In den vergangenen Jahren hat die Adelsforschung einen ungeheuren Aufschwung erfahren. Dabei sind auch die Wettiner, eines der bedeutendsten Adelsgeschlechter im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, verstärkt in den Fokus der Forschung gelangt. Der Heiratspolitik der Wettiner bzw. deren beider Teillinien - der Ernestiner und der Albertiner - widmet sich Anne-Simone Knöfels Arbeit, eine aktualisierte Fassung ihrer 2007 an der Technischen Universität Dresden vorgelegten Dissertation.
Knöfel untersucht die Heiratspolitik der Wettiner vom 16. Jahrhundert bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Dabei ist es expliziter Anspruch der Verfasserin, keine sozial- und mentalitätsgeschichtliche Arbeit vorzulegen, sondern aus ereignisgeschichtlicher Perspektive die dynastischen Beziehungen zu erforschen (1). Ziel Knöfels ist es, die genealogischen Beziehungen zwischen den Wettinern und den mit ihnen durch Heiraten verbundenen Geschlechtern aufzudecken. Ausgehend von diesem prosopographischen Ansatz fragt sie nach den Heiratsmotiven der Häuser im jeweiligen konkreten politischen Kontext. Anhand dessen versucht die Verfasserin, große Linien und Wendepunkte der sächsischen Außenpolitik nachzuzeichnen. Zugleich wird ein Vergleich der Heiratspolitik von Albertinern und Ernestinern angestrebt.
In ihren einleitenden Bemerkungen erörtert Knöfel neben ihrer methodischen Herangehensweise und den von ihr genutzten Quellengattungen auch den zeitlichen wie geographischen Untersuchungsraum, das (früh-)neuzeitliche Sachsen und Thüringen (19-24). Im daran anschließenden Kapitel zu den Aspekten adeliger Familienpolitik (25-86) findet die höfische Diplomatie ebenso Berücksichtigung wie die Gestaltung von Hochzeitsfeierlichkeiten und die vielfältigen Motive für Eheschließungen. Aufbauend auf diesen allgemeineren Betrachtungen folgen Ausführungen zu den Familiennetzwerken der Albertiner und Ernestiner (87-426). Dieses Kapitel umspannt gut vier Jahrhunderte sächsisch-thüringischer Geschichte und bildet somit das Kernstück der Untersuchung. Es basiert auf einer bemerkenswert umfangreichen und vielfältigen Materialgrundlage, allerdings ist es nur schwer zu überschauen. Die beiden wettinischen Linien werden dabei separat voneinander betrachtet: Zunächst skizziert die Verfasserin Sachsens Kontakte zur europäischen "Elite" im Spätmittelalter, um sich dann den albertinischen Vermählungen während des konfessionellen Zeitalters und der Heiratspolitik nach der Konversion des Kurfürsten Friedrich August I. (1697) zu widmen. Anschließend werden die ernestinischen Heiratsnetzwerke im Alten Reich, die endogamen Heiraten der Wettiner und das exzeptionelle Heiratsverhalten der Ernestiner im 19. Jahrhundert in den Blick genommen. Ein Querschnitt der niederrangigen Heiraten und Mesalliancen sowie eine Übersicht zu den Scheidungen der Wettiner schließen das Kapitel ab. Die von der Autorin hier vorgenommene Gleichsetzung von Mesalliancen mit morganatischen Ehen (421) ist allerdings irreführend, denn bei einer Mesalliance konnte es sich durchaus um eine legitime Ehe zur rechten Hand handeln. Abgerundet wird die Darstellung durch Quellenauszüge, genealogische Tafeln sowie statistische Tabellen.
Die Verfasserin fällt letztlich ein negatives Urteil über die wettinische Machtpolitik: Es sei beiden wettinischen Linien nicht gelungen, das am Ausgang des Mittelalters vorhandene politische Kapital über die frühe Neuzeit bis in das 20. Jahrhundert zu erhalten. Vielmehr bescheinigt die Verfasserin den Wettinern Selbstgenügsamkeit und mangelnde Risikobereitschaft, durch die sie ihr politisches Kapital verspielt hätten (436). Dieses Pauschalurteil ist angesichts der verschiedenen und wechselhaften machtpolitischen wie auch familiären Konstellationen, mit denen die einzelnen wettinischen Zweige in den untersuchten Jahrhunderten konfrontiert waren, jedoch nicht gerechtfertigt. Die Autorin selbst weist darauf hin, dass beispielsweise das zur ernestinischen Teillinie gehörende Haus Sachsen-Coburg im 19. Jahrhundert erfolgreich auf dem Heiratsmarkt reüssieren und Beziehungen zu nahezu allen europäischen Königshäusern aufbauen konnte. Darüber hinaus ist zu hinterfragen, inwieweit die endogamen Heiraten der Ernestiner tatsächlich Ausdruck von Bemühungen sind, einer weiteren Spaltung der ernestinischen Linien vorzubeugen (435). Ebenso gut können diese Heiraten auf die ökonomische und machtpolitische Ausgangslage der Ernestiner, die die heiratspolitischen Spielräume beschränkte, zurückgeführt werden. Fragwürdig erscheint auch die vorgenommene strikte Trennung zwischen der kulturellen und sozialen Dimension adeliger Ehen auf der einen Seite und der politischen Dimension auf der anderen Seite. Da politisches Handeln immer auch in kulturelle Kontexte eingebunden ist, lässt sich die umfassende Bedeutung heiratspolitischer Bestrebungen für Dynastien wie die Wettiner erst durch eine komplementäre Betrachtung beider Seiten erschließen.
Demgegenüber ist es ein besonderes Verdienst der Autorin, verschiedene Aspekte dynastischer Politik aufwendig in statistischen Übersichten erfasst zu haben. Diese erstrecken sich von der Zahl der Vermählungen, Scheidungen und Trennungen, über die Herkunft der Heiratspartner bis hin zum Heirats- und Witwenalter sowie den Geburtenraten und -intervallen. Das aufschlussreiche statistische Material ist zweifelsohne hilfreich für weitere Untersuchungen zu den Wettinern. Nicht zuletzt deshalb ist die Studie eine wertvolle Lektüre für alle, die sich mit der Geschichte der Wettiner in der Neuzeit beschäftigen. Aber auch für Forschungen zu anderen Adelsgeschlechtern dürfte die Arbeit als Referenzquelle von Nutzen sein. Dies umso mehr, als sie sich durch einen angenehmen Schreibstil und einen umfassenden Quellenanhang auszeichnet.
Anne-Simone Knöfel: Dynastie und Prestige. Die Heiratspolitik der Wettiner (= Dresdner Historische Studien; Bd. 9), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, XII + 614 S., ISBN 978-3-412-20326-9, EUR 69,90
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