sehepunkte 7 (2007), Nr. 11

Marica Tolomelli: Terrorismo e società

Die hier besprochene Studie von Marica Tolomelli (Universität Bologna) ist das Resultat einer mehrjährigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit neuen sozialen Bewegungen, Konflikten und bestimmten Formen politischen Handelns, wie sie in den Sechziger und Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Die junge Historikerin näherte sich diesen Themen in vergleichender und transnationaler Perspektive, wobei sie der Entwicklung in Deutschland und Italien besondere Aufmerksamkeit schenkte. [1] Die deutsche und die italienische Gesellschaft in den Siebziger Jahren stehen auch im Mittelpunkt ihres jüngsten Werkes. Genauer gesagt verfolgt sie die öffentliche Debatte über das Phänomen Terrorismus; zudem setzt sie sich mit dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft in Deutschland und Italien in einer kritischen Phase auseinander, als in beiden Ländern nicht zuletzt aus den Reihen der Intellektuellen Stimmen laut wurden, die auf eine Delegitimierung des Staates zielten. Die vergleichende Sichtweise ist schon aufgrund der Bedeutung gerechtfertigt, die der Terrorismus sowohl in Deutschland als auch in Italien erlangte; nicht umsonst hat man in beiden Ländern von den "bleiernen Jahren" gesprochen, um die Atmosphäre dieser Zeit zu beschreiben.

Freilich verhehlt die Autorin auch die Unterschiede nicht: In Italien war die politische Kultur von überkommenen Konflikten belastet, die bis zum Zusammenstoß zwischen Sozialismus/Kommunismus und Faschismus nach dem Ersten Weltkrieg zurückreichten und in den Jahren der Resistenza zwischen 1943 und 1945 neu aufgeladen wurden; zudem fiel die Saat des Terrorismus insbesondere nach dem "heißen Herbst" des Jahres 1969 in den Fabriken und in der Arbeiterbewegung auf fruchtbaren Boden. In Deutschland hatte der Terrorismus dagegen viel mit dem vor allem in der Nachkriegsgeneration verbreiteten Wunsch zu tun, mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und damit auch mit den eigenen Vätern abzurechnen. In gewissem Sinne, so lautet die Schlussfolgerung von Marica Tolomelli, wurden beide Länder durch den Terrorismus auch mit unbewältigten Problemen ihrer neuesten Geschichte konfrontiert.

In Italien war das "christdemokratische Regime" das bevorzugte Opfer des Terrorismus, das gleichsam als feindliche Besatzungsmacht angesehen wurde, der es mit Begriffen und Methoden des Klassenkampfes zu begegnen galt. Insbesondere gerieten christdemokratische Spitzenpolitiker wie Aldo Moro ins Visier der Terroristen, der wie kein anderer für eine Öffnung seiner Partei nach Links stand. An dieser Stelle wird klar, dass man den Terrorismus auch als Reaktion auf die Bemühungen der Kommunistischen Partei Italiens begreifen muss, durch die Beteiligung an einer Regierung der nationalen Solidarität in die Arbeit der Staatsorgane einbezogen zu werden. Nach Jahren der scharfen Opposition, die von den Terroristen nun gewaltsam fortgesetzt wurde, bedeutete diese Strategie für die Kommunistische Partei einen bemerkenswerten Kurswechsel. In Deutschland hatten die terroristischen Aktionen und die Debatten darüber viel mit einem Generationenkonflikt zu tun, und es ist kein Zufall, dass eben die Repräsentanten der bestehenden Ordnung zur Zielscheibe wurden, die für die Kontinuität zwischen dem 'Dritten Reich' und der Bundesrepublik standen. Dies wurde spätestens mit der Entführung von Hanns Martin Schleyer am 5. September 1977 evident, der 1937 der NSDAP beigetreten war und in der NS-Zeit Karriere in der Industrie gemacht hatte. Da ihn die Entnazifizierung ungeschoren davonkommen ließ, konnte er seine berufliche Laufbahn erfolgreich fortsetzen. Gerade bei der Analyse der öffentlichen Debatten über die Entführungsfälle Moro und Schleyer gelingt der Autorin eine aussagekräftige Momentaufnahme des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft in Deutschland und Italien.

Während in den großen Tageszeitungen Italiens ebenso wie in der alternativen Presse die offiziellen Standpunkte ebenso diskutiert werden konnten wie abweichende Meinungen, die den Staat in Frage stellten, blieben diese beiden Sphären in Deutschland getrennt. Marica Tolomelli führt diese unterschiedliche Entwicklung darauf zurück, dass die politische Kultur Westdeutschlands in besonderer Weise von der Erfahrung des Zusammenbruchs der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur geprägt war. Ähnlich wie schon in den ersten Jahren der Bundesrepublik, als man als systemfeindlich eingestufte Parteien für illegal erklärte, begegnete der Staat der Herausforderung durch die Terroristen - ungeachtet ihrer geringen Zahl - nun durch eine Politik der Repression. Dabei wurden auch Intellektuelle, selbst wenn sie nur indirekt gegen den Staat Stellung bezogen hatten, Opfer einer Gesetzgebung, die darauf abzielte, all diejenigen an den Rand des öffentlichen Lebens zu drängen, die die Regierungspolitik nicht unterstützten und die bestehende Ordnung nicht vorbehaltlos bejahten. In Italien dagegen ging man mit der Frage der Repression anders um, so dass sich die kritischen Intellektuellen geradezu herausgefordert fühlten, offen Stellung zu beziehen.

Generell rief die gewaltsame Herausforderung in den beiden jungen Demokratien soziale Spannungen hervor und verwies auf verdrängte Punkte ihrer Vergangenheit - mit ähnlichen Folgen, aber auf der Basis von gleichsam entgegen gesetzten Voraussetzungen. Wenn es die Konfliktkultur wie die politische Kultur der italienischen Republik begünstigt hat, dass sich die Gewalt in bestimmten sozialen Schichten einnisten konnte und gleichzeitig eine bestimmte Form der öffentlichen Debatte über alle Teilbereiche der politischen Öffentlichkeit hinweg beflügelte, führte die "Hypersensibilität" der legitimen Institutionen gegenüber dem Terrorismus in Deutschland nicht zuletzt aufgrund der Erinnerung an den Nationalsozialismus zu einer anderen Perzeption des Phänomens, aber nicht dazu, dass der Terrorismus in der Gesellschaft Wurzeln geschlagen hätte. Beide Länder befanden sich in einem Krisenzustand, den die Autorin als "Verflechtung von Niedergang und Stabilisierung" beschreibt. Man konnte in diesen Jahren in Deutschland und Italien politische und kulturelle Prozesse finden, die in unterschiedliche Richtungen wiesen - diejenigen der Konservierung und der Stabilisierung des Staates auf der einen und diejenigen des Wandels und der Behauptung neuer Ansätze auf der anderen Seite. Nach Marica Tolomelli überwand die deutsche Gesellschaft die Krise, indem sie neuen Forderungen nach bürgerschaftlichem Engagement breiten Raum gab, während in Italien der Terrorismus in vielen Sektoren der Gesellschaft und im politischen System eine konservative Reaktion begünstigte. Alles in allem handelt es sich bei der Untersuchung von Marica Tolomelli um eine Studie, die nicht nur grundlegend ist, um zu verstehen, wie die deutsche und die italienische Gesellschaft in den Siebziger Jahren mit dem Terrorismus umzugehen gezwungen waren, sondern auch, um einige grundlegende Unterschiede zwischen den politischen Kulturen beider Länder zu begreifen.


Anmerkung:

[1] Es sei hier nur an die Monografien von Marica Tolomelli erinnert: Movimenti collettivi nell'Europa di fine anni '60: guida allo studio dei movimenti in Italia, Germania e Francia, Quarto Inferiore 2002, und: "Repressiv getrennt" oder "organisch verbündet": Studenten und Arbeiter 1968 in der Bundesrepublik Deutschland und in Italien, Opladen 2001.

Aus dem Italienischen übersetzt von Thomas Schlemmer.

Rezension über:

Marica Tolomelli: Terrorismo e società. Il pubblico dibattito in Italia e in Germania negli anni Settanta, Bologna: il Mulino 2006, 295 S., ISBN 978-88-15-11121-0, EUR 22,00

Rezension von:
Fiammetta Balestracci
Centro per gli studi storici italo-germanici, Trient
Empfohlene Zitierweise:
Fiammetta Balestracci: Rezension von: Marica Tolomelli: Terrorismo e società. Il pubblico dibattito in Italia e in Germania negli anni Settanta, Bologna: il Mulino 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/11/13870.html


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