2007 beschäftigte sich erstmals eine Ausstellung mit der nationalsozialistischen Militärjustiz und ihren Opfern. [1] Zusätzlich ist ein Begleitband der bis mindestens 2010 zu sehenden Wanderausstellung unter Herausgeberschaft der Projektleiter erschienen. Ziel ist es, "auf das Schicksal der Opfer der Militärjustiz aufmerksam zu machen", ihnen "einen Platz in der Erinnerung zu schaffen" und das Wirken der Kriegsgerichte darzulegen (8, 12). Das erinnerungspolitische und widerstandsgeschichtliche Interesse spiegelt sich in einem Schwerpunkt auf biographischen Zugängen zu den Verurteilten und Verantwortlichen wider, die zur Wehrmachtjustiz in Bezug gebracht werden.
Die Publikation gliedert sich in zwei Sektionen: Teil I enthält sechs kurze Fachbeiträge, die sich mit den einzelnen Themenkomplexen der Ausstellung vertiefend beschäftigen. Angefangen bei den Grundlagen, Funktions- und Wirkungsweisen der Wehrmachtjustiz, ihren Hinrichtungspraktiken und einer Topographie der Exekutionsstätten reicht ihre Bandbreite bis zu biographischen Fallbeispielen, einer Akteursstudie und zwei ersten Vergleichen zwischen der US-amerikanischen und NS-Kriegsgerichtsbarkeit sowie der Entschädigungspolitik in der DDR und BRD nach 1945. Vorangestellt sind ein Vorwort von Wolfgang Benz, ein Einleitungstext von Ulrich Baumann und Magnus Koch sowie die Eröffnungsrede von Ludwig Baumann, dem Vorsitzenden der mit den Ausstellungsmachern eng kooperierenden "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz". Baumann schildert seine persönlichen Erfahrungen mit der Militärgerichtsbarkeit und ihrem Strafvollzug im Zweiten Weltkrieg sowie die langwierigen Bemühungen der 1991 gegründeten Bundesvereinigung um die Rehabilitierung der Opfer.
Teil II dokumentiert die wesentlichen Teile der Ausstellung anhand kurzer Texte sowie zahlreicher abgedruckter Exponate, Quellen, Fotos und Karten. Den Schwerpunkt bilden 14 Fallgeschichten von Männern und Frauen, die zum Tode oder zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt wurden. Darüber hinaus finden sich hier Basisinformationen zur Geschichte der Militärjustiz zwischen 1871 und 1945, ihren Rechtsnormen sowie zur Bilanz und Topographie des Justizsystems. Die zentralen Akteure der Wehrmachtjustiz auf der übergeordneten Ebene, aber auch auf Divisionsebene mit Blick auf ihre jeweiligen Lebenswege in der Nachkriegszeit werden ebenfalls vorgestellt. Neben einem Abschnitt zum Kampf um die Rehabilitierung der Opfer behandelt ein Exkurs die Militärjustiz nach 1945 in der Bundesrepublik und in der DDR.
Manfred Messerschmidt stellt präzise die wesentlichen militärrechtlichen Grundlagen und politischen Vorgaben sowie den Aufbau der Wehrmachtjustiz dar. Deutlich wird, wie sich die Militärrichter rasch in den Dienst des Nationalsozialismus stellten, ihre Urteilspraxis sich mit Kriegsverlauf radikalisierte und an Tätertypologien wie "Drückebergern" oder "Versagern" orientierte. Der in rund 30.000 Todesurteilen manifestierte Terror der Militärgerichte galt insbesondere Deserteuren und "Wehrkraftzersetzern".
Ulrich Baumann und Magnus Koch beschreiben detailliert die Verfahren und Schicksale dreier verurteilter Deserteure. Anschaulich dargelegt wird, wie unterschiedlich sich trotz strenger Lenkung die Ermessensspielräume bei der Urteilsfindung für die Richter gestalten konnten. Hierfür spielte nicht nur das Denken in Tätertyp-Schemata eine wichtige Rolle, sondern auch der persönliche Eindruck des Angeklagten vor Gericht, sein ziviles und militärisches Verhalten sowie ideologische und zweckrationale Gründe, etwa die Gewährleistung der Kampfmoral. Die Fluchtmotive von Deserteuren waren oft situationsbedingt und sind heute kaum zu rekonstruieren. Der Umgang mit den Verurteilten kennzeichnete sich nach Kriegsende insbesondere durch Skepsis, Antiheroisierung und Stigmatisierung, da die Legende der "sauberen" Wehrmachtjustiz und die Tabuisierung der Frage nach den Verbrechen der Wehrmacht zu stark wirkten.
Albrecht Kirschner und Michael S. Bryant fragen in dieser Form erstmals vergleichend nach der Entwicklung und Rolle der nationalsozialistischen und US-amerikanischen Militärgerichtsbarkeit. Prägten im deutschen Diskurs das Trauma der Niederlage von 1918 und die Angst vor einer erneuten Revolution alle Beteiligten, so zeigten sich in den USA Konflikte bezüglich der Kontrolle der Militärjustiz unter ziviler oder militärischer Aufsicht. Hier vollstreckten die Militärrichter 146 Todesurteile, doch im Gegensatz zum Nationalsozialismus, konnte ein amerikanischer Soldat im Krieg mit einer fairen justiziellen Behandlung rechnen. Der Vergleich fällt leider etwas kurz aus, bietet aber Anknüpfungsmöglichkeiten für dringend ausstehende Studien im europäisch-internationalen Kontext.
Grundlagenforschung betreibt auch Hans-Peter Klausch, indem er anhand der Hinrichtungsarten und -orte der NS-Militärjustiz der Frage nachgeht, in welchen Fällen und mit welcher Begründung Wehrmachtgerichte die Todesstrafe durch Erhängen, Enthaupten oder Erschießen veranlassten. Sein Ergebnis: je "ehrloser", d.h. je "politischer" die Tat, desto größer war die Gefahr, dass ein Urteil durch die "schmählichste" und ehrloseste Vollstreckungsmethode Erhängen vollzogen wurde (94). Der terroristische Charakter der Militärjustiz zeigt sich nicht allein in der hohen Anzahl vollstreckter Todesurteile, sondern auch im Rückgriff auf die unterschiedlichen Vollstreckungsarten, die eine ideologische Funktion besaßen.
Christoph Rass und René Rohrkamp betreten in ihrem Beitrag zum bislang von der Forschung vernachlässigten Gerichtspersonal ebenfalls Neuland. Sie zeichnen das soziale Gefüge, die Personalstruktur und Karrierewege der Richter nach und ermitteln so Faktoren, welche die Richter und ihre Urteilspraxis stark beeinflusst haben. Der wachsende Bedarf und die hohe Binnenfluktuation einer schnell installierten Institution bedingten die vergleichweise heterogene Zusammensetzung der Gerichte. Ihre Radikalisierung ist indes nicht nur auf den Kriegsverlauf und übergeordnete Dienststellen zurückzuführen, sondern ging auch von den Gerichten selbst aus, deren zentrale Aufgabe, die "konsequente Verwertung von 'Menschenmaterial' im 'Dienste der Kriegsführung'" (111), maßgeblich zur Stabilisierung des Regimes und Funktionsfähigkeit der Wehrmacht beitrug.
Die vergleichende Untersuchung von Sabine Hammer und Christian Stein zeichnet die rechtlichen Grundlagen, Ablauf und Entwicklung der Rehabilitierung von Opfern der NS-Militärjustiz in Ost- und Westdeutschland nach 1945 nach, die zunächst in beiden Staaten von Entschädigungen ausgeschlossen und sozial stigmatisiert wurden. Grundlegend für eine Rehabilitierung war die politische Bewertung der Tat. So wurden "Kriegsdienstverweigerer" in der Bundesrepublik erst ab 1997 nicht mehr von Entschädigungen ausgeschlossen. Erst 2002 einigte sich der Bundestag auf eine pauschale Rehabilitierung der Opfer, nimmt jedoch Verurteilungen aufgrund des Straftatbestands "Kriegsverrat" bis heute davon aus, wogegen sich die Autoren aussprechen. In der DDR bestand bis 1975 die Möglichkeit, als "Verfolgter des Naziregimes" anerkannt zu werden; falls das "politische Wohlverhalten" angezweifelt wurde, konnte diese aber auch rückgängig gemacht werden.
Der Band bietet sich hervorragend als Einstieg in das komplexe Themenfeld der Wehrmachtjustiz an, leistet vielfach Grundlagenarbeit und benennt präzise Desiderate. Der Aufbau der Beiträge hätte stellenweise vereinheitlicht werden können - so stören Redundanzen (etwa die häufigen Hinweise auf die Bilanz der Todesurteilpraxis und die rechtlichen Normen der Militärjustiz) den Lesefluss und führen zu Unstimmigkeiten hinsichtlich der Zahlenangaben (etwa der Vollstreckungsquote von Todesurteilen, 32, 63, 90) und mitunter fehlenden Belegen. Zu Recht weisen die Herausgeber darauf hin, dass die gefällten Todesurteile weniger als ein Prozent der militärgerichtlichen Spruchpraxis ausmachte (11/12). Das Gros der alltäglichen Gerichtstätigkeit betraf Eigentums- und Ungehorsamsdelikte.
Der Begleitband einer Ausstellung ist sicher nicht im Stande, die Problematik, "die fürchterliche Bilanz der Wehrmachtgerichte einem differenzierten Blick auf einzelne Gerichte, Schauplätze, Kriegsphasen und Akteure" breit gegenüberzustellen (63). Dennoch wurde die Chance vertan, auch diese Urteilspraxis wenigstens kurz exemplarisch darzustellen und auf Unterschiede zwischen Ost- und Westfront sowie Binnendifferenzierungen zwischen Marine / Luftwaffe / Heer - Ersatzheer einzugehen. So entsteht bei der Lektüre an manchen Stellen der Eindruck, Todesurteile und Entfernungsdelikte hätten das Gros der militärgerichtlichen Tätigkeit ausgemacht. Ebenso wünschenswert wäre es gewesen, weiter nach den verschiedenen Gruppen von Angeklagten und Delikten zu unterscheiden (z.B. Zwangsrekrutierte, religiös Verfolgte, Österreicher bzw. Sexual- und Kriegsverratdelikte), zu denen bereits Studien existieren. Der wichtige Komplex "Strafvollzug" fehlt als eigener Beitrag leider völlig. Dies schmälert aber nicht die grundsätzliche Leistung der ansprechend gestalteten Publikation, die das Schicksal der Opfer der Militärjustiz umfassend darstellt und Grundwissen zur Wehrmachtjustiz vermittelt. Wichtige Impulse liefert sie für die kritische Erforschung der Militärgerichtsbarkeit, indem sie offene Forschungsfragen formuliert und bisher vernachlässigte Bereiche, etwa zum Personal und zu Vergleichsperspektiven der Justiz, thematisiert.
Anmerkung:
[1] Vgl. ausführlich hierzu die Ausstellungsbesprechung von Claudia Bade, in: H-Soz-u-Kult, 28.07.2007, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=52&type=rezausstellungen.
Ulrich Baumann / Magnus Koch / Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Hgg.): "Was damals Recht war ...". Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, Berlin: BeBra Verlag 2008, 264 S., ISBN 978-3-89809-079-7, EUR 19,90
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