Mit diesem Buch ist eine lange überfällige Studie über dekorative Elemente verschiedener Materialkategorien in der römisch-kaiserzeitlichen und spätantiken Kunst und ihre soziale Aussage erschienen. Ellen Swift nennt bereits in den ersten Zeilen der Einführung die Hauptwerke von Alois Riegl und Alfred Gell als Inspiration. [1] Im Weiteren wird auch der Einfluss von Ernst Gombrichs Studie zu den psychologischen Effekten von Kunst deutlich. [2] Der Autorin gelingt es, die Theorien und Fragestellungen der beiden Wiener Kunsthistoriker mit denen des Sozialanthropologen Gell zu kombinieren und von dieser Schnittstelle zwischen Kunstgeschichte, Archäologie und Anthropologie neue Ansätze zur Erklärung bestimmter Phänomene in der römischen Kunst zu geben. Zeitlich und räumlich grenzt Swift die Studie gut begründet auf die Periode von der Kaiserzeit bis zur Spätantike und auf die westlichen Provinzen ein.
Im ersten Kapitel präsentiert Swift eine ausgezeichnete Zusammenfassung des momentanen Forschungstands zur Problematik von Dekoration und Stil in den Material Culture Studies. Hierbei berücksichtigt sie sowohl archäologische und kunsthistorische Theorien als auch die zunehmende Integration anthropologischer Fragestellungen und Herangehensweisen in der Archäologie. Zu diesen ist auch die direkte körperliche Wirkung verschiedener visueller Effekte zu rechnen, die von der Autorin anhand einiger gut illustrierter Beispiele erläutert wird (10-15).
Auf die vermutliche römische Sichtweise der verschiedenen dekorativen Elemente geht Swift mithilfe schriftlicher Quellen ein (16-23). Hierbei werden sowohl angelernte Sichtweisen wie das visuelle Verständnis gemalter Perspektiven berücksichtigt als auch kulturelle Prägungen wie die für Römer ausgesprochen wichtige 'Angemessenheit' verschiedener Dekorationselemente an ihre Verwendung.
Die folgenden drei Kapitel sind jeweils einer Gruppe von Objekten gewidmet: geometrischen Mosaiken, Metallgefäßen und Schmuck (inklusive Fibeln). Diesen oberflächlich verschiedenen Objekten ist gemeinsam, dass sie nach Smith alle einen direkten Bezug zu social display (Zurschaustellung) und conspicious consumption (ostentativem Konsum) haben. [3] Während Schmuck und Fibeln Gelegenheit zur Zurschaustellung auf dem Gebiet der Kleidung geben, können Metallgefäße und Mosaiken als Beispiele für ostentativen Konsum auf dem Gebiet des Bewirtens von Gästen gelten. Swift erklärt die Wahl der geometrischen Mosaiken in diesem Zusammenhang mit dem Hinweis, dass diese Gruppe bislang in der Forschung unterrepräsentiert war.
Das zweite Kapitel ist in zwei Hauptteile gegliedert. Im ersten befasst Swift sich mit den geometrischen Mosaiken marginaler Bodenflächen wie Schwellen, Korridoren und den Stellplätzen von Tischen und Klinen in Speiseräumen. So haben Schwellenmosaiken verschiedene soziale Funktionen: Sie markieren eine Übergangszone, was durch die Verwendung gleicher Muster auf anderen Raumtrennern (Vorhängen, Mauern) illustriert wird; sie bieten dem Gast des Hauses eine Orientierungshilfe bezüglich der sozialen Verwendung dieses Raumes und schützen mit apotropäischen Zeichen die Personen, die sich im Raum aufhalten, vor dem Bösen von außerhalb (43).
Im Anschluss geht Swift auf die Mosaikschemata ganzer Häuser ein und kann hier einen hierarchischen Aufbau mit dem triclinium als wichtigstem Raum nachweisen (74-96). In der Spätantike werden die geometrischen Mosaiken der Speiseräume komplexer, und ihnen tritt oft ein mit einer Apsis versehener Audienzraum mit gelegentlich noch komplexeren Mosaiken zur Seite. Swift erklärt, dass geometrische Mosaiken den Betrachter mit der Komplexität der Komposition und der Raffinesse der visuellen Effekte beeindrucken. Die verwirrend komplizierten sowie durch ihre perspektivischen Illusionen oft optisch verunsichernden Mosaiken reflektieren den Status des Besitzers und flößen dem Gast Erstaunen und Ehrfurcht ein (101).
Im dritten Kapitel zur Dekoration der Metallgefäße zeigt Swift zunächst auf, dass die Tafelservices der Antike im Unterschied zu heutigen Porzellanservices durchaus eine ungleiche Anzahl Gefäße verschiedener Dekorationen und sogar verschiedener Materialien umfassen. Dies deutet nach Swift auf eine Nutzung dieser Unterschiede im sozialen Kontext der Mahlzeit; die Kostbarkeit des für ihn verwendeten Geschirrs hing vom Status des einzelnen Gastes ab (123). Auch Dekorationen können die intendierte Funktion verdeutlichen; entweder durch ironische Anspielung mittels mythologischer Bilder oder durch Hervorhebung der Form und damit der angemessenen Funktion (124). Auf diese Weise 'rahmt' das Gefäß den Inhalt.
Im folgenden Kapitel beschäftigt sich Swift mit den Funktionen verschiedener männlicher (Zwiebelknopffibel, Militärgürtel) und weiblicher Kleidungsaccessoires (Haarnadeln, Schmuck). Auch hier sollten die Dekorationen die intendierte Rolle verdeutlichen: Während die Dekorationen von weiblichem Schmuck die Weiblichkeit der Trägerin unterstreichen, bezeugen Material und Verarbeitung den Status der Frau (148). Während letzteres auch für die Accessoires von Männern gilt, waren Militärgürtel und Zwiebelknopffibel auch Amtsabzeichen und als kaiserliche Donativa Beweise (gegenseitiger) Loyalität (167, 176-78).
In einem abschließenden Resümee werden die Ergebnisse zusammengefasst und die Bedeutung von Dekorationen zur Artikulation von Rolle und Status deutlich herausgearbeitet sowie verschiedene Arten der 'Nutzung' von Dekorationen aufgezeigt. Eine klare Zusammenfassung der Stilentwicklung römischer Kunst schließt mit Swifts eigener These zum Wandel in spätrömischer Zeit (194-196). Swift folgt hierin Riegl, der einen Wandel von der naturalistischen zur zweidimensionalen Darstellung in allen Kunstformen erkannt hatte. Sie verwirft jedoch Erklärungsmodelle, die dies auf ethnische Unterschiede (Childe) oder den Gegensatz zwischen stadtrömischer und provinzialer Kultur (Bianchi Bandinelli) zurückführen. Ihrer Ansicht nach ist die Dekoration an die soziale Funktion des Gegenstands gekoppelt, und somit ist ein Wandel der Dekoration ein Zeichen für einen Wandel seiner sozialen Funktion und damit eines größeren sozialen Wandels innerhalb der Gesellschaft.
Die verschiedenen Kapitel sind reichhaltig mit Schwarz-Weiß-Abbildungen illustriert, wobei dem Buch 18 Farbillustrationen von sehr guter Qualität vorangestellt sind.
Die Stärke dieses Werks liegt in der genauen Beobachtung der einzelnen Kunstwerke in Kombination mit einer präzisen Analyse der Gemeinsamkeiten der verschiedenen Gruppen aufgrund einer anthropologischen Fragestellung, die nicht nur die ästhetischen Unterschiede aufzeigt, sondern auch deren soziale Funktion nachweist. Auch das breit gefächerte Wissen der Autorin in sowohl kunstgeschichtlichen wie archäologischen und anthropologischen Theorien sowie ihre vielfältige praktische Materialkenntnis bereichern dieses Buch.
Als Manko muss jedoch die Gefahr potenzieller Zirkelschlüsse genannt werden, auf der eine Reihe von Swifts Argumenten beruhen. So werden bestimmte Dekorationsformen bestimmten Gruppen zugewiesen und zu selbstreferenziellen Dekorationen erklärt. Die Objekte selbst wurden aber häufig erst wegen ihrer Dekoration diesen Gruppen zugeordnet, so zum Beispiel Kästchen mit Venusdekoration als weibliche Schmuckschatulle. Trotzdem scheint mir die zugrunde liegende Annahme richtig, dass selbstreferenzielle Dekorationen, die auf die Funktion des dekorierten Objektes oder Raumes anspielen, sie damit verstärken und zur sozialen Norm machen, ein Leitmotiv der römischen Kunst in allen Materialarten sind.
Anmerkungen:
[1] Alois Riegl: Die spätrömische Kunstindustrie nach den Funden in Österreich-Ungarn, Wien 1901, Neudruck Berlin 2000; Alfred Gell: Art and Agency. An Anthropological Theory, Oxford 1998.
[2] Ernst Gombrich: The Sense of Order. A Study in the Psychology of Decorative Art, Oxford 1979, Neudruck Oxford 1992.
[3] John Thomas Smith: Roman Villas. A Study in Social Structure, London 1997.
Ellen Swift: Style and Function in Roman Decoration. Living with Objects and Interiors, Aldershot: Ashgate 2009, XII + 231 S., ISBN 978-0-7546-6563-2, GBP 55,00
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