Mit der vorliegenden biografischen Würdigung Ferdinand Friedensburgs versucht der Autor wissenschaftliche Aufmerksamkeit für einen CDU-Politiker zu wecken, der in den ersten Nachkriegsjahren an führender Stelle die Geschicke Berlins mitbestimmte, dessen Wirken aber bisher "eher in einem Forschungsschatten" (11) gelegen habe. Das gelte auch für dessen 1972 erschienene Autobiografie, deren Titel Keiderling, ehemals Forschungsgruppenleiter am Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, fast wörtlich übernommen hat. Seine Darstellung folgt im Aufbau weithin der Friedensburgs. Schwerpunkte sind dessen Rolle als Mitbegründer der CDU in Berlin, seine Tätigkeiten als Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für Brennstoffindustrie in der sowjetischen Zone wie als exponiertes Mitglied im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und in der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion. Ausführlich geht er auf die sich seit 1946 rasch vertiefende Teilung Deutschlands und deren Auswirkungen in Berlin ein, die schwieriger werdende Zusammenarbeit im Berliner Magistrat und mit den Besatzungsmächten. Er rekonstruiert die schrittweise politische und wirtschaftliche Teilung der Stadt nach der Währungsreform und die erfolgreiche Selbstbehauptung der Westberliner in den Monaten sowjetischer Blockade. In mitunter langen Absätzen zitiert Keiderling aus der Autobiografie und dem Nachlass des Ersten Bürgermeisters und zeitweise amtierenden Oberbürgermeisters der Stadt in den "Schicksalsjahren" 1946 bis 1948. Diese Quellen sind für ihn gleichsam das Gerüst, um das seine Darstellung rankt. Dabei geht es ihm nicht nur darum, Friedensburgs politisches Verhalten zu dokumentieren und zu würdigen, er gibt, daraus abgeleitet, zugleich eine eigene zusammenfassende Darstellung der politischen Geschichte der Stadt nach dem Kriege, das zentrale Thema seiner Forschungen seit Jahrzehnten.
Friedensburg, aus einer begüterten preußischen Beamtenfamilie stammend und ehemals Mitglied der DDP, war ein entschiedener Anhänger westlicher Demokratie und zugleich beseelt vom Gedanken, die Einheit Deutschlands zu erhalten. Er setzte darauf, eine Lösung im Einvernehmen mit der Sowjetunion zu suchen und auf ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens zu allen Besatzungsmächten hinzuarbeiten. Ähnlich wie Jakob Kaiser wünschte er sich Deutschland als Brücke zwischen Ost und West und suchte bis in die 1950er Jahre unermüdlich nach Lösungen, die auch von der östlichen Besatzungsmacht mitgetragen würden. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges brachte ihm das bei seinen politischen Gegnern im Westen Titulierungen wie "Russenknecht" (115) oder "trojanisches Pferd" der Sowjetunion (225) ein. Die im Osten sahen ihn ähnlich polemisch als "Kriegshetzer" und "Spalterpolitiker" (297). Unverkennbar hegt der Autor starke Sympathien für Friedensburg, der sich als "Freund der Sowjetunion" (439) bezeichnete, seinen politischen Gegnern, auch den sowjetischen Besatzungsoffizieren, mit einer zuweilen naiv anmutenden Offenheit begegnete und nicht davor zurückschreckte, sich "zwischen alle Stühle zu setzen" (295). Deutlich wird, dass dies die Biografie eines letztlich politisch Gescheiterten ist. Gescheitert, weil weder die Sowjetunion noch die westlichen Siegermächte an der Suche nach dritten Wegen in der Deutschlandpolitik interessiert waren und die Westberliner wie die Westdeutschen sich mehrheitlich für die u.a. von Adenauer und Reuter angestrebte rasche Westintegration entschieden.
Gerhard Keiderling schildert die Geschichte der Viersektorenstadt gestützt auf eine breite Quellenbasis. Er demonstriert eine fundierte Kenntnis des Forschungsstandes und hat auch die einschlägigen Archivalien ausgewertet - bis auf die ehemals sowjetischen. Leider bleibt dieses Manko unerwähnt. Gerade weil das Verhalten der Sowjetischen Militäradministration Friedensburgs politisches Schicksal wesentlich mitbestimmt hat, wäre es aufschlussreich zu wissen, wie sich das in deren Akten spiegelt, zumal, wenn der Autor zuweilen Differenzen zwischen SED und SMAD andeutet.
Auffällig ist, dass Keiderling wertende Urteile weitgehend meidet und sich in der Regel auf eine Schilderung der Ereignisse beschränkt. So erwähnt er Friedensburgs eisernes Festhalten an der Vorstellung von einer Ost und West verbindenden Hauptstadtrolle Berlins, fragt aber nicht, ob das im Frühjahr 1948 noch realistisch war (225). Erst weiter unten stößt man in anderem Zusammenhang auf seinen nicht problematisierten Befund: "Alles" habe zu diesem Zeitpunkt aus der Sicht der westdeutschen Länderchefs "für eine Westintegration wenigstens der Weststadt" (232) gesprochen. Dass er die Verhängung der Blockade als "unangemessen" (297) bezeichnet, ist schon eine seiner kritischsten Äußerungen zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion.
Trotz der breiten Quellenbasis trifft der mit dem Forschungsstand vertraute Leser auf keine wesentlich neuen Befunde zur Nachkriegsgeschichte Berlins. Dennoch ist die Darstellung nicht nur als ausführlicher Beitrag zur politischen Biografie Ferdinand Friedensburgs von Nutzen, sie informiert zugleich über die ereignisreichen ersten Jahre Berliner Nachkriegsgeschichte, die, fast 20 Jahre nach dem Ende der Teilung, als schon sehr weit zurückliegend erscheinen.
Keiderlings jüngste Monografie ist zugleich eine interessante, zu vielen Fragen anregende Lektüre, sieht man sie als Quelle zur Geschichte der deutschen Geschichtsschreibung nach dem Kriege. Schon als DDR-Wissenschaftler hatte er sich zur historischen Rolle Friedensburgs geäußert und ihn als "exponierten Interessenvertreter des Großkapitals" charakterisiert. [1] Dessen von Reuter abweichende Meinung sei nur "eine Variante des konterrevolutionären Eindringens in die DDR" gewesen. [2] "Reuter, Suhr, Schwennicke, Friedensburg und Konsorten" hätten die Bevölkerung während der Blockade aufgestachelt, zum "Währungskampf" und zur "Verteidigung der Freiheit" aufgerufen. [3] Betonte er noch 1987, die Gründung der SED habe sich von unten nach oben, "auf demokratische Weise" vollzogen [4], so spricht er jetzt überraschend und pauschal von "Zwangsvereinigung" (32). Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass Keiderling jetzt Westberlin meint, wenn er vom "freien Teil" der Stadt spricht (342). Vor der Vereinigung hatte er sich darüber beschwert, dass Publikationen von DDR-Wissenschaftlern zur Geschichte Berlins von den westlichen Kollegen "gar nicht erst registriert" würden. [5] Jetzt aber verhält er sich ähnlich. Verweise auf seine DDR-Monografien sucht man in den Fußnoten vergeblich. Die umfangreichste Arbeit zur Geschichte Berlins [6] ist noch nicht einmal im Literaturverzeichnis aufgeführt. Rechnet er, was er damals veröffentlichte, grundsätzlich nicht mehr zur Forschung, sondern zur parteilichen Geschichtspropaganda? Hätte er schon damals seine Geschichte Berlins ähnlich formuliert wie heute, wenn er sich allein an seinen tatsächlichen Einschätzungen und Überzeugungen orientiert hätte? - Ganz unpolemisch gemeinte Fragen wie diese drängen sich auf.
Anmerkungen:
[1] Gerhard Keiderling: Die Berliner Krise 1948/49. Zur imperialistischen Strategie des kalten Krieges gegen den Sozialismus und der Spaltung Deutschlands, Berlin (Ost) 1982, 68.
[2] Ebenda, 391.
[3] Ebenda, 93.
[4] Ders.: Berlin 1945-1986. Geschichte der Hauptstadt der DDR, Berlin (Ost) 1987, 187.
[5] Ders.: Die Berliner Krise...[Anm. 1], 11.
[6] Vgl. Anm. 4.
Gerhard Keiderling: Um Deutschlands Einheit. Ferdinand Friedensburg und der Kalte Krieg in Berlin 1945-1952, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, 489 S., ISBN 978-3-412-20323-8, EUR 59,90
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