sehepunkte 7 (2007), Nr. 7/8

Elisabeth Oy-Marra: Profane Repräsentationskunst in Rom von Clemens VIII. Aldobrandini bis Alexander VII. Chigi

Folgende Werke werden behandelt: einleitend die Sala Clementina im Vatikan, dann unter dem Zwischentitel "Apoll und die Musen" mehrere Dekorationen aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts in Villen von Papstnepoten und Palästen adeliger Familien; als "Allegorisierung der Macht" zusammengefasst folgen Fresken in den Palästen der Papstfamilien Barberini und Pamphilj sowie des Herzogs Lante; abschließend wird die Galerie Alexanders VII. im Quirinal besprochen.

Diese willkürliche Auswahl erlaubt es nicht, die Dekorationsprogramme der verschiedenen Auftraggeber angemessen zu beurteilen, und führt zu der grundlegenden Fehleinschätzung, dass bei den Päpsten nach Clemens VIII. (1592-1605) "die Hegemonie des Bildes [...] fest in den Händen ihrer Familienangehörigen, der Nepoten, [war]." (47) Zwar werden die Dekorationen Pauls V. im Quirinal gestreift, doch bleiben die Zyklen Urbans VIII. im Vatikan (Sala di Carlo Magno und Sala della Contessa Matilda) unerwähnt. Hauptwerke wie die Galleria Farnese, die Galleria Colonna oder Marattas Fresko im Palazzo Altieri kommen nur am Rande vor.

Die Autorin versucht, die Ikonographie der Fresken zu entschlüsseln und ihre Bedeutung für Auftraggeber und Betrachter zu ermitteln. Ihre umständlichen Beschreibungen gehen oft in Details, die interessant sein können, aber nicht die Konzeption im Ganzen erfassen. So werden die Tugenden in der Wölbung der Sala Clementina durchbuchstabiert, ohne den Zusammenhang mit der Apotheose des heiligen Clemens zu sehen und dieses Programm mit den Tugenden anderer Päpste zu vergleichen. In der Galleria Pamphilj bildet "Jupiters Urteil" die zentrale Szene, die von zwei ovalen Feldern mit den beiden Kontrahentinnen Juno und Venus flankiert wird. Dies veranschaulicht den von Scott herausgearbeiteten Grundgedanken des Wirkens der Justitia, in dem sich die Pamphilj-Dekoration vom Salone Barberini unterscheidet und der plausibler ist als das von Preimesberger postulierte heraldische Konzept, an dem Oy-Marra modifizierend festhält. [1]

Cortonas Entwurf für das Dekorationssystem der Galerie Alexanders VII. (Kunstbibliothek Berlin) sei "3,61 x 3,89 Meter" groß und lasse "sich leicht mit dem ursprünglichen Zustand der Galerie in Verbindung bringen" (336). Der Entwurf ist allerdings nur zur Hälfte abgebildet (326, Abb. 223), ohne dass dies kenntlich gemacht würde, wobei lediglich summarisch auf "Jacob 1971" verwiesen wird. Mit den Maßen (361 x 1389 mm), Technik, Inventarnummer (Hdz 879) und Nachweis im Bestandskatalog des Museums geht die Autorin ebenso sorglos um wie mit der Interpretation. Diese müsste lauten, dass es sich um ein Entwurfsstadium handelt, das der Ausführung vermutlich sehr nahe kam. Denn vor der jüngsten Restaurierung, die hier noch nicht berücksichtigt ist, war der ursprüngliche Zustand der Galerie unbekannt. Die allegorischen Figuren in Romanellis Fresko im Palazzo Lante wurden inzwischen von Meccoli genauer bestimmt. [2]

Abgesehen von vielen unzulänglichen Abbildungen und orthografischen Fehlern fallen zahlreiche sachliche Ungenauigkeiten auf. Ein Abschnitt (199-200) sei genauer betrachtet: Kardinal Francesco Barberini war nicht Cousin, sondern Bruder von Taddeo Barberini. Dessen Heirat mit Anna Colonna 1627 brachte ihm nicht den Titel Principe di Palestrina, vielmehr erhielt er diesen 1630 mit dem Erwerb dieses Fürstentums von einem anderen Zweig der Colonna. Die Übertragung des Palazzo Barberini auf Taddeo hängt nicht mit dessen Hochzeit zusammen. Ob, wann und wie weit Francesco die Leitung der Arbeiten am Palazzo Barberini an Taddeo übergab, ist ungeklärt. Er bezog den Palast nicht 1647, sondern wohnte bis zu seinem Tod 1679 in der Cancelleria.

Im Text zu Domenichinos Fresko im Palazzo Costaguti (180-182) wird der geflügelte Alte, der die Wahrheit nicht enthüllt, sondern ans Licht (zu Apoll) bringt, hartnäckig als "Boreas" bezeichnet, nur in Anmerkung 729 heißt es richtig "die Chronos-Veritas-Gruppe".

Abb. 1Zum Fresko im Salone Barberini schreibt Oy-Marra: "Der Entwurfsprozess dieses innovativen Deckenfreskos lässt sich mangels eindeutig signifikanter Zeichnungen kaum nachvollziehen" (231). Schlagende Argumente (traditionelle Zuschreibung, Eckpfeiler mit zwei übereinander angeordneten Figuren, Rahmenformen und dekoratives Repertoire, Figuren- und Zeichenstil) sprechen aber dafür, dass es sich bei dem hier reproduzierten Blatt in München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. 12741, um einen Originalentwurf Cortonas handelt, auf dem ein quadro riportato-System vorgeschlagen ist. Der Versuch, dieses Blatt Romanelli zuzuschreiben (232) und damit profunde Forschungen seit Posse vom Tisch zu wischen, überzeugt nicht. [3]

Abb. 2Zwei weitere, bestens bekannte Entwürfe zu diesem Fresko in Haarlem (Teylers Museum, Inv. J 13) und Ottawa (National Gallery of Canada, Inv. 6134) werden nicht erwähnt, obwohl sie entscheidende Aufschlüsse über die Entwicklung von Cortonas Konzeption und seine Neuprägungen allegorischer Figuren liefern - und solche Erkenntnisse eigentlich ein zentrales Anliegen der Autorin bilden.

Abb. 3So zeigt die im vorigen Abschnitt reproduzierte Zeichnung in Ottawa, dass bei der Gestaltung der zentralen knienden Figur die Haltung des Armes mit dem Buch von Ripas Sapienza übernommen wurde, nicht dagegen deren Körperhaltung und Attribut (Öllampe). Sie wird von Minerva, einer Personifikation der Sapienza, geführt. Im Fresko (siehe Reproduktion) ist letztere zu einem geflügelten, lorbeerbekränzten Jüngling mit Minervas Attributen Medusenschild und Ölzweig verändert. Der rechte Flügel scheint aus dem Kopf der knienden Figur herauszuwachsen. Eine "Donna con l'ali al capo" bezeichnet Ripa als Scienza. Als solche wurde die kniende Figur in der ersten Beschreibung des Freskos von Rosichino bezeichnet - allerdings nicht wegen des Flügels, sondern wegen des Buches sowie der Flamme, die bedeutet "ch'egli è suo proprio l'erigersi in alto". [4] Bei Ripa dient die Lampe dagegen zur Erhellung der Finsternis. Elemente der von Ripa - keineswegs verbindlich - als Sapienza festgelegten Figur sind folglich mit anderen Formen, einem anderen Ausdruck und einem anderen Kontext versehen, und diese neue Figur wurde als Scienza beschrieben.

Im Epilog (345-348) wird resümiert, es habe eine generelle Abwendung von dynastisch geprägten Bildprogrammen wie denjenigen der Farnese im 16. Jahrhundert gegeben. Die Parvenüs am päpstlichen Hof hatten doch gar keine derartigen Leistungen vorzuweisen! Konnte eine Familie stolz auf die Taten ihrer Vorfahren sein, dann zeigte sie das auch im 17. Jahrhundert - wie die Colonna in ihrer Galerie. Hier eröffnet sich kein "neues Kapitel in der Geschichte der Monumentalmalerei Roms" (348), vielmehr bildet es einen Abschluss dieser Epoche.

Es erstaunt, dass diese Arbeit trotz solcher gravierender Mängel als Habilitationsschrift an der Universität Bamberg angenommen, mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft gedruckt und vom Kunsthistorischen Institut in Florenz (Max-Planck-Institut) publiziert wurde.


Anmerkungen:

[1] John Beldon Scott: "Strumento di potere: Pietro da Cortona tra Barberini e Pamphilj", in: Pietro da Cortona (1597-1669), hrsg. von Anna Lo Bianco, Katalog der Ausstellung in Rom, Mailand 1997, 87-98; Rudolf Preimesberger, "Pontifex Romanus per Aeneam Praesignatus. Die Galleria Pamphilj und ihre Fresken", in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 16, 1976, 223-287.

[2] Monica Meccoli: "Il Salone dipinto di Palazzo Lante alla Sapienza", in: Decorazione e collezionismo a Roma, hrsg. von Francesca Cappelletti, Rom 2003, 187-200.

[3] Hans Posse: "Das Deckenfresko des Pietro da Cortona im Palazzo Barberini und die Deckenmalerei in Rom", in: Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 40, 1919, 93-118 und 126-173.

[4] Mattia Rosichino: "Dichiarazione delle pitture della sala de' Signori Barberini", Rom 1640.

Abbildungen:

(nach Jörg Martin Merz: Pietro da Cortona: der Aufstieg zum führenden Maler im barocken Rom, Tübingen 1991, Abb. 371, 383, 401):

Abb. 1: Pietro da Cortona, erster Entwurf zum Deckenfresko im Salone Barberini, München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv. 12741

Abb. 2: Pietro da Cortona, Entwurf zur rechten Langseite des Deckenfreskos im Salone Barberini, Ottawa, National Gallery of Canada, Inv. 6134

Abb. 3: Pietro da Cortona, rechte Langseite des Deckenfreskos im Salone Barberini

Rezension über:

Elisabeth Oy-Marra: Profane Repräsentationskunst in Rom von Clemens VIII. Aldobrandini bis Alexander VII. Chigi. Studien zur Funktion und Semantik römischer Deckenfresken im höfischen Kontext (= Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz. Vierte Folge; Bd. V), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2005, 385 S., 245 Abb., ISBN 978-3-422-06530-7, EUR 88,00

Rezension von:
Jörg Martin Merz
Institut für Kunstgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Empfohlene Zitierweise:
Jörg Martin Merz: Rezension von: Elisabeth Oy-Marra: Profane Repräsentationskunst in Rom von Clemens VIII. Aldobrandini bis Alexander VII. Chigi. Studien zur Funktion und Semantik römischer Deckenfresken im höfischen Kontext, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 7/8 [15.07.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/07/12629.html


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