Der große Anteil der Kunsttheorie an der literarischen Produktion des 16. Jahrhunderts verdankt sich unter anderem dem Trienter Bilderdekret vom 3. Dezember 1563: Der Beschluss des katholischen Reformkonzils legitimierte zwar ausdrücklich den Gebrauch von Bildern im sakralen Kontext, blieb hinsichtlich konkreter Anweisungen für die Ausführung solcher Bilder aber äußerst vage. Es war daher die Aufgabe der Traktatliteratur, den Funktionsweisen von Bildern genauer nachzugehen und Richtlinien für die Ausstattung des Kirchenraums für Kleriker und Künstler zu formulieren. Holger Steinemann hat sich nun einer dieser einflussreichen Bildtheorien aus der Zeit der Gegenreformation gewidmet. Seine 2004 von der Universität Stuttgart angenommene Dissertation behandelt den 'Discorso intorno alle immagini sacre e profane' des Bologneser Kardinals Gabriele Paleotti (1522-1597), um nachzuzeichnen, wie Paleotti "den Herausforderungen einer im Wandel begriffenen künstlerischen Wirklichkeit in der theoretischen Reflexion begegnet" (38).
Dass Steinemann sich dem 1582 erstmals gedruckten und 1594 in lateinischer Fassung erneut erschienenen 'Discorso' so ausführlich widmet, erklärt sich aus dem originellen Ansatz, den der versierte Theologe in seiner Abhandlung verfolgt. Denn Paleotti entwickelt im ersten Teil seines Traktats zunächst eine noch heute modern anmutende, zeichentheoretisch fundierte Bildtheorie, um im zweiten Teil unterschiedliche Wirkungsfunktionen sakraler Malerei zu bestimmen. Diesem Aufbau folgt - nach einem einleitenden Teil zum begrifflichen Instrumentarium und der Wirkungsgeschichte des Traktats - auch die Studie Steinemanns, der die Bestandteile der Bildtheorie Paleottis kompetent referiert und zu kommentieren weiß.
Wie Steinemann zeigen kann, bedient sich Paleotti bei seinem Vorhaben, den Bildgebrauch in der katholischen Kirche auf ein sicheres Fundament zu stellen, eines elaborierten mimetischen Bildbegriffs: Die 'imago' wird als Medium der Repräsentation nicht nur auf eine exakte Wiedergabe der physischen Wirklichkeit verpflichtet, sondern durch die Bindung an einen materiellen Träger auch von konkurrierenden Bildkonzepten sowie imaginären Bildern abgegrenzt. Die Ursache für diese exakte Definition des Bildes sieht Steinemann in den am Ende des 16. Jahrhunderts aufstrebenden Naturwissenschaften, in denen die Illustration als Medium wissenschaftlicher Repräsentation zunehmend in Gebrauch kam. Besonders die reich illustrierten Studien zur Botanik und Zoologie des Bologneser Universalgelehrten Ulisse Aldrovandi, mit dem Paleotti in freundschaftlichem Austausch stand, hätten Einfluss auf den Kardinal gehabt (123).
Den Anspruch, wissenschaftliche Darstellungskriterien auf die Künste anzuwenden, hält Paleotti im Verlauf seines Traktats aufrecht. Für den Bereich der Historienmalerei entwickelt er daher in Anlehnung an Aristoteles das Konzept der 'verisimilitudo': Da die Bibel nur ein fragmentarisches Bild von den beschriebenen Ereignissen und Personen vermitteln könne, solle der Künstler im Austausch mit Gelehrten die historischen Gegebenheiten ableiten und sich durch ein Wahrscheinlichkeitsprinzip der darzustellenden Wahrheit annähern.
Wie schwierig es im 16. Jahrhundert war, diesen innovativen Anspruch Paleottis gegen das vorherrschende 'decorum' in den Kirchen durchzusetzen, zeigt Steinemann anhand der Diskussionen, die sich an den Darstellungen von Scipione Pulzone und Caravaggio, vor allem aber am 'Gastmahl des Levi' von Paolo Veronese entzündeten (186). Ist Steinemanns Schilderungen dieser bekannten Konflikte noch zu folgen, bleibt jedoch fragwürdig, inwieweit die Fresken des Pasquale Cati in der Cappella Altemps (Rom, S. Maria in Trastevere) vor der Folie cinquecentesker Bildtheorien interpretiert werden können (217-223).
Neben dem Problem der Darstellung historisch überlieferter Ereignisse beschäftigt sich Paleotti auch mit der Darstellung innerer Gefühlsregungen und geistiger Konzepte. Besondere Aufmerksamkeit widmet er dabei der Affektübertragung durch Tugendpersonifikationen, deren Darstellung er empfiehlt, um den Betrachter zu vorbildhaftem Handeln anzuhalten (210). Seine Überlegungen zur Wirkungsfunktion von Bildern führt er im zweiten Teil seines Traktats näher aus. Wie Steinemann darlegt, werden die verschiedenen Stufen der Persuasion durch Bilder von Paleotti mit den Formeln der Rhetorik beschrieben, ohne dass dieser eine wortwörtliche Übertragung rhetorischer Prinzipien auf die Malerei vornehme. Paleotti konzentriere sich dabei neben dem 'docere' und 'delectare' besonders auf den Bereich des 'movere' (373). Als problematisch erachtet der Kardinal dabei insbesondere die zunehmende moralische Degeneration des Menschen, der nur noch durch besonders drastische Darstellungen von roher Gewalt oder entblößter Körper seelisch zu bewegen sei. Während solche Darstellungen die Gefahr bergen, zu unangemessenen Handlungen zu verleiten, böte sich mit der Darstellung von Martyrien oder endzeitlichen Gerichtsszenen, der "pitture fiere et orrende", die Möglichkeit dem Betrachter ein moralisches Bezugssystem zu vermitteln, ohne auf affizierende Gewaltdarstellungen verzichten zu müssen (435).
Wie Steinemann an mehreren Stellen betont, blieben die hier angesprochenen Komplexe der Bildtheorie Paleottis - das wissenschaftliche Nachahmungsparadigma, das Konzept der 'verisimilitudo' und seine Überlegungen zur Betrachteraffizierung - nicht ohne Auswirkungen auf dessen Künstlerbild. Konstitutive Bestandteile des mit der Renaissance auftretenden 'Künstlertypus', der durch die Einführung kunsttheoretischer Termini wie 'disegno' und 'inventio' als autonomes Subjekt charakterisiert wurde, werden von Paleotti nicht nur als unwesentlich, sondern gar als schädlich für die Wirkungsfunktionen des gegenreformatorischen Bildes beschrieben. Als Medium im Dienste der Kirche sollte das Bild dem Betrachter Ereignisse der Heilsgeschichte und die mit ihnen verbundenen Konzepte christlicher Lebensführung als Instrument der Sozialdisziplinierung vor Augen führen (289). Wie Steinemann hervorhebt, war damit notwendigerweise die Rücknahme individueller Ausdrucksmöglichkeiten des Künstlers verbunden. Besonders deutlich werde dieses konservative Künstlerbild Paleottis, wenn er im zweiten Teil seines Traktats die kunsttheoretisch bereits nobilitierte Groteskenmalerei als Kunst "senz' ordine e ragione di natura" brandmarkt (56).
Mit seiner Studie kann Holger Steinemann an jene Forschung der letzten Jahrzehnte anschließen, die sich mit den Auswirkungen des Trienter Bilderdekrets auf Kunst und Kunsttheorie des 16. Jahrhunderts auseinandergesetzt und dabei interessante Ergebnisse erzielt hat. [1] Steinemanns Verdienst ist es, mit seiner umfangreichen Studie nicht nur auf einen wichtigen Text erneut aufmerksam gemacht, sondern auch auf zahlreiche logische Brüche im Traktat des Kardinals hingewiesen zu haben. Darüber hinaus gelingt es ihm, die einzelnen Bestandteile der Bildtheorie Paleottis historisch zu kontextualisieren und sie in den wissenschaftlichen und ästhetischen Diskurs der Frühen Neuzeit einzuordnen. Kritisch anzumerken bleibt, dass dem Argumentationsverlauf der Dissertation nur schwer zu folgen ist: Dies ist einerseits zwar dem komplexen Textcorpus Paleottis anzulasten, andererseits aber auch durch vermeidbare Redundanzen (etwa in Bezug auf die Groteskenmalerei, 51-59 und 99-104) und unvermittelt einsetzende Exkurse (etwa zu Cesare Ripas 'Iconologia', 223-231) in den Ausführungen Steinemanns bedingt. Als Einführung in die Bildtheorie Paleottis ist die Studie Steinemanns aber dennoch als unverzichtbar zu bewerten.
Anmerkung:
[1] Vgl. Christian Hecht: Katholische Bildertheologie im Zeitalter von Gegenreformation und Barock. Studien zu Traktaten von Johannes Molanus, Gabriele Paleotti und anderen Autoren, Berlin 1997.
Holger Steinemann: Eine Bildtheorie zwischen Repräsentation und Wirkung. Kardinal Gabriele Paleottis "Discorso intorno alle imagini sacre e profane" (1582) (= Studien zur Kunstgeschichte; Bd. 164), Hildesheim: Olms 2006, 518 S., ISBN 978-3-487-12942-6, EUR 48,00
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