sehepunkte 8 (2008), Nr. 11

Alan Sked: Metternich and Austria

Was der Senior Lecturer in International History an der London School of Economics and Political Science vorlegt, ist nicht die große Metternich-Biografie, an der derzeit in vielen Gelehrtenstuben gearbeitet wird. Es ist aber doch mehr als eine kritische Auseinandersetzung mit der umfangreichen Metternich-Literatur. Alles Wesentliche, was über Metternich neuerdings geschrieben wurde, wird vor den Richterstuhl der historischen Kritik zitiert, geprüft und zum größten Teil abgeurteilt. Das Ende der Märchenstunde wird so entschieden und wortgewandt eingeläutet, wie bisher die Schauergeschichten über das Schreckensregiment des 'Systems' verkündet und geglaubt wurden.

Es ist ja nie ein Geheimnis gewesen, dass das Bild des großen Diplomaten und entschiedenen Gegners der Revolution von jenen nationalliberalen und demokratischen Literaten und Historikern geprägt wurde, die in ihm den großen Feind der deutschen und italienischen Einheit sahen, die ihn aber darüber hinaus zum Widersacher gegen jeden Fortschritt schlechthin und damit zum Inbegriff der 'Reaktion' stilisierten. Daran hat sich trotz Heinrich von Srbik und Enno E. Kraehe und trotz neuerer Forschungen über die Wirtschaftsentwicklung und das nationale 'Erwachen der Völker' im österreichischen Vormärz nicht viel geändert.

Man darf also gespannt sein, was einer der profundesten Kenner der Geschichte der Habsburgermonarchie im 19. Jahrhundert zu sagen hat - im Übrigen in einem Text, der sprachlich exzellent, sachlich klar und entschieden und frei von ideologischem Vorurteil ist, versehen mit einer kompakten bewertenden Bibliografie und einem fast erschöpfenden Personen- und Sachregister.

Alan Sked greift zentrale Fragen auf, nach denen er seine Untersuchung gliedert: Welchen Anteil hatte Metternich am Sturz Napoleons? War Metternich in seiner Zeit der leitende Staatsmann Europas? Plante Metternich, das Kaisertum Österreich zu föderalisieren? War Österreich unter Metternich ein Polizeistaat? Unterdrückte Metternichs Österreich die Nationalitäten des Reiches? Hinter diesen, in der Literatur vielfach umstrittenen Hauptfragen verbergen sich Einzelaspekte wie Zensur, Geheimpolizei, Nationalitätenfrage und Wirtschaftsentwicklung. Dass der für Metternich und Österreich zentrale Aspekt der 'orientalischen Frage' nicht eigens artikuliert beziehungsweise in eine weit ausholende Diskussion mit Paul Schroeders opus magnum über den Wandel der europäischen Politik vom System der balance of power zur britisch-russischen Hegemonie verpackt wird, ist eine der kleinen konzeptionellen Schwächen des Buches.

Es ist auf den ersten Blick irritierend, mit welcher Entschiedenheit der Autor die Fragen glattweg mit 'nein' beantwortet. Dass Napoleon nicht von Metternich gestürzt wurde, sondern sich selbst zu Fall gebracht hat, ist nach der jüngsten Publikationswelle anlässlich der Zweihundertjahrfeier der Kaiserkrönung von 1804 evident. Angesichts der Politik Russlands, Großbritanniens und Preußens konnte Metternich an einer Vernichtung Napoleons nicht interessiert sein. Andererseits wusste er, dass angesichts der Herrschaftsziele Napoleons für Österreichs Existenz kein Raum mehr war. Metternich bewunderte Napoleon als das größte Genie, das die Welt bis dahin gesehen hatte, war aber trotzdem stolz darauf, den Welteroberer bezwungen zu haben (35). Metternichs Bedeutung als europäischer Staatsmann bestand nicht darin, dass er der 'Kutscher Europas' war, sondern dass er bis 1848 und noch über die Klippe der Revolution hinweg das System der europäischen Pentarchie zu erhalten vermochte. Erst mit dem Krimkrieg ging dieses System in die Brüche und Österreich zahlte, weil es sich - ganz im Sinne Metternichs - nicht für oder gegen die Westmächte oder Russland entscheiden konnte, die politische Zeche, es wurde zum Spielball der europäischen Großmachtpolitik.

Dass Österreich seine Völker in ihrer kulturellen Entwicklung gehindert habe und nur Gehorsam gegenüber dem Monarchen und dem Staat forderte, kann Sked in Übereinstimmung mit seinem Kollegen Robert J. W. Evans durch den einfachen Hinweis entkräften, dass es für die einschlägigen berüchtigten Aussprüche von Kaiser Franz keinen verlässlichen Quellenbeleg gibt, auch wenn sie von vor allem in der angelsächsischen Welt hoch geschätzten Autoren wie Oscar Jászi zitiert wurden (179). Als 1843 der magyarisch-kroatische Konflikt eskalierte, erklärte Metternich die Wiener Position: "Der Teufel hat zwei Köpfe - den Illyrismus und den Magyarismus - daher kann es dem Kaiser nicht genügen, sich gegen einen zu erklären. Er muss beiden widerstehen." (231 f.)

Dass Metternich ein entschiedener Gegner der Revolution, des ständischen und bürgerlichen Liberalismus, der Pressefreiheit und der Demokratieforderungen seiner Zeit war, lässt sich, wie manches andere, nicht bestreiten. Nur, welchen Stellenwert das in einer Epoche hatte, in der in Großbritannien und Frankreich drei Prozent der Bevölkerung wahlberechtigt waren, und womit er diesen Widerstand begründete, das ist die eigentliche Frage. Sein geistiger Vorgänger und Verbündeter William Pitt d.J. hat schon zu Beginn des Zeitalters der Revolution 1793 - Edmund Burke zitierend - im Londoner Parlament zum Ausdruck gebracht, worum es auch Metternich ging: um den Kampf gegen den physischen und psychischen Terror einer terroristischen-totalitären Minderheit, die sich anmaßte, den Willen der Nation zu vertreten (5). Metternich hat diesen Kampf gegen den Zeitgeist verloren, ob er im Blick auf eine fernere Zukunft Unrecht hatte, steht auf einem anderen Blatt.

Diesem Misserfolg Metternichs gegenüber dem Zeitgeist stellt Alan Sked eine historisch-politische Zwischenbeurteilung entgegen, die er als main points seiner evaluation folgendermaßen formuliert: "[...] that Metternich was the most important and successful diplomat of his time and that while he was in office after 1815 the Habsburg Monarchy experienced three decades of peace, prosperity, stability, cultural renewal and economic transformation." (246)

Rezension über:

Alan Sked: Metternich and Austria. An Evaluation, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007, 306 S., ISBN 978-1-4039-9115-7, GBP 16,99

Rezension von:
Helmut Rumpler
Klagenfurt / Wien
Empfohlene Zitierweise:
Helmut Rumpler: Rezension von: Alan Sked: Metternich and Austria. An Evaluation, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 11 [15.11.2008], URL: https://www.sehepunkte.de/2008/11/13694.html


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