Sabine Kampmann zeichnet in ihrer Arbeit, die zugleich die Publikation ihrer Braunschweiger Dissertation von 2005 ist, anhand von vier ausgewählten Beispielen die Produktion von Autorschaft in der bildenden Kunst der Gegenwart nach.
Nach einem einleitenden allgemeinen Teil gliedert sich die Arbeit in zwei große Hauptteile. Der erste setzt sich theoretisch, der zweite praktisch mit dem "Künstler sein" auseinander. Die besondere Schreibweise verweist programmatisch auf den prozesshaften und nicht ontologischen Charakter des "Künstler seins", das laut Kampmann "immer auch ein Gemacht-Werden und Sich-Selber-zum-Künstler-Machen ist." (8) Künstler- und Autorbegriff werden dabei synonym verwendet.
Ausgehend von einem Werk Valie Exports wird das methodische Defizit der Kunstgeschichte in der Beschreibung und Analyse autorschaftsreflexiver Kunstwerke vorgeführt. Es ist das erklärte Ziel der Autorin, ein Theorieangebot zu schaffen, mit dem nicht nur das Kunstwerk, sondern auch die Kunstgeschichte sowie die verschiedenen gesellschaftlichen Kontexte und schließlich der Künstler selbst in ihrem Wechselverhältnis unter Einbeziehung von Bild- und Textebenen analysiert werden können. Aufgrund ihrer besonderen Rolle bezüglich der Konstituierung von Autorschaft liegt ein spezieller Fokus auf der Kategorie Geschlecht und damit der genderorientierten Forschung.
Der erste Teil bietet einen guten Überblick über die Auseinandersetzungen mit künstlerischer Autorschaft innerhalb der Kunstgeschichte, insofern sie in Beziehung zur zeitgenössischen Kunst zu setzen sind. Kampmann knüpft damit an eine Reihe bereits bestehender Überblicke an [1], erweitert diese jedoch um die Frage nach Autorschaft in der Geschlechterforschung ebenso wie um die Diskussion über das Subjekt der Kunst in der Moderne, allerdings überwiegend aus systemtheoretischer Perspektive.
Anschließend an die Kritik der bisherigen Untersuchungen klärt Kampmann die theoretischen Grundlagen ihrer eigenen Analyse. In Anlehnung an das, vor allem von Gerhard Plumpe, Niels Werber und Ingo Stöckmann, auf die Literaturwissenschaft angewandte Konzept von Niklas Luhmanns "polykontexturaler Autorschaft" [2], greift Kampmann das systemtheoretische Modell auf (16). Sie erläutert es und wendet es, nach einer kurzen Diskussion bereits bestehender Übertragungen systemtheoretischer Ansätze auf die Kunstgeschichte, auf ihren eigenen Gegenstandsbereich an.
Es sind vor allem zwei Aspekte der Luhmann'schen Systemtheorie, die Kampmann für ihre Untersuchung heranziehen möchte: Die Beschreibungsmöglichkeiten dieser "Kommunikationen gesellschaftlicher Systeme", als einzig beobachtbare Elemente und den damit verbundenen "polykontexturalen Fokus", der unterschiedliche Beobachtungsperspektiven verbindet, sodass der Künstler nicht nur innerhalb des Kunstsystems betrachtet wird, sondern auch seine unterschiedlichen Wahrnehmungen in seiner Umwelt berücksichtigt werden können. In ihrer Darstellung gelingt es der Autorin, die abstrakte und von unhandlichen Begriffen geprägte Theorie Luhmanns in dem für die Untersuchung relevanten Rahmen auch für Unkundige der Systemtheorie überzeugend und verständlich darzustellen und an Beispielen der bildenden Kunst anschaulich zu erläutern. Was Kampmann dabei leider unterschlägt ist die Auseinandersetzung mit der bestehenden Kritik an der Systemtheorie Luhmanns. [3]
Der zweite Teil der Arbeit untersucht anhand von ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern die Ausformungen und Reflexionen von künstlerischer Autorschaft in der Kunst des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Wichtig ist Kampmann dabei die Parallelität unterschiedlicher Modelle von Autorschaft sowie der Prozesse, die diese hervorbringen. Mit Christian Boltanski, Eva & Adele, Pipilotti Rist und Markus Lüpertz wurden Künstlerinnen und Künstler ausgesucht, die ihre eigene künstlerische Identität in ihren Werken oder anderen Medien thematisieren. Kampmann greift dazu vor allem Arbeiten der genannten Künstler aus den 1980er und 1990er Jahren heraus. Das zuvor erläuterte Luhmann'sche Instrumentarium der Beobachtung wird auf diese Werke, ihre Rezeption, sowie Aussagen der Künstler angewandt. Bei der Analyse der Beispiele geht es der Autorin darum, nicht nur die kunstwissenschaftlichen Untersuchungen der Werke und Künstler zu berücksichtigen, sondern ebenso andere Umwelten mit einzubeziehen, wie die populäre Rezeption, Fotografien oder Vorstellungen, die der Kunstmarkt oder Gerichtsurteile über die Künstler verbreiten.
Die Eröffnung neuer Forschungsfelder und Perspektiven für die Analyse und Interpretation der Werke dieser Künstler steht dabei nicht im Vordergrund. Was die Anwendung von Luhmanns "Beobachtertheorie" (235) vor allem leistet, sind funktional-strukturelle Beschreibungsmöglichkeiten für die unterschiedlichen Prozesse und Bezüge. Damit kann einerseits die besondere Art der Kommunikation der Kunst selbst deutlich gemacht werden, wie sie im Rahmen des Systems Kunst funktioniert. Gleichzeitig ermöglichen die deskriptiven Kategorien die Integration verschiedener fachwissenschaftlicher wie auch nicht-wissenschaftlicher Erkenntnisse innerhalb eines Gesamtsystems.
Trotz der Unterschiedlichkeit der ausgewählten künstlerischen Positionen stellt Kampmann Konstanten in der Produktion von Autorschaft fest. Zum einen sind dies die Künstlerbiografie und die Vorstellungen des Verhältnisses von Leben und Werk. Beispielsweise konstatiert sie für Christian Boltanski die Inszenierung des eigenen Verschwindens, das neben dem eigentlichen "Werk" auch die künstlerische Biografie sowie Interviews mit Wissenschaftlern umfasst. Dieses künstlerische Konzept, das jegliche Fixierung seiner Identität unterläuft, kann nach Kampmann nur erfolgreich existieren, da es an einen autorschaftsreflexiven Diskurs - oder mit Luhmann an ein "Programm" - anschließt, der sich seit den 1960er Jahren in der Kunst wie Kunstwissenschaft etabliert hat. Im Vergleich dazu stellt die Autorin für das Künstlerduo Eva & Adele einen noch offensiveren Umgang mit dem Thema der Künstlerbiografie fest, da beide Künstler eindeutige Aussagen über ihr Verhältnis von Leben und Werk konsequent verweigern. Ganz im Gegensatz zu Markus Lüpertz, bei dem Kampmann einen positiv-affirmativen Einsatz von bekannten Topoi der Künstlerbiografie identifiziert.
Als weitere Konstanten hält Kampmann vor allem die "Dominanz der Subjektvorstellung" sowie die "Topik von Filiation und Genealogisierung" fest (236). Einen geschlechtsspezifischen Unterschied des "Künstler seins" sieht Kampmann im Unterschied der diskutierten Themen bei der Generierung von Autorschaft durch Kommunikation, etwa das "Frau-Sein" oder Bezüge zu feministischen oder postfeministischen Positionen. So stehen am Ende von Kampmanns Untersuchung anstatt eines bestimmten Künstlertypus' die Vielfalt und die unterschiedlichen Prozesse der Hervorbringung als das Typische des "Künstler seins". Und damit wird die systemtheoretische "polykontexturale Beobachtungsperspektive" (235) selbst zur Antwort auf die Ausgangsfrage nach dem, was ein Künstler sei: Ein Weg, um jenseits einer subjektzentrierten Vorstellung über diese vielfältigen Prozesse zu sprechen und zu schreiben.
Insgesamt hat Kampmann mit ihrer Arbeit einen wichtigen methodischen Beitrag zur Kunstgeschichte auf hohem theoretischem Niveau geleistet. Ihr gebührt das Verdienst, die Systemtheorie Luhmanns für den wissenschaftlichen Umgang mit Kunst und den damit zusammenhängenden Prozessen und Phänomenen, wie das "Künstler sein", an unterschiedlichen Beispielen des späten 20. Jahrhunderts überzeugend vor Augen geführt zu haben. Damit hat sie die Systemtheorie über die bereits bestehenden Ansätze hinaus für die Kunstgeschichte in umfassender Weise fruchtbar gemacht. Kampmanns abschließende Aufforderung zu einem neuen Projekt einer "systemtheoretischen Kunstwissenschaft" und der Weiterentwicklung der einzelnen systemtheoretischen Kategorien lässt auf eine breitere Anwendung dieses Ansatzes in der Kunstgeschichte hoffen.
Anmerkungen:
[1] Michael Wetzel: Autor/Künstler, in: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 1, hg. von Karheinz Barck u.a. Stuttgart, Weimar 2000; Fotis Jannidis / Gerhard Lauer / Matias Martinez / Simone Winko (Hgg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen 1999.
[2] Siehe beispielsweise Gerhard Plumpe / Niels Werber: Beobachtungen der Literatur. Aspekte einer polykontexturalen Literaturwissenschaft, Opladen 1995; Niels Werber / Ingo Stöckmann: Das ist ein Autor! Eine polykontexturale Wiederauferstehung, in: Henk de Berg / Matthias Prangel (Hgg.): Systemtheorie und Hermeneutik, Tübingen 1997, 233-262.
[3] Siehe beispielsweise Gerhard Plumpe / Niels Werber: Umwelten der Literatur, in: dies. 1995, 9-33, sowie die Artikel zu unterschiedlichen Aspekten in: Peter-Ulrich Merz-Benz / Gerhard Wagner (Hgg.): Die Logik der Systeme. Zur Kritik der systemtheoretischen Soziologie Niklas Luhmanns, Konstanz 2000, und in Hans-Joachim Giegel / Uwe Schimank (Hgg.): Beobachter der Moderne - Beiträge zu Niklas Luhmanns "Die Gesellschaft der Gesellschaft", Frankfurt a.M. 2003.
Sabine Kampmann: Künstler sein. Systemtheoretische Beobachtungen von Autorschaft: Christian Boltanski, Eva & Adele, Pipilotti Rist, Markus Lüpertz, München: Wilhelm Fink 2006, 269 S., ISBN 978-3-7705-4356-4, EUR 34,90
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