So allgegenwärtig wie diffus lastet die düstere Klammer des Judenhasses, die das Bild Spaniens und Deutschlands in der Geschichte zusammenhält: dort die Gesetze zur "Reinheit des Blutes" ("limpieza de sangre") im frühneuzeitlichen Spanien, hier die Nürnberger Gesetze des deutschen NS-Staates. Ein und derselbe Ariernachweis? Ein und dieselbe Arithmetik von "Bruchteiljuden", über Epochen- und Ländergrenzen hinweg?
Der Dissertation von Hering Torres gebührt das Verdienst, eine zum Teil überraschend schmale ältere Diskussion zur Blutreinheit und eine teilweise unübersichtliche Forschungs- und Debattierfläche zum Thema Rassismus sorgfältig geordnet und neu abgearbeitet zu haben.
Rassismus in der Vormoderne: im Zentrum steht die spanische Situation des 15. und 16. Jahrhunderts. Über die Kontextualisierung in die Rassismus-Forschung öffnet der Verfasser jedoch eine klassische "Begriffsgeschichte" Koselleck'schen Zuschnitts erfolgreich auf eine durch Autoren wie Foucault geweitete "Konzeptgeschichte" (253) und führt diese von der Frühen Neuzeit bis in die Moderne herauf.
Fallgeschichten wie ein Kriminalroman aus dem Spanien der Klassik, Wirklichkeit gewordene Alpträume aus dem Reich des Überwachens und Strafens - die plastisch geschriebene und detailtief interpretierende Arbeit rekonstruiert strukturierungsstark die Diskursmechanik jenes 'wirklichkeitserzeugenden' und 'wahrheitsstiftenden' Molochs der Reinheit des Blutes, der leitmotivisch bis in die Gegenwart spanische Identität formierte. Hering Torres zeigt, wie Administration, Jurisdiktion, Theologie, Medizin und Historiographie des frühneuzeitlichen Spanien institutionelle Rede und Wissen über Reinheit und Unreinheit von Abstammung, Herkunft, Rasse und Kaste (linaje, raza, casta) produzieren. Damit scheiden sie freilich nicht nur 'reine' von 'unreinen' Identitäten und Subjekten, sie regeln gleichzeitig deren Nähe oder Ferne zu Macht, Prestige, Reichtum, gesellschaftlicher Teilhabe. "Normen", "Wirklichkeiten" und "Ideengut" der limpieza de sangre funktionieren, so der Autor, als "System" (252) in dem sich formierenden Territorialstaat Spanien mit religiösem, sprachlichem, ökonomischem und politischem Vereinheitlichungsdruck.
Ein Jahrhundert von Zwangskonversionen (1391 bis 1492) konvertierte zugleich das tradierte mittelalterliche 'jüdische Problem' in ein frühneuzeitliches 'neuchristliches Problem' (Kapitel 2) - und damit wird die Gefahr von einer externen zu einer binnenchristlich internen. Die bedrohliche plötzliche Karrierefähigkeit der Neuchristen und ihrer jäh durch Taufe ermöglichten sozialen Mobilität forderte, wie Hering Torres detailliert nachweist, den alten Machteliten die Konstruktion gänzlich neuer Instrumente der Verteilungskämpfe ab: Religion kann nicht mehr, genealogische Reinheit/Unreinheit der Abstammung muss nun Ämterfähigkeit verhindern und soziale Segregation zwischen Altchristen und Neuchristen sichern. Der existenzentscheidende Herkunftsnachweis mit seiner prozeduralen Ordnung wird so zur interessen- und fama-abhängigen sozialen Konstruktion fernab jeglicher 'realer' Nachweismöglichkeit.
Für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts zeigt Hering Torres daher in einer ersten Phase ein dominant juridisches, subsidiär theologisch unterfüttertes Gebäude von "Norm als System der Ausgrenzung" (Kapitel 3). Universitäten, Militärorden und Inquisition sind die zentralen Schauplätze, an denen dann in einer zweiten Phase die "Verbreitung" dieser Rechtsstatuten (Kapitel 4) zum "Monopol von Machtkonzentration" (81) der altchristlichen Gesellschaft von Mitte des 15. bis Mitte des 16. Jahrhunderts ausgebaut wird. Exemplarische Umsetzungen der neuen genealogischen Anforderungen an Herkunft angesichts des realen Verschwindens des Judentums zeigen zwei Fallgeschichten aus Alcalà (Universität) und Henares (Inquisition) (Kapitel 5).
Ab dem ersten Drittel des 16. bis weit über das 17. Jahrhundert hinaus (1835) wird die immer schwieriger werdende klare Abscheidung der Neuchristen von den Altchristen, das Bedürfnis, den "funktionalen", aber "fiktiven" Feind (256) von der Ämterbekleidung auszuschließen - zu einer alltags- und kulturprägenden Obsession des 'einen einzigen Tropfens' unreinen Blutes. Was die Linguistik 'Pragmatik', was die Systemtheorie 'Emergenz' nennt, erzeugt hier einen machtförmigen institutionellen Bedarf an neuartigem Wissen der Distinktion. Die Studie zeigt an ausgewählten Ideologemen, wie die frühneuzeitlichen Varietäten der antiken und mittelalterlichen Humoralpathologie nun der unverändert prioritären Leitdoktrin des theologischen Antijudaismus neue rationale 'Verwissenschaftlichung' zuliefern müssen (Kapitel 6). Die unzureichend gewordenen theologisch konzipierten älteren Diskurse von Kreuzigung, Erbsünde und Kollektivschuld der Juden werden ab jetzt flankiert von den 'besseren' Neukonstruktionen des hereditären und kontagiösen jüdischen Körpers. Eine neue Biologie der Unterscheidung, beruhend auf Blut, Samen, Milch, Menstruation und der 'jüdischen' männlichen Menstruation - den Hämorrhoiden - soll nun die verloren gegangene Sichtbarkeit der Differenz liefern. Ähnlich wie die Kriminalisierungsfälle aus Kapitel 5 erzeugt auch die Inkriminierungsgeschichte der Körpersäfte von Kapitel 6 eine Spannung der Lektüre, für deren stets akribiegebundene Faszination dem Autor uneingeschränkt Lob zu zollen ist.
'Glaubenszeichen' - durch Konversion wertlos geworden - müssen nun auf 'Körperzeichen' umgestellt werden zu einer neuen soziokulturellen Realität von "Pathognostik" (257). Diese - und das ist ein weiteres Verdienst der Arbeit - korreliert aber nun eben nicht nur Juden, Kriminelle und Geisteskranke in ihren Exklusionsmechanismen, sondern auch Frauen und Weiblichkeit. Frei vom Makel (mácula) der Rasse (raza) vergewissern sich dagegen die Altchristen ihrer überständischen Hispanität über die Inklusion der Kaste (casta, castizo).
Die identitätsstiftende Rückprojektion dieser genealogischen Obsession in die Historiographie der altspanischen Gründungsmythen zwischen Gotizismus und Iberismus verfolgt Kapitel 7.
Analogien und Differenzen zum modernen, säkularisierten, durch Evolutionslehre und Biologie verwissenschaftlichten Rassismus arbeitet Kapitel 8. ab. Mit Referenz auf die unbefriedigende Forschungsdiskussion distanziert der Verfasser die limpieza de sangre vom modernen und eliminatorischen Antisemitismus - da funktional nur auf bestimmte Sektoren von Ämterbekleidung erstreckt. Weder 'Vorstufe von' noch 'Bedingung für' (246) moderne Varietäten, wird die frühneuzeitliche spanische Varietät vielmehr in einer sehr pragmatisch-operativen Art und Weise als spezifische "Variable" des changierenden "Chamäleons" Rassismus verstanden (250).
Zusammenfassend erscheint so das System der Blutreinheit als "racialisation" (247): die "theologische Biologisierung einer Gesellschaft, die durch eine genealogische Besessenheit das Feindbild des Juden fiktiv aufrecht erhielt." (260)
Die gelungene suggestive Rekonstruktion dieses geschlossenen Weltbildes, für dessen Kohärenz Nelson Goodmans Ways of Worldmaking eine weitere theoretische Fundierung hätte liefern können, verdankt ihre Qualität nicht zuletzt detailliertester Quellenbewertung vor dem Hintergrund der bisherigen älteren Forschungsdiskussion. Im Gesamtbild der vorliegenden Studie treten Formulierungsschwächen des hispanophonen Autors wie einige konzeptuelle Unschärfen im innertheologischen Bereich der limpieza (Kapitel 6.1) angesichts einer außerordentlich überzeugenden analytischen und darstellenden Leistung zurück.. Wissen, Subjekt, Identität, protonationale Staatlichkeit, Scheitern von Plurikulturalität und nicht zuletzt die Schwäche der monarchischen Zentralgewalt angesichts des kollektiven Fanatismus der vielen 'willigen Helfer': der Nutzen der vorliegenden Studie auch im disziplinenübergreifenden Diskurs mit Literatur- und Kulturwissenschaften ist evident.
Max Sebastián Hering Torres: Rassismus in der Vormoderne. Die "Reinheit des Blutes" im Spanien der Frühen Neuzeit (= Campus Forschung; Bd. 911), Frankfurt/M.: Campus 2006, 292 S., ISBN 978-3-593-38204-3, EUR 34,90
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