit solchen des kanonischen und des römischen Rechts konkurrierten. Als wohl wichtigste Neuerung des sich nun entwickelnden evangelischen Eherechts ist die Ehescheidung mit der Möglichkeit zur Wiederverheiratung für den unschuldigen Teil zu nennen. Als modellhafte Neuerung für die Ehegerichtsbarkeit im lutherischen Bereich gilt seit je das Wittenberger Konsistorium. Das Fehlen einer modernen Untersuchung dieser Einrichtung ist seit langem ein Forschungsdesiderat.
Die Einleitung der 2004 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angenommenen rechtsgeschichtlichen Habilitationsschrift stellt zunächst das Eherecht in den Kontext der aktuellen juristischen und politisch-gesellschaftlichen Debatten der Gegenwart, rekapituliert seine Geschichte vor dem Hintergrund des rechts- und theologiegeschichtlichen Forschungsstandes und diskutiert schließlich seine Relevanz für die Entstehung des frühmodernen Staates. Das zweite Kapitel widmet sich zunächst den verschiedenen Institutionen der Ehegerichtsbarkeit im ernestinischen Kursachsen von Beginn der Reformation über die ersten Visitationen des Jahres 1527 bis zur Schlacht bei Mühlberg, speziell der breiten Diskussion um die Schaffung des 1539/42 eingerichteten Wittenberger Konsistoriums, dessen Besetzung und Wirksamkeit zwischen 1539 und 1547 sowie den Bemühungen um eine dezentrale, gleichsam untergerichtliche Instanzenebene; dann den personellen Veränderungen im Wittenberger Konsistorium nach dem Übergang des Kurkreises an das albertinische nunmehrige Kursachsen, den Konsistorien im albertinischen Sachsen bis 1580 sowie in den benachbarten mindermächtigen Reichsständen. Das knappere dritte Kapitel handelt von den Rechtsgrundlagen der Ehegerichtsbarkeit, zunächst der territorialen Ehegesetzgebung, der Relevanz anderer Rechtsquellen in der Rechtspraxis (Heilige Schrift, gelehrte Rechte), der Rolle von Präjudizien in der Eherechtsprechung sowie in einem Exkurs von der juristischen Eherechtsliteratur, soweit sie Bezug zum Untersuchungsgebiet hatte. Eine knappe Schlussbetrachtung und ein Anhang mit auf Kunstdruckpapier reproduzierten einschlägigen Archivalien (Briefe, Kanzleiakten etc.), mit einer Abschrift des 1583 angefertigten und im 19. Jahrhundert ergänzten Findbuchs der einschlägigen Akten im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar, ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein recht knapp gehaltenes Sachregister beschließen den im Allgemeinen sorgfältig und ansprechend verarbeiteten Band.
Frasseks rechtsgeschichtliche Untersuchung beruht auf einer für juristische Arbeiten ungewöhnlich breiten Basis archivalischer Quellen, die auch in die Darstellung stark einfließen. Wie Frassek überzeugend herausarbeitet, wurden im ernestinischen Kursachsen zwar, wenn auch eher zögerlich, etliche eherechtliche Probleme im Rahmen von Visitations-, Kirchen- oder Konsistorialordnungen geregelt, der Rechtsprechung wurde aber ein weiter Spielraum belassen. Erst mit der "großen Kirchenordung" von 1580, die offenbar auch auf die ernestinischen Herrschaftsbereiche ausstrahlte, kam im albertinischen Kursachsen die normative Entwicklung zu einem vorläufigen Abschluss. Sie markiert darum auch das Ende des Untersuchungszeitraums.
Für die rund 60 Jahre nach der Reformation war vom Verfasser aber die Situation des Eherechts im sächsisch-thüringischen Raum überwiegend aus Einzelfallentscheidungen der verschiedenen, mit eherechtlichen Fragen befassten Instanzen zu rekonstruieren. Da die Prozessakten oft unvollständig sind, ist die Quellenlage schwierig, was der Autor reflektiert darlegt, wobei hier auch die wichtigen Ausführungen zur Überlieferung und zum erwähnten 1583 angelegten Findbuch (54-56) vielleicht besser platziert gewesen wären. Besondere Bedeutung kommt überdies dem sog. Wittenberger Buch zu, einer handschriftlichen Konsiliensammlung des Wittenberger Konsistoriums aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, da diesem nicht nur etwa ein Sechstel der ca. 800 ausgewerteten Fälle entnommen sind, sondern weil diese Sammlung Urteile enthält, die in der Aktenüberlieferung meist fehlen.
Wie andernorts auch hatten die mit den Ehesachen befassten Kollegien - die zu Ehesachen Verordneten, die Reformatoren als Gutachter oder Einzelfallentscheider, die Konsistorien, der Schöffenstuhl bzw. die Fakultäten der Universität Wittenberg und die (kur-) fürstliche Kanzlei - im Wesentlichen Fragen nach der Wirksamkeit von Eheversprechen und nach den verbotenen Verwandtschaftsgraden sowie Scheidungsklagen zu verhandeln. Die von den weltlichen Gerichten als strafrechtliche Verbrechen zu ahndenden Fälle von Ehebruch, Bigamie, Inzucht, Vergewaltigung usw., die Frassek im Zusammenhang mit den kursächsischen Konstitutionen (1572) abhandelt, gehörten jedoch nicht in den Aufgabenbereich der Konsistorien, deren Strafkompetenz nach der Konsistorialordnung auf geistliche Strafen wie den Bann und die Exkommunikation beschränkt war.
Allerdings ordneten die Konsistorialen für die im Kontext der Eheklagen oft impliziten sexuellen Verfehlungen ("Unzucht") zuweilen auch Geld- und Haftstrafen an, überließen die Bemessung des konkreten Strafmaßes aber den örtlichen Gerichten. Ob und inwieweit sie insofern eine Doppelfunktion als Sitten- und Ehegericht einnahmen, ob sie mithin deshalb im Sinne der Sozialdisziplinierung eine stärker disziplinierende Wirkung (269) entfalteten als andernorts, wäre eingehender zu diskutieren. Auch scheint Frasseks Darstellung der auf lokaler Ebene tätigen "Verordneten" als untergerichtliche Instanz zu sehr von modernen Vorstellungen geprägt, zumal aus der schwierigen Quellenlage offenbar nicht zu ermitteln war, was als "einfach gelagerte Ehefälle" (59, 158-162) angesehen wurde, was also gleichsam vor Ort entschieden bzw. "in der güte" (158) "verglichen" (162) werden konnte und was an das Konsistorium oder die fürstliche Kanzlei weitergeleitet werden musste. Auch die besondere Zwitterstellung des protestantischen Eherechts zwischen Theologie und Recht und die spezifische Verzahnung von werdendem Territorialstaat und Landeskirche im 16. Jahrhundert werden nicht stärker ausgeleuchtet: Die Frage, inwieweit es sich beim Eherecht um eine geistliche oder weltliche Materie oder um eine "res mixta" gehandelt hat, wird nicht intensiver problematisiert.
Diese Studie bezieht ihren besonderen Reiz aus den Vergleichen zwischen den zeitversetzten und unterschiedlichen Entwicklungen im ernestinischen und albertinischen Herrschaftsbereich. So ist es bezeichnend, dass im "Mutterland" der Reformation die Rechtspraxis die Rechtsentwicklung entscheidend voranzubringen hatte, während im erst 1539 zur Reformation übergehenden albertinischen Herzogtum Sachsen sehr viel rascher "gesetzliche" Festlegungen getroffen wurden. Wertvoll ist auch die Darstellung der komplexen und leicht unübersichtlich wirkenden institutionellen Verhältnisse in Sachsen und Thüringen einschließlich der so gut wie mediatisierten Hochstifte Meißen, Naumburg und Merseburg. Für die Geschichte der Ehegerichtsbarkeit, der Ehegesetzgebung und -rechtsprechung im thüringisch-sächsischen Raum ist mit dieser ganz aus den Quellen gearbeiteten rechtsgeschichtlichen Studie zweifellos Grundlegendes geschaffen worden. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive bedauerlich ist aber, dass keine Einordnung der sächsischen Befunde in den allgemeineren Forschungshorizont erfolgt, da außer dem berücksichtigten rechts- und landesgeschichtlichen Schrifttum jüngere allgemeinhistorische Studien zur Geschichte von Ehe und Familie, vorehelicher Sexualität und Illegitimität, zur Geschichte von Kirchenzucht, Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung etc. nur vereinzelt herangezogen wurden. [1] Vergleiche oder Seitenblicke etwa auf Zwinglis Einflussbereich beziehen sich darum stets auf das große Werk Walther Köhlers [2], nicht aber auf neuere Studien wie sie etwa von Susanna Burghartz, Thomas M. Safley oder auch Heinrich Richard Schmidt vorgelegt wurden [3].
Anmerkungen:
[1] Zum Forschungsstand neuerdings die Studie zum Detmolder Konsistorium von Marion Lischka: Liebe als Ritual. Eheanbahnung und Brautwerbung in der frühneuzeitlichen Grafschaft Lippe, Paderborn (u.a.) 2006; Rezension von Nicolas Rügge, in: H-Soz-u-Kult, 17.11.2006 http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-130
[2] Walther Köhler: Zürcher Ehegericht und Genfer Konsistorum, 2 Bde. Leipzig 1932/1941.
[3] Susanna Burghartz: Zeiten der Reinheit - Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der Frühen Neuzeit, Paderborn (u.a.) 1999; Thomas M. Safley: Let No Man Put Asunder. A Control of Marriage in the German South-West. A Comparative Study 1550-1600, Kirksville/Mr. (1984); Heinrich Richard Schmidt: Dorf und Religion. Reformierte Sittenzucht in Berner Landgemeinden der Frühen Neuzeit, Stuttgart (u.a.) 1995.
Ralf Frassek: Eherecht und Ehegerichtsbarkeit in der Reformationszeit (= Jus Ecclesiasticum. Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht; Bd. 78), Tübingen: Mohr Siebeck 2005, XIII + 367 S., ISBN 978-3-16-148685-2, EUR 74,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.