Nach seinen bislang vor allem auf die architektonischen und technischen Details von antiken Bädern konzentrierten Studien [1] legt Fikret Yegül mit "Bathing in the Roman World" eine Monographie vor, die sich dem Forschungsgegenstand der römischen Badekultur von einem breiteren Zugang her nähert, indem nun auch die sozialen und kulturellen Aspekte der Institution des römischen Bades stärker berücksichtigt werden. Das erklärte Ziel des Werkes ist es, die Thematik in einer sowohl für Einsteiger als auch Experten auf diesem Gebiet geeigneten Weise aufzubereiten. Diesem Anspruch wird der Autor insgesamt gerecht.
Vor diesem Hintergrund ist verständlich und verzeihlich, dass nicht alle Kapitel substanziell Neues bringen, sondern teilweise auf hohem Niveau den aktuellen Forschungsstand zusammenfassen. So liefern die ersten drei Kapitel eine Einführung in die wesentlichen Abläufe und Bestandteile eines öffentlichen Badewesens sowie in dessen große Bedeutung für den "Roman way of life". Deutlich wird allerdings bereits hier, dass Yegül es ausgezeichnet versteht, das weitgehend bekannte Quellenmaterial zum Sprechen zu bringen und gekonnt in sein Narrativ einzubetten, so dass er ohne großen Anmerkungsapparat auskommt. So liefert das Werk gerade für Einsteiger in angemessener Weise sowohl Einblicke in die antiken Texte als auch ihre wissenschaftliche Auswertung. Neben den "üblichen Verdächtigen" wie z.B. Martial und dem jüngeren Seneca führt der Autor aber auch weniger berücksichtigte Quellen, wie die rhetorische Übung Lucians auf die Bäder des Hippias (74-79), in die Diskussion ein und interpretiert diese ausführlich. Im Zusammenhang mit einer Darstellung der konservativen Kritik am ausufernden Badeluxus der frühen Kaiserzeit (Kap. 4) weist Yegül auch auf Möglichkeiten und Grenzen der Auswertung der schriftlichen Quellen hin. Neue Erkenntnisse werden dabei teilweise auch in der Auseinandersetzung mit und der Korrektur bzw. Aktualisierung von eigenen, älteren Thesen explizit gemacht (z.B. 37-39). [2]
In der Folge werden verstärkt die reichhaltig vorhandenen archäologischen Zeugnisse in die Studie einbezogen, wobei auch jüngste Ausgrabungen Beachtung finden. Die große Expertise des Autors auf dem Gebiet der architektonischen und technischen Details kommt dem Werk dabei vor allem in dem Sinne zugute, dass seine Ausführungen über bloß deskriptive Beschreibungen der Badehäuser deutlich hinausgehen. Stärker als in älteren Studien ähnlicher Art [3] werden Bezüge und Wechselwirkungen zwischen der Architektur der Bäder und der Badekultur deutlich. Es wird gezeigt, wie sich aus den kampanischen und latinischen Ursprüngen des römischen Bades unter Einfluss des griechischen Gymnasions die großen öffentlichen Bäder der Späten Republik und die Kaiserthermen Roms entwickeln, welche ursprünglich voneinander getrennte Funktionen in sich vereinten (Kap. 5 u. 6). Der Autor kann durch eine Vielzahl von Beispielen belegen, wie in der römischen Badekultur hygienische, medizinische, soziale und sogar politische Aspekte miteinander verschmelzen. Die funktionale Vielfalt der Bäder wird durch die Darstellung regionaler Unterschiede der baulichen Schwerpunktsetzung verdeutlicht (Kap. 7 u. 8.).
In den letzten drei Kapiteln geht der Autor über die Ankündigung des Titels seines Werkes hinaus und widmet sich der Badekultur in der byzantinischen Spätantike und den Transformationsprozessen der Bäder in islamischer Zeit sowie in den Gesellschaften Westeuropas während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Untersuchung christlicher und moderner Konzepte von Sauberkeit und Hygiene sowie der sinnlichen Wahrnehmung.
Der interdisziplinäre Ansatz Yegüls liefert einen gelungenen Gesamtüberblick über die komplexe Badekultur der römischen Antike. Außer der zeitlichen und räumlichen Differenzierung fällt positiv auf, das der Autor sich nicht nur auf die großen Thermenanlagen, sondern auch auf kleinere öffentliche Bäder (balneae) bezieht und so versucht, die Badekultur in all ihren Fassetten darzustellen. Sowohl literarische als auch architektonische Quellen werden fruchtbar gemacht, um die unterschiedlichen Funktionen, die das öffentliche Bad in seinem sozialen Kontext erfüllte, aufzuzeigen. Dass die komplexen Zusammenhänge zwischen Kultur und Architektur eine entscheidende Rolle spielen, spiegelt sich auch in den häufigen Verweisen zwischen Kapiteln wieder, die teilweise allerdings auch zu unnötigen wörtlichen Wiederholungen und Doppelungen von Zitaten führen. Zudem werden für Alexander Severus (12) und Commodus (188) falsche Regierungsdaten angegeben.
Der streckenweise einführende Charakter des Werkes wird durch die Vielzahl der genannten Beispiele und durch ein umfangreiches Glossar, das insbesondere für einen Einstieg in die Thematik nützlich ist, unterstützt. Positiv zu bemerken ist die Vielzahl der Abbildungen, die vor allem Baupläne und Rekonstruktionszeichnungen umfassen und das Vorstellungsvermögen des Lesers sinnvoll unterstützen. Wo es sich ergibt, greift Yegül aber auch aktuelle Forschungsdiskussionen auf, stellt diese ausführlich vor und bezieht Stellung. So finden beispielsweise die Debatte über den Grad der Nacktheit und das Ausmaß der Separierung von Frauen und Männern (27-34) sowie die These von den Bädern als "democratic institution"(34-39) Berücksichtigung. [4]
Noch darüber hinaus geht der Autor, wenn er neues Quellenmaterial in die Diskussion einbringt und einen Ausblick auf Transformationsprozesse der Badekultur seit der Spätantike gibt. Die Kontinuitäten und Diskontinuitäten, die dabei aufgezeigt werden, tragen vielfach zu einem besseren Verständnis der unterschiedlichen Aspekte des antiken Badewesens bei. Auch der Vergleich von Konzepten der Sauberkeit und Hygiene antiker und nachantiker Gesellschaften, bereichert die Analyse. Solches ist auch von der Betrachtung des Thermenbesuchs als einem sinnlichen Erlebnis zu sagen. Die beiden letzten Punkte weisen auch Anknüpfungsmöglichkeiten zur neueren "popular culture"-Forschung auf. [5] So bringt die Studie auch für den Leser mit Vorkenntnissen auf diesem Gebiet durchaus Interessantes und Neues.
Anmerkungen:
[1] Fikret K. Yegül: The Bath Gymnasium Complex at Sardis, Cambridge 1986; Idem: Baths and Bathing in Classical Antiquity, New York 1992.
[2] Vgl. ibid. 1-5; 32-33.
[3] Als Beispiele können hier genannt werden: Erika Brödner: Die römischen Thermen und das antike Badewesen. Eine kulturhistorische Betrachtung, Darmstadt 1983; Werner Heinz: Römische Thermen. Badewesen und Badeluxus im römischen Reich, München 1983; Inge Nielsen: Thermae et balnea. The Architecture and Cultural History of Roman Public Baths, Aarhus 1990; Marga Weber: Antike Badekultur, München 1996.
[4] S. dazu z.B. Cic. De off. 1, 35, 129; Plin. nat. hist. 33, 152; Plut. Cato mai. 20, 5-6; Garrett G. Fagan: Bathing in Public in the Roman World, Ann Arbor 1999, 29; Elke W. Merten: Bäder und Badegepflogenheiten in der Historia Augusta, Bonn 1983, 79-82; Paul Zanker: Der Kaiser baut fürs Volk, Opladen 1997, 21-22.
[5] Vgl. Jerry Toner: Popular Culture in Ancient Rome, Cambridge/Malden 2009, 123-161.
Fikret Yegül: Bathing in the Roman World, Cambridge: Cambridge University Press 2010, IX + 256 S., ISBN 978-0-521-54962-2, GBP 16,99
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.