Wohl keine zweite 'andere' Kultur hat im Abendland so viel Phantasien, Sehnsüchte und Begehren hervorgerufen wie der Orient. So groß war dieses Begehren nach dem kulturell Fremden, dass sich der europäische Adel und die Mächtigen seit dem frühen 17. Jahrhundert in orientalischer Kleidung porträtieren ließen. Nina Trauth widmet in ihrer Dissertation, die aus dem Graduiertenkolleg Identität und Differenz. Geschlechterkonstruktion und Interkulturalität an der Universität Trier hervorgegangenen ist, dieser bereits im 16. Jahrhundert nachweisbaren "Bildnistürkerie" eine grundlegende Studie. Entlang der zentralen Fragestellung nach der Produktion von Bedeutung dieser Maskerade und der Konstruktion von Identität des frühneuzeitlichen, insbesondere weiblichen Subjekts in Europa untersucht sie das Aufeinandertreffen von kulturfremder Kleidung und Geschlecht. Das Bildmaterial, aus Ausstellungskatalogen, Inventaren und Sammlungen im Privatbesitz und Kunsthandel zusammengetragen und in einem systematischen Werkkatalog mit über 500 Einträgen verzeichnet, bildet nicht nur die beeindruckende Grundlage der Untersuchung, sondern stellt auch der künftigen Forschung hier erstmalig einen Korpus der "orientalisierenden Bildnismaskerade" zur Verfügung.
Im ersten von insgesamt acht Kapiteln des Buches wird in die Fragestellung, den Forschungsstand und die Methodik der Studie eingeführt. Im zweiten Kapitel wird das Material nach fünf Bildgruppen (orientalisierende Bildnismaskeraden, Bildnismaskeraden von Reisenden, Künstlermaskeraden, Maskeraden von Schauspielern, genrehafte orientalisierende Bildnisse) geordnet. In Kapitel 3-8 werden die eingangs gestellten Fragen und Thesen am Bildmaterial beispielhaft entfaltet. Fragestellung und Methodik profitieren von der kritischen Orientalismus-Forschung, der Postcolonial Studies und der Genderforschung, die an der Universität Trier, namentlich von Viktoria Schmidt-Linsenhoff, unter deren Ägide die Doktorarbeit entstand, in die deutsche Kunstwissenschaft eingeführt worden sind. Es geht Trauth zunächst um eine deutliche Absetzung von der älteren Forschung, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Frankreich die Türkenmode (Turquerie) in den orientalisierenden Bildnissen französischer Meister, den "Realisten des wahren Orients" (18), suchte und sich den Bildgegenständen in erster Linie unter dem Aspekt der repräsentierten Alterität widmete. Wie sich Identität durch das fremde Andere in den Porträts konstituiert, danach fragt dagegen die vorliegende Studie.
Die Einführung von Geschlecht und Ethnizität in den Bilddiskurs des 17. und 18. Jahrhunderts bedeutet einen neuen Zugriff auf das Material, der um die Kategorien des sozialen Rangs ergänzt wird. Trauth zeigt in der Eröffnung ihres methodischen Instrumentariums ein hohes Reflexionsniveau, das den eigenen Standpunkt stets mit bedenkt, die eingeführte Terminologie revidiert und die einschlägige Forschung kritisch in die historische Fragestellung integriert. So stellt die Autorin fest, dass die dargestellten Personen in ihrer fremden Kleidung keine Rolle spielen, mithin der Terminus Rollenporträt den Gegenstand unzutreffend bezeichnet, da dies impliziert, "dass im Bildnis der Kern (historische Person) von der Hülle (Rolle) trennbar sei" (27). Stattdessen führt Trauth den Begriff "Maske" ein, der im 18. Jahrhundert generell 'anders' gekleidete mit oder ohne Gesichtsmaske bezeichnete. Zugleich ist die Maske aber auch eine Metapher für das Verhalten des Höflings, der durch Affektkontrolle und den Anschein der Mühelosigkeit seine ihm zukommende Rolle bei Hofe perfekt zu spielen hat. Die Maske, so macht Trauth deutlich, ist Bestandteil der höfischen Kultur und nicht ein "abnehmbares Requisit", ihr Auftauchen "im Bildnis eine Form der Reflexion über das Individuum" (31). Es geht hier um die Frage der frühneuzeitlichen Identität, ein Begriff, der vor dem 18. Jahrhundert im Sinne des mit sich selbst identischen Subjekts in den Wörterbüchern nicht zu finden ist. Das Individuum, so Trauth, ist ein "Produkt von Aushandlungsprozessen", das im Bildnis zwischen Modell, Maler und Betrachter und im Fall der orientalisierenden Bildnismaskerade zwischen den Kulturen zu Stande kommt. Trauth folgt im Weiteren Harry Berger, der mit dem Begriff der "self representation" den Entwurf einer medialen Identität bezeichnet, die im Bildnis erschaffen und gezeigt wird, aber keine Kernidentität eines Subjekts voraussetzt (34). Im Anschluss an Berger betrachtet Trauth das (frühneuzeitliche) Individuum nicht als etwas Gegebenes, sondern rechnet mit seiner sich selbst erschaffenden Kreativität.
Die frühneuzeitliche Maske ist weiblich kodiert, wird in den Lexika zuweilen mit Schminke konnotiert und ist auch im Alltag gebräuchlich. Der Mann hingegen trägt die unsichtbare Maske, mit der er mittels Affektkontrolle und Rhetorik seine wahren Gefühle verbirgt. In der sozialen Praxis hingegen eröffnet sich ein weiter Spielraum der Maske und Maskerade für beide Geschlechter, den die vorliegende Studie geschlechtsspezifisch differenziert und im Anschluss an Judith Buttler und den "performative turn" für die Porträtgattung kontextualisiert. Demnach bietet die weibliche Maske im orientalisierenden Porträt einen Freiraum, der die kodifizierten Diskurse zuweilen unterläuft. Desgleichen gibt es eine männliche Maskerade, wie Trauth betont, deren Funktion es sein konnte, das gesellschaftliche Ansehen und die Potenz zu repräsentieren (39). Bei den Bildnismaskeraden orientieren sich beide Geschlechter an den jeweiligen bildlichen Repräsentationen des Orients. Der Orient, so soll die Studie zeigen, wird in den Porträts als ein Spannungsverhältnis zwischen eigenen und kulturfremden Zeichen sichtbar, Zeichen, die ambivalent und nicht eindeutig sind und die "ästhetische Verschiebungen innerhalb des kolonialen Diskurses" erkennen lassen.
Aus der Analyse des Bildmaterials in Kapitel 3-8 seien hier zwei Beispiele näher betrachtet. Die mehr als 70 Bildnismaskeraden der Markgräfin Sibylla Augusta, die in ihrem Spiegelkabinett aus den 1720er-Jahren auf Schloss Favorit in Rastatt integriert waren (heute sind dort noch 56 Bildnisse), stehen im Zentrum des vierten Kapitels (115-150). Sibylla Augusta ist dort außer in orientalischer Kleidung (17 Bildnisse) in der Kleidung der europäischen Grenzländer, in mythologischer Verkleidung, in der Kostümierung des Harlekin und auch in Kleidern der zeitgenössischen Mode zu sehen. Die völlig singulär dastehende Porträtserie, die dieselbe Person in immer neuen Kleidern darstellt, wurde möglicherweise als Festdokumentation im Paarschema begonnen (auch der Markgraf, der so genannte "Türkenlouis" hat sich kostümiert porträtieren lassen), aber dieses Konzept wurde augenscheinlich aufgegeben. Trauth kann Vorbilder, Anlässe und Kontexte der Porträts rekonstruieren und zeigt, dass es sich nicht um Ereignisbilder, also Dokumente bestimmter Feste am Hof handeln kann. Eine zeitgenössische Reisebeschreibung bemerkt einen Altersprozess in der Serie (von der Jugend bis hin zu den "zunehmenden Jahren"), eine Nähe zur Medici-Galerie und bescheinigt Sibylla die Fürstentugend der Maskenkompetenz (123ff.). Eine Schlüsselstellung beanspruchte die Darstellung des Markgrafenpaars als Türke und Türkin. Das orientalische Kostüm des Markgrafenpaares stammt aus der "Karlsruher Türkenbeute" im Sieg gegen die Osmanen, mit dem sich der Markgraf besondere Verdienste erworben hatte. Die Markgräfin, die im Tross ihres Mannes reiste, zeigt sich in der fremden Kleidung, behält aber das Korsett, das dem eigenen Körperideal entspricht. Sie greift sich in den Gürtel und imitiert damit den fremden Habitus, verzichtet aber auf die unschicklichen Holzstelzsandalen. Trauth zeigt auf, wie "das Körper- und Schönheitsideal zum Ort der Grenzziehungen" wird (135), wie "Vorstellungen über das Fremde [...] um den Körper kreisen" (136). Im Spiegelkabinett der Markgräfin verwischen sich, wie Trauth ausführt, die Grenzen von Spiegel, Bildnis und Maskerade und werden zum Spiel der "persona", die sich in einer unendlichen Metamorphose, in immer neuen Erscheinungen, Oberflächen, Bildern repräsentiert (144ff.). Das "iste ego sum" des Narziss-Mythos wird so zur unendlichen Potenz des frühneuzeitlichen Subjekts.
Das Porträt des Pariser Diamantenhändlers Jean-Baptiste Tavernier von Nicolas de Largillière, der sechs Orientreisen unternahm und seine Erfahrungen in einem Reisebericht niederschrieb, steht im Zentrum des 6. Kapitels der Studie (187-212). Der Maler, der sich auf van Dyck und Rubens berief, präsentiert Tavernier in dem Ehrenkaftan, den ihm der Schah von Persien geschenkt hatte und der hier mit besonderem Interesse für die kostbaren Materialien regelrecht in Szene gesetzt wird. Ansonsten zeigen die Bildnisse von Orientreisenden im 17. Jahrhundert das vertraute Bildformular für Standespersonen in einem Kastenraum, der mit angeeigneten Luxusgütern, vor allem Orientteppichen, zur "Schauvitrine für die Porträtierten" verwandelt wird (194). Trauth kann zeigen, welch hohe Bedeutung die Gabe, insbesondere der Warenwert, des Kaftans für die Selbstdarstellung des Beschenkten hatte, der mit dem Gewand sogar die französischen Luxusgesetze übertreten konnte. Seine Verdienste im Diamantenhandel bewogen Ludwig XIV., Tavernier in den Adelsstand zu erheben, sodass Tavernier bei der Betrachtung seines Bildnisses die ihm gewährte Ehre selbstzufrieden vergegenwärtigen konnte.
Das vielfältige Bildmaterial, das die Autorin zu Tage gefördert hat, darunter bekannte Meisterwerke der europäischen Kunstgeschichte von van Dyck bis Liotard ergibt einen umfassenden Einblick in die Kulturgeschichte der Orient-Maskerade im Bildnis des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Studie zeichnet sich ferner durch eine genaue und sorgfältige Analysemethode aus, die eine Menge Detailinformationen über Kostümkunde, Theatergeschichte, Festgebräuche, den Harem, Orientpolitik u.a.m. ausbreitet. Dieses Detailwissen überdeckt allerdings eine Frage, die sich der Leser im Gang der Argumentation immer wieder stellen wird: Es ist die Frage, welchen Orient denn die sich in orientalischer Kleidung präsentierenden Personen im Kopf haben, was die Markgräfin Sibylla Augusta, eine Madame Pompadour, der Maler Jean-Etienne Liotard und all die anderen adeligen Herrschaften dachten und träumten, was sie fühlten, als sie sich die kostbaren, fremden Gewänder anzogen. Die Sehnsucht, das Begehren und auch das Befremden, die der westliche Europäer mit dem Orient verband, kommen zwar hier und da zur Sprache, werden aber insbesondere dann Opfer der Wissenschaftssprache, wenn der Harem etwa zur "Heterotopie" wird, in dem "Blickregimes" wahrgenommen werden, und die porträtierten Frauen "als Subjekt oder als Objekt des Begehrens interpretiert werden". Die politisch-korrekte Wissenschaftssprache läuft hier Gefahr, dass sie ihre Gegenstände quasi neutralisiert, unschädlich und damit leider auch uninteressant macht. So gerät die Studie in ein Ungleichgewicht zwischen ausgeprägtem Methodenbewusstsein und großem, historisch fundiertem Wissen einerseits, und einem Mangel an mentalitätsgeschichtlichem Zugang auf der anderen Seite. Reiseberichte und Briefe, die Europäer aus dem Orient nach Hause schrieben und in denen die Atmosphäre der Begegnung mit der fremden Kultur spürbar wird, hätten die Studie bereichern können. Die Persischen Briefe der Lady Montagu beispielsweise wären gut geeignet, die stummen Europäerinnen in Kaftan und Pluderhosen über ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Orient zum Reden zu bringen.
Nina Trauth: Maske und Person. Orientalismus im Porträt des Barock, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2009, 494 S., ISBN 978-3-422-06859-9, EUR 68,00
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