Sven Korzilius beschäftigt sich mit "Asozialen" und "Parasiten" in der SBZ/DDR, die im SED-Staat systematisch "Repression und Ausgrenzung" erfuhren. Wenn Korzilius für die Beschreibung dieser "Randgruppen im Sozialismus" zwei Begriffe nebeneinander stellt, ist damit nicht nur die Uneindeutigkeit im Umgang von Staat und Mehrheitsgesellschaft mit solchen Randgruppen angedeutet, sondern auch eine doppelte Pfadabhängigkeit der DDR: Einerseits zur älteren deutschen Ausgrenzungstradition, die im verbrecherischen Umgang der NS-Diktatur mit "Asozialen" gipfelte, andererseits zum sowjetischen Vorbild der Bekämpfung von "Parasiten". Was hier als Synergie totalitärer Repression ins Auge fällt, verweist auf eine breitere Kontinuität der Ausgrenzung bzw. Maßregelung in industriellen Arbeitsgesellschaften. Darum ist der vereinzelte Blick auf die Entwicklung in Westdeutschland nicht nur eine deutsch-deutsche Pflichtübung, sondern die notwendige Einbeziehung einer nicht-totalitären Arbeitsgesellschaft in eine freilich sehr locker gefügte Vergleichsperspektive.
Korzilius zufolge hat die zur "Endlösung der sozialen Frage" pervertierte Asozialenpolitik der NS-Diktatur nach 1945 weder in West- noch in Ostdeutschland "zu einem radikalen Bruch mit früheren gesellschaftlichen Vorurteilen und politischen Konzepten" geführt. Stattdessen sei die 1851/71 im § 361 StGB festgeschriebene Kriminalisierung abweichenden Verhaltens - "also von Landstreichern, Bettlern, Obdachlosen, so genannten Müßiggängern, Arbeitsscheuen und Prostituierten" - in der DDR bis 1968 und in der Bundesrepublik bis 1974 fast unverändert beibehalten worden. Zugleich habe sich nach 1945 neben dem strafrechtlichen ein fürsorgepolitischer Zugriff des Staates auf diese Gruppen herausgebildet. Daraus resultiert der methodische Ansatz "die Interdependenz von Sozial- und Kriminalpolitik, Justizwesen, Fürsorge und Polizei und den gesellschaftlichen Entwicklungen sowie den diesen entsprechenden vorherrschenden Mentalitäten aufzuhellen" (1f.). Die im Vordergrund stehende Analyse der Rechtsentwicklung wird durch einen alltagsgeschichtlichen Zugriff ergänzt, der danach fragt: "Wie wurde mit den betroffenen Personengruppen tatsächlich umgegangen?" (8)
Korzilius gliedert seine Studie in fünf Teile, die einem groben chronologischen Raster folgen: Nachkriegszeit, Fünfzigerjahre, Sechzigerjahre, Honecker-Ära, Nachwendezeit. Dabei erhält die Nachkriegszeit quantitativ zu viel Gewicht. Die methodisch differenzierte Vorgehensweise kapituliert zuweilen vor allzu großer Detailfreude. Bei alledem beweist Korzilius jedoch ein feines Gespür für Kontinuitäten und Diskontinuitäten der DDR-Politik. Auch die gelegentlich - vielleicht zu selten - eingestreuten Seitenblicke auf westdeutsche oder sowjetische Entwicklungen sind erhellend, während Hinweise auf die Entwicklung vor 1945 hätten gestrafft werden sollen.
Im I. Teil geht es um "Sozialdisziplinierung als Mittel der Kriegsfolgenbeseitigung". Der Verfasser zeigt dabei jene strikt arbeitsgesellschaftliche Fixierung der sich mit sowjetischer Hilfe formierenden SED auf, die deren Politik bis 1989 prägte. Zugleich stellt er die Diskontinuität infolge des Zusammenbruchs von 1945 heraus: Zwar überlebte das traditionelle Machtdispositiv gegen "Asoziale" diese Zäsur juristisch wie mental, doch war es durch die Massennotlage zahlloser Menschen gezwungen, seinen Zugriff zu differenzieren und zeitweilig zu lockern. Dem diente die behördliche Unterscheidung von kriegsfolgenbedingt Abgestiegenen und "eigentlichen" Asozialen (24). Während die moralische Verurteilung weiblicher Prostituierter konstant blieb (29f.), wurden kriminelle oder verwahrloste Jugendliche als "Opfer der Zeit" eher exkulpiert statt stigmatisiert (35). Die Zwittersituation der Nachkriegszeit zeigt sich auch daran, dass die sowjetzonalen Behörden sich zwar bemühten, Verletzungen der Arbeitsdisziplin zu ahnden, dieser repressive Zugriff jedoch in Lokalbehörden und -gesellschaften häufig mit Verweis auf die Nachkriegsnot blockiert wurde (143).
Teil II beschäftigt sich mit den Fünfzigerjahren, die Korzilius uneindeutig "zwischen Traditionalismus, Stalinismus und Abolitionismus" verortet. Traditionelle Ausgrenzungs- und Disziplinierungspraktiken kreuzten sich demnach in der jungen DDR mit der stalinistischen Sicht, "Asoziale" seien als Klassenfeinde zu bekämpfen, und der diametral entgegengesetzten milieutheoretischen Überzeugung, Asozialität sei eine Resterscheinung der kapitalistischen Gesellschaft, die mit dieser bald verschwinden würde. Das Zusammenwirken traditionalistischer und stalinistischer Auffassungen führte laut Korzilius zu einer Zurückdrängung milieutheoretischer Erklärungsansätze zugunsten einer Erbe-Umwelt-Theorie, die "anlagebedingten Defiziten einzelner Individuen" große Bedeutung beimaß (198). Im Endeffekt neutralisierten sich Stalinisten und Abolitionisten gegenseitig und ermöglichten in der Praxis eine weithin traditionalistische Verfolgung von Prostitution und eine arbeitsgesellschaftliche Disziplinierung in Arbeitshäusern oder Jugendwerkhöfen. Zugleich konnte es in wichtigen Sonderregionen - etwa Grenzkreisen oder dem Uranbergbaugebiet der Wismut - zu "einzelnen stalinistisch-totalitären Vertreibungsaktionen" gegen "deklassierte Elemente" kommen (199, 216).
Teil III behandelt die Sechzigerjahre "von der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung [1961] bis zum Strafgesetzbuch von 1968". Hier vermisst man noch stärker als im vorangegangenen Teil eine begriffliche Präzisierung der Epoche. Die Verordnung vom August 1961, die auch Aufenthaltsbeschränkungen und Arbeitserziehung von "arbeitsscheuen Personen" vorsah, begreift Korzilius weniger im Kontext des Mauerbaus denn als Nachvollzug der sowjetischen "Parasitengesetze" (265). Zudem deutet der Verfasser die Verordnung eher als "Ersatz für eine verfehlte (oder fehlende) Sozialpolitik" (283), während der Aspekt der politischen Strafjustiz keine ausschlaggebende Rolle gespielt habe. Jedenfalls blieb die Zahl der zu Arbeitserziehung Verurteilten überschaubar: Unter "katastrophal[en]" Bedingungen waren 1962 808 Personen in DDR-Arbeitslagern inhaftiert, 1968 waren es 3.320 Personen (295). In diesen Lagern reduzierte sich der hehre sozialistische Erziehungsanspruch auf "quasi-militärischen Drill" (297). Aufenthaltsbeschränkung wurde hingegen nach 1962 kaum noch angewendet (301). Aus freilich sehr dünnem Quellenmaterial zieht Korzilius den Schluss, dass diese Repressalien - die überwiegend Prostituierte und so genannte "Arbeitsbummelanten" trafen - "bei weiten Teilen der DDR-Bevölkerung nicht auf Ablehnung" gestoßen seien (315). Ob man angesichts der geringen Opferzahlen die Verordnung von 1961 als "Mittel der Disziplinierung der Industriearbeiterschaft" interpretieren kann, die den potenziellen Betroffenenkreis "enorm ausgeweitet" habe (321f.), ist fragwürdig und dürfte viel eher für das neue DDR-Strafgesetzbuch von 1968 gelten. Dieses folgte hinsichtlich der Inkriminierung von "Asozialen" dem "alten Weg zwangsintegrativer Sozialstaatlichkeit", während die Bundesrepublik wenig später "ein deutliches Zeichen der Liberalisierung ihres Sozialstaatsmodells" setzte (387).
Vor allem aber bot das DDR-Strafrecht von 1968 die Rechtsgrundlage für die in Teil IV geschilderte "intensivierte Verfolgung von 'Asozialen' in der "Ära Honecker" zwischen 1971 und 1989 (406). Neben den traditionell bedrohten Prostituierten gerieten auch Homosexuelle und Geschlechtskranke ins Visier (415), was parallele Strafrechtsliberalisierungen in puncto Homosexualität partiell konterkarierte. Die Zielgruppe des Asozialen-Strafrechts wurde um Alkohol- und Drogenabhängige, um Glücksspieler und "Punker" erweitert. Von 1972 auf 1973 erfolgte eine Verdreifachung der Verurteilungen auf über 14.000 Fälle, um sich 1974 auf 7.400 wieder zu halbieren und bis 1977 auf 5.200 zurückzugehen (447, 450). 1980 wurde jedoch mit fast 13.300 Verurteilungen der Spitzenwert von 1973 wieder erreicht, und trotz eines Rückgangs in der Folgezeit lagen die Verurteilungen 1985 immer noch über dem Wert von 1977 (454). Unter den DDR-Häftlingen stellten zu Arbeitserziehung Verurteilte 1975 die größte Gruppe - über 11.300 oder 27 Prozent (619). Zugleich beobachtet man eine "gesteigerte Bereitschaft" der Mehrheitsbevölkerung zur Denunziation abweichenden Verhaltens (709).
Korzilius schließt seine Studie in Teil V mit einem Ausblick auf die Rehabilitierung von "Asozialen" als Opfer der DDR-Justiz. Diese erwies sich als ambivalent, denn einerseits wurde das DDR-Strafrecht im wiedervereinigten Deutschland kritisch bewertet, andererseits wurde das Vorgehen gegen "Asoziale" oft grundsätzlich gebilligt. Heraus kam eine richterliche Tendenz zur Rehabilitierung bei als unverhältnismäßig hoch bewerteten DDR-Strafmaßen (695).
Die Studie von Korzilius bietet einen guten Einblick in Formen, Kontinuitäten und Wandlungen von "Asozialen"-Politik der SED-Diktatur. Wenn der Verfasser meint, nur "das Zusammenspiel der für die DDR typischen totalitären Elemente" mit der krisenbedingten "Verhärtung" des soziopolitischen Klimas unter Honecker erkläre den hohen Repressionsaufwand gegen vergleichsweise unbedeutende Abweichungen (709), kann ihm weitgehend gefolgt werden. Hier wäre es freilich gut gewesen, wenn der Autor die Repression gegen "Außenseiter" zu den sozialpolitischen Reformen und zur zeitweiligen kulturellen Liberalisierung des Honecker-Regimes in Bezug gesetzt hätte, das nicht gar so umstandslos mit "totalitären" Tendenzen zu beschreiben ist. Auch einen Vergleich mit der Konformitätsproblematik moderner Arbeitsgesellschaften überhaupt bietet Korzilius nicht. Freilich gibt er genügend Anregungen für solche Meta-Diskussionen.
Sven Korzilius: "Asoziale" und "Parasiten" im Recht der SBZ/DDR. Randgruppen im Sozialismus zwischen Repression und Ausgrenzung (= Arbeiten zur Geschichte des Rechts der DDR; Bd. 4), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, IX + 744 S., ISBN 978-3-412-06604-8, EUR 105,50
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