Mit der im Jahr 2007 erschienenen Saarbrücker Dissertationsschrift präsentiert die Historikerin Gesine Carl einen weiteren Beitrag zur neueren Konversionsforschung. [1] Ihre Untersuchung bezieht sich auf sogenannte Konversionserzählungen, d.h. autobiografische und biografische Texte von und über Personen, die im 17. und 18. Jahrhundert vom Judentum zum Christentum konvertierten (12). Sie nutzt dabei einen Korpus von 35 Quellen, in denen neun Konvertitinnen und 32 Konvertiten namentlich erwähnt werden, die dem Römischen Reich, Polen-Litauen und der Habsburgermonarchie entstammten und den Übertritt zu unterschiedlichen christlichen Konfessionen, hauptsächlich zum Luthertum, in den meisten Fällen außerhalb ihres Lebensumfeldes vollzogen (78ff). Carl verortet ihre Studie im Grenzgebiet zwischen Geschichts- und Literaturwissenschaft (18) und verschreibt sich der Methode des "zwischen den Zeilen"-Lesens, um so nicht nach den "wirklichen" Gründen der Konversion, sondern nach der Wahrnehmung von Konversionen und Konvertiten zu suchen (19). Dazu bedient sich Carl eines umfassenden Fragenkatalogs, den sie auf die Konversionserzählungen anwendet, um den Leuten genau "zuhören" zu können (538).
Ihr Hauptziel besteht darin, die Verankerung der beschriebenen Personen in verschiedenen Beziehungsnetzen zu untersuchen. Außerdem unterzieht sie die Konversionserzählungen einer Analyse, um herauszufinden, ob diese zu einer Neusituierung in diesen Netzen beigetragen haben (15). Weiterhin wird gefragt, ob die Konvertiten auch nach der Taufe Grenzgänger blieben, die in einer Art Zwischenwelt lebten (14). Dabei bezieht sie sich auf die beiden bereits zu diesem Thema erschienenen Forschungsarbeiten von Johannes Graf und Elisheva Carlebach. [2] Zum einen möchte sie die unter anderem von Carlebach vertretene These untersuchen, dass sich Konvertiten ihrer Schlüsselstellung zwischen beiden Religionen bewusst waren und es als zentrale Aufgabe betrachteten, selbst zu weiteren Konversionen beizutragen (16). Zum anderen soll Carls Studie die von Graf aufgestellte Verallgemeinerung differenzieren, welche von einer schematisierten Gestaltung der Konversionserzählung ausgeht, die dazu führe, dass man nach der Lektüre einer einzigen alle kenne (18). Des Weiteren weist die Autorin auf die Definitionsprobleme des Phänomens der Konversion hin (12).
Zunächst geht Carl auf die Geschichte der Konversionen von Juden zum Christentum bis zum Ende der Frühen Neuzeit, den Forschungsstand und die Quellenlage ein (25-40), um sich dann dem Konversionsbegriff zu widmen, welchem sie ein kompliziertes Nebeneinander unterschiedlicher Definitionen bescheinigt (41-51). Sie beschreibt die Geschichte der Konversionsforschung unter besonderer Berücksichtigung religionssoziologischer und religionspsychologischer Ansätze und hebt hervor, dass der sogenannte "linguistic turn" die Aufmerksamkeit auf die Konversionserzählungen als kommunikative Rekonstruktion der Konversion lenkte (51-77). [3]
Ihre eigene Analyse gliedert Carl in zwei umfangreiche Teile. Im ersten Teil (78-237), der 41 Konversionsfälle vergleicht, erörtert sie einzelne Aspekte wie die geografische und zeitliche Verteilung, die Altersstruktur, den sozialen Hintergrund, den Konversionsprozess, das Leben nach der Taufe, die Reaktionen von Juden, Begegnungen mit Christen und anderen Konvertiten. Anschließend beschreibt Carl die Adressaten und Textgestaltung der Konversionserzählung und die Schreibmotive der Autoren.
Im zweiten Teil (238-526) werden die oben genannten Aspekte an einer Fallstudie untersucht. Hierfür greift sie auf die zweiteilige Autobiografie des aus Ungarn stammenden jüdischen Konvertiten Christian Salomon Duitsch (1734-1795) zurück, der am 25. Juni 1767 in einer reformierten Kirche in Amsterdam getauft wurde und nach einem Theologiestudium seit 1777 bis zu seinem Tod in Mijdrecht als Pfarrer tätig war. Zur Analyse des Konversionsprozesses von Duitsch bezieht sie die bereits vorausgegangenen Untersuchungen zu seiner Person mit ein, insbesondere die des niederländischen Duitsch-Forschers Jacob Haitsma (243). Zusätzlich werden die verschiedenen Ausgaben der Autobiografie, weitere Werke Duitschs, die ihn als Autor theologischer Werke präsentieren, und zeitgeschichtliche Quellen berücksichtigt.
Bezüglich der verschiedenen Beziehungsnetze arbeitet die Autorin heraus, dass Juden vor ihrer Auseinandersetzung mit dem Christentum gut bis sehr gut im Umfeld ihrer Herkunftsreligion integriert waren. Nachdem der Wunsch nach einem Glaubenswechsel öffentlich wurde, konnten sich die innerjüdischen Beziehungen zum Teil erheblich verschlechtern, wenngleich es vereinzelt auch zu moderaten Reaktionen kam (531). Der Kontakt zu Christen war laut Carl von so besonderer Bedeutung, dass manche Konversionen ohne einen Austausch, insbesondere mit Gesprächspartnern, die über ein umfangreiches Wissen über das Judentum und genügend Zeit und Geduld verfügten, gar nicht zustande gekommen wären. Dass die Beziehungen zu den Christen nach der Konversion noch an Bedeutung gewannen, ist der Tatsache geschuldet, dass Konvertiten im hohen Maße von deren Bereitschaft abhängig waren, sie in der christlichen Mehrheitsgesellschaft aufzunehmen und weiter zu fördern und zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund können die Konversionsautobiografien auch als Selbstrechtfertigung und Selbstempfehlung gelesen werden (532ff.). Die Kontakte zu anderen Konvertiten lassen sich nicht in allen Quellen nachweisen und waren auch nicht alleiniger Auslöser einer Konversion, sondern dienten eher der Orientierung und als emotionaler Beistand. Auch nach der Taufe kam es zu keinem Verständnis dafür, sich als Teil einer Gemeinschaft von Konvertiten zu verstehen (533ff.).
Der Autorin gelingt es in besonderer Weise, Verallgemeinerungen Grafs zu widerlegen und auszudifferenzieren (z.B. 143, 219-222 und 248). Dessen Behauptung, dass Konversions-(Auto-)Biografien standardisiert und stereotyp seien, setzt sie die große Bandbreite an Schreibmotiven und Funktionen der Texte entgegen (536). Die bereits von Carlebach aufgeworfene Frage, ob Konvertiten nach der Taufe weiter als Grenzgänger in einer Zwischenwelt lebten, beantwortet Carl tendenziell mit ja, wenngleich eine erschöpfende Beantwortung nicht möglich ist, da nicht alle Konvertiten Auskunft über ihre nachkonversionelle Phase gegeben haben. Es lässt sich aber feststellen, dass es nach der Taufe weiter zu Nachstellungen und Verleumdungen der ehemaligen Glaubensgenossen kam und die neue christliche Lebensgemeinschaft weiterhin skeptisch blieb, sodass eine vollständige Integration häufig nicht zustande kam (534f.).
Carl kann durch die Fokussierung auf Konversionsberichte ihrem Anspruch, die Studie zwischen der Literatur- und Geschichtswissenschaft anzusiedeln, nur teilweise gerecht werden. Hier wären eine breitere politische und soziale Kontextuierung und die Suche nach weiteren, insbesondere handschriftlichen Quellen wünschenswert gewesen. So wird es in Zukunft nötig sein, Konversionsberichte jüdischer Konvertiten in einem größeren Zusammenhang zu betrachten, der sowohl eine breitere Quellenbasis nutzt als auch Glaubenswechsel von anderen Religionen zum Christentum sowie innerchristliche Konversionen vergleichend analysiert. Was ihre Studie unmissverständlich zum Ausdruck bringt, sind die Grenzen der religionssoziologischen und -psychologischen Definitionsversuche zum Phänomen der Konversion in der Frühen Neuzeit. Auch Carl ist nicht in der Lage, eine neue Definition zu bieten, die diesem Zeitraum gerecht wird. Hier zeigt sich einmal mehr, dass Forschungsarbeiten zu dieser Geschichtsepoche eigene Begriffsbestimmungen benötigen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. u.a. Aschkenas - Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 15/2005 (Themenschwerpunkt: Juden - Christen - Christen-Juden. Konversionen in der Frühen Neuzeit); Ute Lotz-Heumann / Matthias Pohlig / Jan-Friedrich Missfelder (Hgg.): Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit, Gütersloh 2007 und Martin Mulsow / Richard H. Popkin (Hgg.): Secret Conversions to Judaism in early modern Europe, Leiden 2004.
[2] Johannes Graf: Judaeus conversus. Christlich-jüdische Konvertitenautobiografien des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1997 und Elisheva Carlebach: Divided Souls: Converts from Judaism in Germany, 1500-1750, New Haven/London 2001.
[3] Walter M. Sprondel: "Wissen - Orientierung - Handlung. Subjektives Erlebnis und das Institut der Konversion", in: Soziologie und gesellschaftliche Entwicklung. Verhandlungen d. 22. Dt. Soziologentages in Dortmund, hg. von Burkart Lutz, 1984, Frankfurt a.M. 1985, 549-558; Thomas Luckmann: "Kanon und Konversion", in: Kanon und Zensur. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation II, hg. von Aleida Assmann / Jan Assmann, München 1987, 38-46 und Bernd Ulmer: "Konversionserzählungen als rekonstruktive Gattung. Erzählerische Mittel und Strategien bei der Rekonstruktion eines Bekehrungserlebnisses" in: Zeitschrift für Soziologie, 17 (1988), 19-33.
Gesine Carl: Zwischen zwei Welten? Übertritte von Juden zum Christentum im Spiegel von Konversionserzählungen des 17. und 18. Jahrhunderts (= TROLL. Tromsøer Studien zur Kulturwissenschaft; Bd. 10), Hannover: Wehrhahn Verlag 2007, 571 S., ISBN 978-3-86525-069-8, EUR 34,00
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