Im Jahr 62 n.Chr. redigierte in Rom eine von Kaiser Nero bestellte, außerordentliche Kommission zur Verwaltung der Vectigalia das sogenannte Zollgesetz der Provinz Asia. Der aus dieser Arbeit entstandene Gesetzestext wurde in der Provinzhauptstadt Ephesos in einer griechischen Übersetzung als Inschrift auf Stein veröffentlicht, die im Jahr 1976 als in der Johanneskirche von Ephesos verbaute Spolie wiederentdeckt wurde. Das in 155 Zeilen erhaltene Gesetz enthält eine Vielzahl von Regelungen zur Erzielung und Verwaltung von Zolleinnahmen in der römischen Provinz Asia, etwa zur Höhe der zu leistenden Zollabgaben, zu den Rechten und Pflichten der Zollpächter und zu den Formalitäten an den Zollstationen. Sein ältester Kern geht bis in die Zeit der Einrichtung der Provinz seit 129 v.Chr. zurück und greift in Teilen gar das Zollwesen der attalidischen Königszeit auf. Zwischen 75 v.Chr. und 62 n.Chr. wurde das Gesetz durch verschiedene Zusätze erweitert. Die Inschrift bekundet damit nicht nur zentrale Aspekte römischer Fiskalgeschichte für einen Zeitraum von annähernd zwei Jahrhunderten, sondern dokumentiert auch den Übergang eines hellenistischen Königreiches in römische Herrschaft.
Im Jahr 1989 lag schließlich die Erstedition dieser Inschrift vor. [1] Das vorliegende Buch ist die Synthese intensiver Forschungsarbeit, die während der letzten beiden Jahrzehnte an dieser Inschrift geleistet wurde. Seine Entstehung geht auf ein Kolloquium zurück, das von den Herausgebern und den am Buch beteiligten Autoren vom ersten bis zweiten Oktober 1999 am Oxford University Centre for the Study of Ancient Documents abgehalten wurde.
Nach einer präzisen Einführung in den historischen und rechtlichen Charakter der Inschrift (1-13) umfasst ein erster Abschnitt synoptisch eine auf Revision des Textes anhand des Steines in Ephesos und der Abklatsche basierende Neuedition des Zollgesetzes der Provinz Asia mit englischer und lateinischer Übersetzung (15-86), gefolgt von einem umfangreichen Zeilenkommentar (87-164).
Der Text wird in der von den Erstherausgebern vorgenommenen Paragrapheneinteilung präsentiert. Nach jeder Textzeile wird in Petit-Druck ein zur jeweiligen Zeile gehöriger kritischer Apparat eingeschoben. Dies führt zu Unübersichtlichkeit, da der griechische Text damit stets unterbrochen wird und nicht leicht in größeren Sinnabschnitten erfassbar ist. Bei einer Inschrift, bei der der Beginn beinahe jeder Zeile einer Ergänzung bedarf und entsprechend viele Varianten in der Forschung diskutiert wurden, erscheint diese Vorgehensweise aber durchaus angezeigt. Sie zwingt den Leser zur steten Reflexion über die Textgestalt, über die es bei einem Dokument, bei dem mit ca. 25% Textverlust zu rechnen ist (166), keine letzte Sicherheit geben kann. Eine wesentlich deutlichere typografische Unterscheidung von Text und Apparat wäre aber wünschenswert gewesen. Die dem Text beigegebenen Fotos sind von guter Qualität, aber durchwegs sehr klein. [2]
Der gut verständlichen englischen Übertragung eignet eine große Nähe zum griechischen Text. Zieht man in Betracht, dass die in diesem Band präsentierte und eine von D. Knibbe vorgelegte lateinische Übersetzung [3] an kaum einer Stelle zu Übereinstimmungen kommen, stellt sich aber die Frage, ob die Rückgewinnung einer hypothetischen lateinischen Originalfassung (23) des Gesetzes überhaupt möglich ist.
Der Zeilenkommentar wurde von den Herausgebern M. Cottier, M.H. Crawford, C.V. Crowther, J.-L. Ferrary, B.M. Levick, O. Salomies und M. Wörrle erstellt, die je einzelne Abschnitte des Textes bearbeiteten. Dabei werden größeren, zusammengehörigen Sinnabschnitten in der Inschrift kurze Einführungen vorangestellt. Zudem werden stets zusammenfassende Zwischenüberschriften gesetzt, sodass sich eine klare und nachvollziehbare Gliederung ergibt.
Ein zweiter Abschnitt enthält fünf aus dem Kolloquium in Oxford hervorgegangene, für die Publikation überarbeitete Beiträge, die sich mit verschiedenen inhaltlichen Aspekten der Inschrift auseinandersetzen und sie in einen breiten historischen Rahmen einordnen (165-311). Angesichts der Masse der dort diskutierten Fragestellungen können im Folgenden nur grobe Grundlinien skizziert werden.
Den Auftakt bildet eine Abhandlung von S. Mitchell (165-201), der die Inschrift unter dem Aspekt der historischen Geographie auswertet. So enthält der Text eine Vielzahl an Informationen zur Lage von Zollstationen, der Binnengliederung der Provinz Asia und zu angrenzenden Regionen. Unter der Prämisse, dass die politischen Grenzen der Provinz stets einen einheitlichen Zollbezirk bildeten - für andere Annahmen lässt das Zollgesetz keinen Raum (167-169) -, zeichnet er die territoriale Entwicklung der Provinz nach, die zu Beginn das gesamte attalidische Königreich umfasste und vom Bosporus bis nach Pamphylien reichte. Aus seinen Ergebnissen leitet Mitchell Ergänzungsvorschläge für strittige Stellen im Präskript der Inschrift ab. Auffällig ist dabei, dass die von Mitchell erarbeiteten Ergebnisse in der Regel nicht in den Text der Edition aufgenommen wurden.
In den Beiträgen von M. Corbier (202-235) und D. Rathbone (251-278) wird die Inschrift in den Kontext kaiserlicher Finanzpolitik der julisch-claudischen Zeit und der Finanzverwaltung des römischen Reiches gestellt. Im Vordergrund stehen die von den Kaisern Claudius und Nero durchgeführten Reformen in der Verwaltung des römischen Staatsschatzes, dem Aerarium Saturni, sowie die Frage, inwieweit die Publikation des Zollgesetzes mit den im Jahr 58 n.Chr. getätigten Reformen Kaiser Neros in Verbindung steht, die Missbräuche bei der Erhebung indirekter Steuern verhindern sollten.
Mit der Entstehungsgeschichte des Textes, in dessen ältestem Kern er die Lex Sempronia von 123 v.Chr. vermutet, und den damit verbundenen legislativen Vorgängen befasst sich G.D. Rowe (236-250). Er untersucht, welche Rolle Comitien, Senat, Kaiser und Magistrate bei der Entstehung der nach 75 v.Chr. angefügten Zusätze spielten und charakterisiert den römischen Staat als einen reaktiven, der Initiativen von Provinzialen und Steuerpächtern aufgriff. Auch die Publikation des Gesetzes vor Ort auf Stein führt der Autor auf das Engagement der Polis Ephesos zurück.
In einem abschließenden Beitrag vermag O. van Nijf (279-311) das von den literarischen Quellen gezeichnete Bild der Zollpächter, die vor Ort für die Erhebung der Abgaben sorgten, zu modifizieren. Gilt der Zollpächter bei den antiken Autoren als verachtenswert und unwürdig, so zeigen die im Zollgesetz überlieferten Realien, papyrologische Dokumentation und Grabinschriften einen Berufsstand, der sich seiner Befugnisse als Vertreter des römischen Staates deutlich bewusst war und der sich dementsprechend stolz repräsentierte.
Der Band schließt mit einer Bibliografie (312-327) und einem umfangreichen Register (328-370).
Mit diesem Buch wurde eine vorbildliche Edition des Zollgesetzes der Provinz Asia vorgelegt, die insbesondere gegenüber den in der Erstedition vorgelegten Ergänzungen einen immensen Fortschritt darstellt. Es dokumentiert, wie fruchtbar sich bei der Bearbeitung eines solch umfangreichen und dichten Dokuments die Zusammenarbeit mehrerer Wissenschaftler erweist. Dass diese bei einer Reihe von Fragestellungen zu verschiedenen Antworten kommen, zeigt aber auch, wie weit man von einer endgültigen Edition dieses Textes noch entfernt ist - sofern es eine solche je geben kann.
Anmerkungen:
[1] Helmut Engelmann / Dieter Knibbe (Hgg.): Das Zollgesetz der Provinz Asia. Eine neue Inschrift aus Ephesos, in: EA 14 (1989), 1-206.
[2] Die Bilder sind jedoch hochauflösend unter folgender Internetressource online verfügbar: http://www.csad.ox.ac.uk/lex-portorii
[3] Dieter Knibbe: LEX PORTORII ASIAE. Versuch einer Wiedergewinnung des lateinischen Originaltextes des Zollgesetzes der Provinz Asia (ΝΟΜΟΣ ΤΕΛΟΥΣ ΑΣΙΑΣ), in: ÖJh 69 (2000), 147-173.
M. Cottier / M.H. Crawford / C.V. Crowther et al. (eds.): The Customs Law of Asia (= Oxford Studies in Ancient Documents), Oxford: Oxford University Press 2008, xxi + 370 S., ISBN 978-0-19-955151-4, GBP 60,00
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