sehepunkte 10 (2010), Nr. 9

Thomas Fusenig u.a. (Hg.): Hans von Aachen (1552-1615)

Weniger die "Wirren des Dreißigjährigen Krieges" (Werbung) als der Wandel des Geschmacks haben verhindert, dass das Werk des "Ausnahmekünstlers" (Werbung) ins Bewusstsein der Allgemeinheit gelangte. Wertvorstellungen der älteren Kunsthistoriografie haben die Protagonisten des "spätmanieristischen" Kunstkreises um Rudolf II. als Epigonen, Eklektiker und Exponenten eines Niedergangs in die Ecke gestellt und das Ihrige beigetragen. Davon unbeeindruckt beschäftigt sich die Sachforschung schon seit mehr als 100 Jahren, zuerst in Archivalien-Regesten, dann mit einer ersten umfassenden Arbeit mit Hans von Aachen. [1] Viele Einzeluntersuchungen folgten [2], sodann die Zusammenstellung zur "Prager Schule" von Kaufmann [3] und die großen Ausstellungen in Essen, Wien und Prag [4], deren schiere Fülle das Profil Aachens aber eher verschattete. Erst die Monografie von Jacoby ließ es deutlicher hervortreten. [5] All diese Leistungen münden nun in die nicht hoch genug zu schätzende, offenbar aber immer noch als Wagnis empfundene Einzelausstellung, die mit beträchtlichem propagandistischem Aufwand im Vorfeld, nun unter höchsten Schirmherrschaften in Aachen, Prag und Wien gezeigt wird.

Etwa zwei Wochen nach Ausstellungsbeginn in Aachen am 11. März 2010 gab es den Katalog. Es ist ein verschwenderisch, ausschließlich mit farbigen Abbildungen (viele zwei-, manche sogar dreifach) ausgestatteter Band. Detailaufnahmen in Vorsatz und erweitertem Frontispiz lassen sogar etwas von der malerischen Qualität der Werke erkennen. Ein schönes Buch, bestimmt für "viele Kunstliebhaber" (XIII). Man erwartet nun außer der Spiegelung des gegenwärtigen Forschungsstandes auch die Offenlegung etwaiger Forschungsdefizite - für ein solches Ausstellungsbuch aber wohl unangemessen.

Ausstellung und Buch sind von sieben seit Jahren als Spezialisten ausgewiesenen Kunsthistorikern gemeinsam mit dem Ausstellungskurator Thomas Fusenig erarbeitet, am Katalogteil haben sich vier weitere Kollegen beteiligt. Acht Essays, 1. zu Aachens Lebensweg (Eliška Fučíková), 2. seiner Malerei (Fučíková), 3. seinen Zeichnungen (Thomas DaCosta Kaufmann), 4. der Druckgrafik (Joachim Jacoby), 5. der Porträtmalerei (Karl Schütz), 6. den Freundschaftsbildnissen (Joseph Leo Koerner), 7. den Bildinhalten (Lubomír Konečný) und 8. zum Thema Italien: Stiltransfer und Netzwerke (Bernard Aikema / Isabella di Leonardo) nehmen mehr als ein Drittel des Bandes ein. Darunter fassen insbesondere die Beiträge 3, 6, 7 und 8 in diesem Zusammenhang z.T. neue Fakten, Einsichten und Überlegungen zusammen, die weitere Impulse setzen können. Der wichtigste Ertrag, das sei gleich vermerkt, liegt bei den hochrangigen Zeichnungen: Waren in Essen und Wien 21 Blätter Aachens zu sehen, in Prag 37, sind es nun 61.

Die drei Katalogabschnitte entsprechen den Lebensstationen des Malers. Sie sind jeweils kurz eingeleitet: Italien (Aikema), München und Augsburg (Jacoby) und Prag (Fučíková) - die Anfänge in Köln können mangels Materials nicht dokumentiert werden. Literaturliste, Personenregister und Bildnachweise schließen den Band ab, einen "Sammelband", dessen Beiträge aber nicht übermäßig reglementiert erscheinen, so dass der aufmerksame Kunstliebhaber auch auf unterschiedliche Auffassungen stoßen kann. Im besten Falle ergibt sich dann eine Art Diskussion: bei dem Selbstbildnis mit Ehefrau (27) bezweifelt der zugehörige Katalogtext (Kat. 77) diese Bestimmung vorsichtig und bei den Bildinhalten (76f.) wird zwischen beiden Auffassungen vermittelt. Bei Jupiter, Antiope und Amor (26) könnte der Kunstfreund jedoch irritiert werden, denn im Katalog heißt das Bild Venus, Amor und Satyr (Kat. 72); hier wird auch der Dissens aufgeklärt.

Das Konzept des Unternehmens folgt der ersten Biografie Aachens von Karel van Mander (1604), dessen ins Deutsche übersetzter Text vollständig, sparsamst kommentiert, beigegeben ist (264-266). Nur einmal (33) findet man angedeutet, dass manchmal auch kritische Distanz zu van Mander vorstellbar wäre.

Die Katalogtexte müssen mit der Schwierigkeit umgehen, dem Käufer auf knappstem Raum sowohl die Erklärung des Dargestellten, als auch Geschichte und Bewertung der ausgestellten Bilder zu vermitteln. Die Texte sind entsprechend flach gehalten. Zum Glück gelingt es aber nicht immer, dem Kunstfreund ein gänzlich konfliktfreies Bild zu vermitteln.

Von den ausgestellten Gemälden und Zeichnungen ist etwa die Hälfte - streng genommen - zugeschrieben. Zuschreibungen beruhen auf vielerlei, auch subjektiven Plausibilitäten und man tut sicher gut daran, so lange an älteren festzuhalten, bis neue Evidenzen ihre Revision erfordern. Da von Experten getroffen, werden Zuschreibungen in Essays und Katalog kaum diskutiert und wirken so manchmal wie Dekrete. Die weitaus meisten dürften aber zutreffen, gelegentlich unter Zuhilfenahme des Begriffs "Werkstatt", die jedoch im Nebulösen bleibt und wie eine Bewertung aus dem Kunsthandel aussieht.

Bei der reich vertretenen, weitgehend typologisch vorbestimmten Gattung des Porträts wäre u.a. anzumerken, dass es bei dem Giambologna-Bildnis in Douai sicherlich nicht genügt, es als Arbeit Aachens in zwei mäßigen Abbildungen (Abb. 61, 76) vorzustellen. Die Geschichte dieser Porträtaufnahme ist viel komplizierter. In der Ausstellung ist es aber nicht zu sehen und kann mit den übrigen Bildnissen nicht verglichen werden. Bei manch anderem Bildnis mögen sich Zweifel an der Zuschreibung (Abb. 78, Abb. 79, Kat. 56) regen.

Man hätte sich vorstellen können, dass in zwei oder drei Fällen Werkprozess, Werk und Wirkung demonstriert würden, indem neben dem Werk auch alle erreichbaren Zeichnungen und Wiedergaben ausgestellt wären, wie etwa bei der in ihrer Körperlichkeit etwas aufdringlichen Allegorie des Friedens von 1602 bzw. der Diana (Kat. 86, 87). Weder die damit verbundenen Zeichnungen in Düsseldorf und Bremen und der nicht datierte Stich von Johan Barra, noch die zweite "Wiederholung" der Komposition als Diana in Halle / Saale sind zu sehen. Die Entwicklung des Motivs bleibt ebenso undeutlich wie die Bewertung der drei Gemälde als "eigenhändig", "Werkstatt" oder gar "Stichkopie" eines anderen Malers. Ähnlich verhält es sich beim Parisurteil von 1588 aus Douai (Kat. 24). Es bleibt hier wohl zu Recht unklar, in welchem Verhältnis dieses Exemplar zu Sadelers Stich von 1589 (Kat. 25), der Zeichnung (Abb. 22 u. Kat. 24.1) und dem weiteren Exemplar in Birmingham / Alabama (Abb. 23 nicht Abb. 17) tatsächlich steht, bloßer Augenschein erschließt es jedenfalls nicht. Auch das Verhältnis von Aachens Kreuztragung zu derjenigen von Christoph Schwarz (Abb. 19, Kat. 23.1) bliebe weiter zu erörtern; eine Beobachtung wird zwar dezidiert angeboten (23), der Katalogtext geht jedoch nicht darauf ein (Kat. 23).

So kann der Kunstfreund manche Feststellung kaum nachvollziehen, weil er zum Vergleich herangezogene Werke weder ausgestellt noch abgebildet findet (auch 28 und Kat. 6).

Generell hat man jedoch Konsens angestrebt. Unterschiedliche Auffassungen der Bearbeiter mögen bestehen, sie bleiben dem Rezipienten jedoch oft verborgen, weil sie nur mit größter Zurückhaltung verdeckt geäußert werden, wie (41) zum Porträt eines Adeligen (Kat. 106).

Aachens Wirkung auf andere Künstler ist nicht thematisiert, auch nicht seine Einbindung in die aus historischen Gründen nicht unproblematische "rudolfinische" Kunstszene. Der Kaiser, Erotomane und besessener Sammler, hat versucht, sich im "Zeitalter der Glaubenskämpfe" anders zu verhalten als die tatsächlich Mächtigen es von ihm erwarteten; der Prager Hof war - zumal nach 1606 - keine Insel der Seligen, auf der es sich lustige Künstler mit ihren Freunden, Frauen und Geliebten nur gut gehen lassen konnten. Dieser Eindruck könnte bei Aachens vielen Darstellungen einer "lockeren Gesellschaft" leicht entstehen. Es gibt aber den abwägenden Essay zu den Bildinhalten, der immerhin konstatiert, dass die "Inhalte und Bedeutungen [...] vor allem durch das jeweilige kulturelle und soziale Umfeld bestimmt wurden" (75). Die religiösen Themen spart er jedoch aus, weil sie "überwiegend allgemein verbindlichen Standards" (83) folgten; aber auch das ist schon eine Aussage zur konfessionellen Lage an diesem Hof.

Dass von den einst 14 Allegorien auf die Türkenkriege 1593-1606 sieben ausgestellt sind (Kat. 94-101), ist positiv zu bewerten, obwohl sie das Auge des Publikums nicht sofort anziehen dürften. Zwei weitere auf Marmor und Alabaster sind wenigstens abgebildet. Sie sollen der kaiserlichen "Propaganda" gedient (82) haben. Es ist aber nicht recht vorstellbar, wie sie in den Schubladen der Kunstkammer ihre Propagandawirkung entfalten konnten.

Erfreulicherweise wird der in der Werbung allgegenwärtige Begriff "Transfer" (wovon? wohin?) im Katalog kaum gebraucht. Es mag ein "kulturrelevanter" Begriff sein, geeignet, Förderprogramme zu öffnen. "Integration" wäre ein vielleicht ebenso wirksamer Begriff, der den Vorzug hätte, mit dem Bestreben der Künstler jener Zeit im Einklang zu stehen. Auch ist der Lebensweg Aachens keine "Ausnahme". Die Qualität seiner Arbeiten hat ihn an einflussreiche Höfe getragen, manche seiner Zeitgenossen haben das ebenfalls erreicht und viele es angestrebt.

Ausstellung und Katalog sind zwar als notwendig wichtige Medien zur Bildung breiterer Kreise erarbeitet worden, aber auch die "Fachwelt" kann erheblichen Gewinn aus dem prächtigen Buch ziehen, das Jacobys Monografie nicht nur mit zumeist hervorragenden Abbildungen ergänzt.


Anmerkungen:

[1] Rudolf Arthur Peltzer: Der Hofmaler Hans von Aachen, seine Schule und seine Zeit, in: JKSAK 30 (1911/12), 59-182.

[2] Zum Beispiel: Rüdiger an der Heiden: Die Porträtmalerei des Hans von Aachen, in: JKSW 66 (1970), 135-226.

[3] Thomas DaCosta Kaufmann: L'École de Prague. La peinture a la cour de Rodolphe II., Paris 1985; engl. Chicago, London 1988.

[4] Prag um 1600, Essen / Wien 1988; Rudolf II. and Prague, Prag 1997.

[5] Joachim Jacoby: Hans von Aachen 1552-1615, München / Berlin 2000.

Rezension über:

Thomas Fusenig u.a. (Hg.): Hans von Aachen (1552-1615). Hofkünstler in Europa, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, XVII + 278 S., ISBN 978-3-422-06971-8, EUR 29,90

Rezension von:
Jürgen Zimmer
Falkensee
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Zimmer: Rezension von: Thomas Fusenig u.a. (Hg.): Hans von Aachen (1552-1615). Hofkünstler in Europa, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de/2010/09/17896.html


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