sehepunkte 7 (2007), Nr. 10

Johannes Meier / Fernando Amado Aymoré: Jesuiten aus Zentraleuropa in Portugiesisch- und Spanisch-Amerika

Erstgeburten eines vielversprechenden Publikationsprojektes vorzustellen, ist immer eine Freude. Heute gilt es, den ersten Band der lateinamerikanischen Jesuitenprosopographie, Frucht eines unter der Leitung von Johannes Meier stehenden DFG-Forschungsprojektes, anzuzeigen. Dessen ambitioniertes Ziel ist es, alle aus Mitteleuropa - also jenem mit dem Heiligen Römischen Reich weitgehend deckungsgleichen geographischen Raum - entstammenden Jesuiten in den portugiesischen und spanischen Überseeterritorien in ihren Einzelbiographien nachzuweisen. Der Untersuchungszeitraum richtet sich dabei nach dem ersten Etablissement der Gesellschaft vor Ort bis hin zur Aufhebungs- beziehungsweise Ausweisungsorder in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; territorial wird die Reihe in die ehemaligen Ordensprovinzen gegliedert sein.

Es muss hier nicht eigens erwähnt werden, welch bedeutende wissenschaftliche Lücke damit geschlossen werden wird. Zusammen mit anderen Orden und noch vor den königlichen Verwaltungen standen die Jesuiten an der Spitze jenes Prozesses, welcher heute gemeinhin als Kulturtransfer bezeichnet wird; ihre genuine Ausprägung, ihre spirituelle Eigenart und ihr soziales Ethos hoben die Jünger des Hl. Ignatius aus diesem Beziehungsgeflecht staatlicher, sozialer und kirchlicher Ordnung deutlich und unverkennbar heraus. Trotz zahlreicher einschlägiger Untersuchungen vermisste die Historiographie bislang die mühsame Untersuchung der Einzelbiographien der Ordensmänner, die genaue und koordinierte Analyse ihres persönlichen Nachlasses und ihrer Schriften und damit ihrer spezifischen Denkwelten, welche ja den erwähnten kulturellen Austausch recht eigentlich konditionierten.

Der Reigen der Provinzen beginnt mit Brasilien und damit mit der Ausnahme. Als einzige des lateinamerikanischen Raumes unterstand sie nicht der spanischen Krone, musste also mit den Gegebenheiten der völlig anders orientierten portugiesischen Kolonialpolitik zurechtkommen - einer Konzeption, welcher vielleicht als einziger wirklich das Etikett 'kolonial', im Gegensatz zu den spanischen und vor allem französischen Praktiken, zukam. Kontraste der Erwartungshaltungen trafen hier in gesteigertem Maße aufeinander, dies spätestens seit der Thronbesteigung Josés I. 1750 und der fatalen Regierung seines quasi allmächtigen Ministers Pombal. Der sich akzentuierende Nützlichkeits- und Rentabilitätsgedanke jenseits humaner Rücksichtnahmen war wenig dazu angetan, ein friedliches Einvernehmen zwischen Weißen und Indigenen, aber auch zwischen Regierung und kirchlichem Missions- und Heilsgedanken zu gewährleisten.

Interessanterweise bestimmen die damals angelegten Gegensätze und ihre inhaltlichen Überschneidungen bis heute die historische Diskussion ebenso wie die politische oder theologische. Das vorliegende, mit großem Fleiß und Engagement verfasste Werk ist dafür sprechender Beleg.

Zunächst entwirft der Autor ein zuverlässiges Bild des Bearbeitungsraumes. Den generellen Kriterien der Reihe folgend, werden das Gebiet der Provinz, die Quellenlage, die Ortstopographie sowie die administrativen Untereinheiten kurz vorgestellt und wirtschaftliche Grundvoraussetzungen und Möglichkeiten des Apostolates aufgezeigt. Diesem sehr gelungenen Teil folgt eine Ausführung über die "historische Ethnologie der indigenen Bevölkerung", welche allgemein kulturhistorisch und als Beleuchtung des missionarischen Gegenübers sehr interessant, im vorliegenden Rahmen aber etwas zu breit erscheint.

Dem eigentlichen Anliegen des Bandes mehr gerecht wird dann der dritte Abschnitt, welcher speziell den Missionsgebieten unter den Indios und den jesuitischen Schutzmaßnahmen für diese gewidmet ist. Anhand von Visitationsakten und Missionsstatuten, sowie durch exakte statistische Angaben erhält der Leser ein sprechendes Bild des missionarischen Alltags.

Erst der vierte Teil des Werkes analysiert dann die Biographien der Jesuiten selbst, Herkunft und soziales Umfeld, Ausbildung und - soweit greifbar - Motivationen, ihren Wirkungsbereich und die Möglichkeiten individueller Akzentsetzung in ihrer Tätigkeit. Einen sehr breiten Raum nimmt dabei die Frage nach dem jeweiligen "Indiobild" und "Missionsverständnis" ein, und spätestens an diesem Punkt zeigen sich die oben angesprochenen Antagonismen differenzierter historischer Wahrnehmung. Es ist hier nicht der Ort, die Aussagen des Autors im einzelnen zu diskutieren. Aus der Fülle der Beobachtungen sei lediglich der ständig - und mit steigend pejorativer Konnotation - verwandte Begriff des Paternalismus angesprochen und hinterfragt. Dieser müsste nicht nur etymologisch und komparatistisch (anhand anderer Sprach- und Kulturkreise missionarischen Wirkens, etwa Französisch Amerika), sondern auch aszetisch und patristisch wesentlich weiter gefasst und beleuchtet werden.

So mag denn der Leser selbst die aus diesem Ansatz, wie auch aus der Tatsache, den Missionaren sei wesentlich mehr an der Rettung der Seelen denn an intellektueller Entwicklung - der Autor spricht etwas ominös vom Fehlen einer "Entwicklungsperspektive" (181) - gelegen gewesen, gewonnenen Schlussfolgerungen beurteilen. Nicht nur dass hier oftmals Positionen einer eindeutig nicht-historischen Argumentationsweise angewandt werden (die Nähe zur sogenannten Theologie der Befreiung und jener Teilhard de Chardins sind unverkennbar) -, auch die unmittelbar im Anschluss aufgezeigten Leistungen der Jesuiten in Wissenschaft, Bildung und Linguistik relativieren die oft einseitig negative Schlussbilanz.

Den ersten Teil des Bandes beschließen Gedanken zu den "Missionen als 'Projekt' der indigenen Völker", die Geschichte der Ausweisung der SJ, ein Ausblick auf die nachmissionarische Zeit sowie ein "Die Epoche aus heutiger Sicht" titulierter Abschnitt. Während die antijesuitische Agitation der Regierung des schon erwähnten Pombal sehr deutlich geschildert und die persönliche Verantwortung des Ministers eindeutig hervorgehoben werden, erscheinen andere Passagen wiederum etwas breit, vor allem die hymnische Darstellung brasilianischer Geschichte nach 1760. Wiewohl der zuweilen sympathische politische Sozialpatriotismus des Autors in gut lesbarer Sprache vermittelt wird, bleiben dabei Übertreibungen nicht ausgespart. Natürlich haben Kaiserreich und Republik Brasilien öfters denn nur einmal (so in 228 f., vor allem Anmerkung 11, behauptet) Krieg geführt, etwa mit den Kriegseintritten von 1914 und 1942.

Dem unleugbaren Höhepunkt der Untersuchung aber begegnet der Leser im zweiten Teil (125 von 356 Textseiten), dem eigentlichen bio-bibliographischen Verzeichnis der in Brasilien von 1618 bis 1760 tätigen Jesuitenpatres. Ein Blick auf die reiche Bibliographie und die Menge des bewältigten Quellenmaterials lassen die geleistete Arbeit erahnen. Das der Forschung damit an die Hand gegebene Instrumentarium belegt aufs eindringlichste Anspruch und Qualitätsstandard der Reihe, deren Folgebänden man mit freudiger Erwartung entgegensehen darf.

Rezension über:

Johannes Meier / Fernando Amado Aymoré: Jesuiten aus Zentraleuropa in Portugiesisch- und Spanisch-Amerika. Ein bio-bibliographisches Handbuch. Band 1: Brasilien (1618-1760), Münster: Aschendorff 2006, XXXIX + 356 S., ISBN 978-3-402-03780-5, EUR 49,00

Rezension von:
Josef Johannes Schmid
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Empfohlene Zitierweise:
Josef Johannes Schmid: Rezension von: Johannes Meier / Fernando Amado Aymoré: Jesuiten aus Zentraleuropa in Portugiesisch- und Spanisch-Amerika. Ein bio-bibliographisches Handbuch. Band 1: Brasilien (1618-1760), Münster: Aschendorff 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/10/11687.html


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